Redensarten Lexikon
Zahn
Das reicht (kaum) für (auf) einen hohlen Zahn: das ist sehr wenig (zu essen); seit dem Ende des 18. Jahrhunderts (Zeitschrift ›Olla Potrida‹, Nr. 188, S. 2) belegt: »Sie hat fast nicht mehr so viel, daß sie es könnte in einem hohlen Zahn verbergen«. Ähnlich heißt es schleswig-holsteinisch von einer guten Speise: ›Dat mutt man achter een Tähn eten‹, sparsam essen. Vergleiche niederländisch ›Dat kan ik wel in mijne hohe kies douwen‹. Dagegen: Das bleibt nicht im hohlen Zahn: das geht einem seelisch nach und nahe.    Seine Zähne (sein Gebiß) ins Holz hangen: nichts zu beißen haben; vgl. französisch ›n'avoir rien à se mettre sous la dent‹ (wörtlich: nichts haben, was man sich zwischen die Zähne stecken könnte).
   Die Zähne (hoch) heben; Mit langen Zähnen essen: mit Widerwillen, ohne Appetit essen; vgl. französisch ›du bout des dents‹ (wörtlich: mit den Zahnspitzen), im Sinne von mit Widerwillen; auch: ›avoir les dents longues‹ oder ›avoir la dent‹; doch bedeutet stellenweise ›mit langen Zähnen essen‹ auch: gierig essen (so 1786 von Adelung gebucht); Einem lange Zähne (oder die Zähne lang) machen: ihn begierig, lüstern machen (so z.B. bei Grimmelshausen); im letzteren Sinne meist: Einem die Zähne wässerig machen; seit dem 17. Jahrhundert belegt: »Aber ich wuste wol, daß die (prächtigen) Kleider ... ihm nur angethan waren, mir die Zähne wässerig zu machen« (Grimmelshausen, Simplicissimus, 5. Buch, 21. Kap.).
   ›Einem eilige Zähne machen‹ heißt in der Niederlausitz scherzhaft: ihn zur Eile antreiben.
   Sich an etwas die Zähne ausbeißen: eine Niederlage erleben müssen trotz größter Anstrengung, sich mit etwas Schwierigem abmühen; vgl. französisch ›se casser les dents sur quelque chose‹.
   Auf die Zähne beißen: sich bezwingen; vgl. französisch ›serrer les dents‹. Ähnlich: Die Zähne zusammenbeißen (müssen): eine Arbeit mit äußerster Kraftanstrengung beenden, seine Schmerzen besiegen wollen, auch: Vor Wut oder Zorn die Zähne zusammenbeißen. Diese Redensarten beruhen auf der Beobachtung, daß man vor Zorn und Verbitterung, auch vor körperlicher Anstrengung die Zähne zusammenbeißt; in dieser Form seit dem 16. Jahrhundert bezeugt. Vergleiche Luthers Übersetzung von Ps 37, 12 zur Umschreibung körperlicher oder geistiger Anspannung; ähnlich Apg 7, 54, wo die Mitglieder des Hohen Rates über die anklagende Rede des Stephanus ›Mit den Zähnen knirschen‹; ›Mit den Zähnen klappern‹ ist ein entstelltes Zitat aus Mt 8, 12, wo es heißt, daß in der Hölle »wird sein Heulen und Zähneklappen« (nicht: -klappern).
   »Ich beiße die Zähne aufeinander und spotte über mein Elend« heißt es bei Goethe (Weim. Ausgabe 19, 60). Luxemburgisch heißt es: ›sech op d'Zänn beißen‹: sich zurückhalten, beherrschen, um nicht vor Lachen herausplatzen zu müssen.
   Jemandem den Zahn weisen: jemandem drohen. Hunde z.B. entblößen zur Warnung einen Eckzahn, selbst vor Kindern und ihnen sonst wohl vertrauten Personen, von denen sie sich geärgert oder gar drangsaliert fühlen.
   J. Grimm zitiert eine Stelle aus der mittelhochdeutschen Literatur: »Si zeiget mir den wolves zant«. Die Zähne zeigen (älter: blecken): sich kraftvoll widersetzen, drohend entgegentreten: hergeleitet von den zähnefletschenden Hunden. 1650 schreibt Moscherosch in den ›Gesichten Philanders‹ (Bd. II, S. 99): »So zeigen sie (die Hunde) ihm die Zähne anstatt des Wadels (d.h. Schwanzes)«. In übertragener, nur noch bildlicher Anwendung findet sich die Redensart schon 1517 bei dem Prediger Geiler von Kaysersberg (›Evangelia‹ 50a): »Die zehen (Jünger) bleckten die zen gegen Jacobum und Johannem«; vgl. französisch ›montrer les dents‹.
   Jemanden auf dem Zahn haben: ihn nicht leiden können; vgl. französisch ›avoir une dent contre quelqu'un‹ oder ›avoir la dent dure‹ (wörtlich: einen harten Zahn haben), im Sinne von rachsüchtig sein.
   Jemandem in die Zähne lachen: jemanden offen, spöttisch anlachen, auslachen; vgl. niederdeutsch ›in de tän utlachen‹.
   Über einen Zahn lachen: heimlich, schalkhaft lachen; Über den linken Zahn lachen: heuchlerisch lächeln. Holsteinisch antwortet man auf die Frage: ›Woröver lachst du?‹ abweisend mit: ›Över de tän!‹
   Einen durch die Zähne ziehen (›Einen zwischen den Zähnen haben‹): ihn verklatschen, durchhecheln, kritisch über ihn sprechen. Die Redensart bezieht sich wahrscheinlich nicht auf die menschlichen Zähne, sondern auf die Zähne der Hechel, des kammartigen Werkzeugs, mit dem die Flachsfasern gereinigt wurden. Martin Walser gebraucht die Redensart in der Bedeutung, Jemanden an der Angel haben‹ ( Angel) in seinem Roman: ›Das Einhorn‹: »Hat man endlich (als Verkäufer) einen Kunden zwischen den Zähnen, dann kommt so eine verrückte Hausfrau« (S. 57).
   Schweizerisch ist die Redensart ›ais uffe Zan ne‹: etwas genießen, gut trinken und essen.
   Einem etwas aus den Zähnen rücken: es ihm entziehen; vgl. Hiob 29, 17 (»Ich zerbrach die Backenzähne des Ungerechten und riß den Raub aus seinen Zähnen«). Das Gegenteil ist: Einem etwas auf die Zähne binden (streichen): ihm unklugerweise etwas anvertrauen.
   Bis auf die Zähne bewaffnet setzt bildlich den Gebrauch der Zähne als letztverfügbarer Waffe. Die Redensart ist schon im Mittelhochdeutschen geläufig: »des reit er (Mars) dô mit sînen scharn gewâpent sêre unz ûf de zene« (Konrad von Würzburg, Trojanerkrieg, V. 3495). Vergleiche französisch ›être armé jusqu'aux dents‹ und niederländisch ›Hij is tot de tanden toe gewapend‹.
   Einem auf den Zahn fühlen: ihn gründlich auf seine Kenntnisse und Fähigkeiten prüfen. Die übertragene Anwendung der Redensart ist seit etwa 1700 gebräuchlich. Das Bild ist vom Zahnarzt genommen, der durch Befühlen und Beklopfen den schmerzenden Zahn ermittelt. Weniger wahrscheinlich ist die Herleitung von der Praxis des Pferdekaufs, bei dem man noch heute aus der Beschaffenheit der Zähne das Alter und den Wert der Tiere festzustellen sucht (daher auch das Sprichwort ›Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul‹).
   Jemandem die Zähne ziehen: ihm übel mitspielen.
   Einem einen Zahn ziehen: von ihm einen Sachverhalt erfahren; auch: ihn von einer Last befreien. Diesen Zahn laß dir ziehen: diesen törichten Gedanken mußt du aufgeben. Die Torheit eines Gedankens oder Plans wird mit dem schmerzenden Zahn verglichen, der den Menschen ähnlich plagt wie ein wirklichkeitsfremder Gedanke. Schleswig-holsteinisch ›Se hebbt em'n düchtigen Tähn uttrocken‹, ihm viel Geld abgenommen; obersächsisch-erzgebirgisch ›einer (Frau) 'n Giftzahn ausreißen‹, ihr das Lästermaul stopfen. Zu einem Säufer sagt man: ›Nun muß der Bierzahn raus!‹, das Trinken muß aufhören.
   Dem tut kein Zahn mehr weh: Er ist tot. Vergleiche niederländisch ›Zijne tanden doen hem niet meer zeer‹ und französisch ›Il y a longtemps, qu'il n'a plus mal aux dents‹.
   Zum drittenmal Zähne kriegen: scherzhafte Umschreibung für: ein Gebiß bekommen.
   Wissen, durch welchen Zahn gepfiffen wird: genau Bescheid wissen; ›Wissen, wohin der Hase läuft‹, Hase.
   Einen tollen Zahn drauf haben: eine sehr hohe Geschwindigkeit entwickeln; sehr schnell fahren. Bezieht sich auf das Zahnradgetriebe des Automotors, vor allem auf den großen Gang. Eine andere Erklärung führt die Redensart auf die stufenweise Regelung der Drehzahl von Maschinen und Motoren zurück, bei der der Reglerhebel in ein gezähntes Maschinenteil einrastete. Ebenso: Einen Zahn zulegen, sowie übertragen: Einen Zahn schneller essen.
   Die Metapher vom Zahn der Zeit, der alles zernagt, stammt aus Shakespeares ›Maß für Maß‹ (V, 1): »Tooth of time‹. Die Wendung ist aber schon in der Antike bekannt gewesen (z.B. bei Simonides von Keos).
   Zahn bedeutet in der Teenagersprache der Gegenwart soviel wie Mädchen, Freundin, Braut usw. (›Blonder Zahn‹, ›Flotter Zahn‹, ›Steiler Zahn‹ usw.); dem entsprechen die Redensarten: Jemandem einen Zahn abschrauben: ihm die Freundin abspenstig machen; Sich einen Zahn aufreißen: die Bekanntschaft eines Mädchens machen.
   Haare auf den Zähnen haben Haar.

• O. LADENDORF: Büchmanniana, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 17 (1903), S. 694ff.; M. BALDINGER: Aberglaube und Volksmedizin in der Zahnheilkunde (Basel 1936), wieder abgedruckt in: E. Grabner (Hrsg.): Volksmedizin (Darmstadt 1967), S. 116-199; F. GRUTTMANN: Ein Beitrag zur Kenntnis der Volksmedizin in Sprichwörter, Redensarten, mit besonderer Berücksichtigung der Zahnheilkunde (Greifswald 1939); H. KOBUSCH: Der Zahnwurmglaube in der deutschen Volksmedizin (Diss. Frankfurt 1955); U. VOLZ-KIENZLER: Zähne als Amulett, Fetisch und Talisman (Med. Diss. Düsseldorf 1969); M. WALSER: Das Einhorn (Frankfurt/M. 1970); R. BODENS: Volkstümliche Zahnheilkunde und ihre Spuren im Selfkant (Med. Diss. Bonn) (Niederkassel – Mondorf 1971).}

Die Zähne zeigen. Karikatur von Haitzinger. Aus: Bad. Zeitung vom 13. /14. Dezember 1975.
Er fühlt einem auf den Zahn. Zeichnung von Moritz von Schwind (1804-71).
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