Redensarten Lexikon
Wiege
Das ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden: das hat er nicht erwartet; davon hat er sich nichts träumen lassen; diese bittere Erfahrung hätte er früher nicht für möglich gehalten; seine Lebensumstände haben sich sehr verschlechtert. Die Redensart spielt wohl auf die optimistischen Texte der Wiegenlieder an. Die treffende Kürze der Wendung hat zu ihrer häufigen literarischen Verwendung geführt. So sagt Daja in Lessings ›Nathan‹ (I, 6):
Auch mir ward's vor der Wiege nicht gesungen,
Daß ich nur darum meinem Ehgemahl
Nach Palästina folgen würd', um da
Ein Judenmädchen zu erziehn.
1852 schreibt Berthold Auerbach (›Neues Leben‹, Bd. II, S. 250): »Das war oder ward mir nicht an der Wiege gesungen«. Aus dem Holsteinischen ist 1840 die ähnliche Redensart bezeugt: ›Dat is em bi de Döpe (Taufe) nich vörseggt‹.
Es ist ihm in die Wiege gelegt (gebunden): es eignet ihm von Hause aus (⇨ Angebinde, ⇨ Grazien). 1897 schreibt H.v. Treitschke in seiner ›Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert‹ (I, 271): »Der Gedanke der deutschen Einheit ... war diesem stolzen reichsfreien Herrn in die Wiege gebunden«.
Berliner Mundart: ›Mit die Wieje bin ik schon jewiejt‹, damit betrügt man mich nicht mehr.
Jemanden aus der Wiege werfen: ihn brüskieren; wurde im 16. Jahrhundert viel gebraucht. So von Hans Sachs (22, 69 Bibliothek des Literatur Vereins Stuttgart): »Ich hab in (den andersgläubigen Schwäher), yetzt am freytag acht tag, gar ausz der wiegen geworffen«. 1689 findet sich die Redensart in Lohensteins ›Arminius‹ (1, 71b): »Den Römern einen Dienst zu thun oder zum minsten selbte nicht gar aus der Wiege zu werffen«.
In der Wiege erdrücken (ersticken); gewöhnlich transitiv, steht im 17. und 18. Jahrhundert für das jüngere ›Im Keim ersticken‹. »Im Anfang der Unruhen,... wo ein rascher Entschluß und männliche Stetigkeit die Rebellion noch in der Wiege erdrücken konnten« (Schiller, VII, 18).
Für die Wiege sorgen, ehe das Kind geboren ist: sehr voreilig sein. Diese Redensart ist bereits bei Sebastian Franck (II, 50a) bezeugt: »Für die wiegen sorgen, eh' das kindt gemacht ist«. Vergleiche niederdeutsch ›He sorgt fär de Wêg êer he't Kind het‹ und niederländisch ›Hij zorgt voor de wieg, eer het kind geboren is‹.
Von der Wiege an: von Anfang an, vom Ausgangspunkt an. Vergleiche lateinisch ›ab incunabulis‹ und französisch ›depuis le berceau‹.
Von der Wiege bis zum Grabe (zur Krücke): das ganze Leben lang, von der Geburt bis zum Tode. Auf die übertriebene Bürokratie bezieht sich der Reim:
Von der Wiege bis zur Bahre –
Formulare, Formulare!
Wie man in die Wiege gelegt wird, so kommt man ins Grab: einerseits: wer arm geboren ist, bleibt arm (Milieutheorie); andererseits: das Wesen des Menschen ist bei der Geburt festgelegt. ⇨ Menetekel.
• L. KRETZENBACHER: Die Seelenwaage (Klagenfurt 1958); F.V. ZGLINICKI: Die Wiege (Regensburg 1979).}
Es ist ihm in die Wiege gelegt. Politische Karikatur von Murschetz. Aus: DIE ZEIT, Nr. 6, vom 3. Februar 1978.
Das ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden: das hat er nicht erwartet; davon hat er sich nichts träumen lassen; diese bittere Erfahrung hätte er früher nicht für möglich gehalten; seine Lebensumstände haben sich sehr verschlechtert. Die Redensart spielt wohl auf die optimistischen Texte der Wiegenlieder an. Die treffende Kürze der Wendung hat zu ihrer häufigen literarischen Verwendung geführt. So sagt Daja in Lessings ›Nathan‹ (I, 6):
Auch mir ward's vor der Wiege nicht gesungen,
Daß ich nur darum meinem Ehgemahl
Nach Palästina folgen würd', um da
Ein Judenmädchen zu erziehn.
1852 schreibt Berthold Auerbach (›Neues Leben‹, Bd. II, S. 250): »Das war oder ward mir nicht an der Wiege gesungen«. Aus dem Holsteinischen ist 1840 die ähnliche Redensart bezeugt: ›Dat is em bi de Döpe (Taufe) nich vörseggt‹.
Es ist ihm in die Wiege gelegt (gebunden): es eignet ihm von Hause aus (⇨ Angebinde, ⇨ Grazien). 1897 schreibt H.v. Treitschke in seiner ›Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert‹ (I, 271): »Der Gedanke der deutschen Einheit ... war diesem stolzen reichsfreien Herrn in die Wiege gebunden«.
Berliner Mundart: ›Mit die Wieje bin ik schon jewiejt‹, damit betrügt man mich nicht mehr.
Jemanden aus der Wiege werfen: ihn brüskieren; wurde im 16. Jahrhundert viel gebraucht. So von Hans Sachs (22, 69 Bibliothek des Literatur Vereins Stuttgart): »Ich hab in (den andersgläubigen Schwäher), yetzt am freytag acht tag, gar ausz der wiegen geworffen«. 1689 findet sich die Redensart in Lohensteins ›Arminius‹ (1, 71b): »Den Römern einen Dienst zu thun oder zum minsten selbte nicht gar aus der Wiege zu werffen«.
In der Wiege erdrücken (ersticken); gewöhnlich transitiv, steht im 17. und 18. Jahrhundert für das jüngere ›Im Keim ersticken‹. »Im Anfang der Unruhen,... wo ein rascher Entschluß und männliche Stetigkeit die Rebellion noch in der Wiege erdrücken konnten« (Schiller, VII, 18).
Für die Wiege sorgen, ehe das Kind geboren ist: sehr voreilig sein. Diese Redensart ist bereits bei Sebastian Franck (II, 50a) bezeugt: »Für die wiegen sorgen, eh' das kindt gemacht ist«. Vergleiche niederdeutsch ›He sorgt fär de Wêg êer he't Kind het‹ und niederländisch ›Hij zorgt voor de wieg, eer het kind geboren is‹.
Von der Wiege an: von Anfang an, vom Ausgangspunkt an. Vergleiche lateinisch ›ab incunabulis‹ und französisch ›depuis le berceau‹.
Von der Wiege bis zum Grabe (zur Krücke): das ganze Leben lang, von der Geburt bis zum Tode. Auf die übertriebene Bürokratie bezieht sich der Reim:
Von der Wiege bis zur Bahre –
Formulare, Formulare!
Wie man in die Wiege gelegt wird, so kommt man ins Grab: einerseits: wer arm geboren ist, bleibt arm (Milieutheorie); andererseits: das Wesen des Menschen ist bei der Geburt festgelegt. ⇨ Menetekel.
• L. KRETZENBACHER: Die Seelenwaage (Klagenfurt 1958); F.V. ZGLINICKI: Die Wiege (Regensburg 1979).}
Es ist ihm in die Wiege gelegt. Politische Karikatur von Murschetz. Aus: DIE ZEIT, Nr. 6, vom 3. Februar 1978.