Redensarten Lexikon
Wein
Jemandem reinen (klaren) Wein einschenken: ihm unumwunden, unverblümt die volle Wahrheit sagen. Schwäbisch ›eim pure Wei eischenke‹. In schlesischer Mundart heißt es abweichend: ›A hot em rechten Wein eigeschankt‹. Während das Verbum der Redensart fest ist, wechseln Adjektiv und Substantiv. Im 16. Jahrhundert ist wiederholt bezeugt: ›lauteren Wein einschenken‹. 1593 sagt Heinrich Julius von Braunschweig im gleichen Sinn: »Damit ich dir rein Bier einschenke« (›Susanna‹ II, 1). Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts setzt sich die heutige Form durch. Goethe: »Mag der alte Wieland ... in diesen Hefen des 18. Jahrhunderts sich betrüben ... so viel klaren Wein, als wir brauchen, wird uns die Muse schon einschenken« (Weimarer Ausgabe IV, 12, 372). Gottsched: »Denn ich habe ihr reinen Wein eingeschenkt« (›Deutsche Schaubühne‹ [1741], Bd. I, S. 533). Bemerkenswert häufig findet sich die Redensart in der politischen Rhetorik, bei Bismarck: »... daß der Finanzminister Ihnen den reinsten Wein einschenke«. Selten einmal wird der ursprüngliche Sinn durchgeistigt: »Aus dem tiefsten Herzen kann ich dir immer nur den reinen Wein einschenken, in dem dein Bild sich spiegelt« (Bettina v. Arnim, Tagebuch 42).    Jungen (neuen) Wein (Most) in alte Schläuche fassen (füllen). Die Redensart ist biblischen Ursprungs und beruht auf Mt 9, 17.
   Wasser in den Wein schütten (gießen) Wasser.
   Jemandem den Wein ausrufen: zunächst nur: eine Neuigkeit verkünden, dann besonders: jemanden schmähen, verleumden. Die alte Redensart (literarisch z.B. bei Murner und Fischart) ist heute ungebräuchlich geworden. Sie knüpft an das Weinausrufen und -anpreisen, eine feste Einrichtung mittelalterlicher Städte, besonders in Süddeutschland an (vgl. die Abbildung in Murners ›Schelmenzunft‹).
   Vergleiche: Jemandem das Bier verrufen Bier.
   Das (deutsche) Sprichwort ›Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang‹ wird oft als eine Schöpfung Luthers angesehen, obwohl es sich in seinen Schriften nirgends findet. Allerdings kannte und übersetzte er ein ähnliches lateinisches Sprichwort: ›Vinum et mulieres apostatare faciunt sapientes‹ mit: ›Wein und Weiber bethören die Weisen‹.
   Ältere Quellen sprechen freilich dafür, daß das Sprichwort zu Luthers Zeiten schon bekannt war. In der deutschen Literatur stammt der früheste Beleg aus dem ›Priester Leben‹ des Heinrich von Melk (12. Jahrhundert), wo es heißt: »wîn unt wîp machent unwîsen man«. In Johannes Roths ›Ritterspiegel‹ (1415) steht: »Gud win und schone frowin han manchin wisin man zu torin gemacht«. In der nachfolgenden Zeit häufen sich die Belege. Als Beispiel ein Neujahrswunsch von Goethes Mutter an dessen Freund Jakob Michael Lenz (1777):

   Ich wünsche Euch Wein und Mädchenkuß
   Und Eurem Klepper Pegasus
   Die Krippe stets voll Futter.
   Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,
   Der bleibt ein Narr sein Leben lang,
   Sagt Doktor Martin Luther.

Daraus ergibt sich, daß man damals glaubte, Luther sei der Urheber dieser Zeilen.
   Wie zu fast allen bekannten Sprichwörter gibt es auch hierzu zahlreiche Parodien. Eine sei genannt: ›Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der spart viel Geld sein Leben lang‹. Ein englisches Sprichwort heißt: ›When wine is in, wit is out‹. Auch von Benjamin Franklin ist ein ähnlicher Ausspruch belegt: »When the Wine enters, out goes the Truth«.

• F. SCHNORR VON CAROLSFELD: Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, in: Quartalblätter des historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen, 3 (1887), S. 143-144; A. RISSE: Sprichwörter und Redensarten bei Th. Murner, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 31 (1917), S. 291; H. MATHES: Mundartliche Wörter und Redensarten bei der Traubenlese und Weinberei-
tung, in: Muttersprache 53 (1938), S. 342-346; F. ECKSTEIN: Artikel ›Wein‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens IX, Spalte 289-317; H. GERKE-SIEFART: Sprichwörter und Redensarten bei Johann Fischart (Diss. München 1953), S. 313; A. TAYLOR: When wine is in, wit is out, in: Nordica et Anglica: Studies in Honor of Stefán Einarsson (Den Haag – Paris 1968), S. 53-56; F.V. BASSERMANN-JORDAN: Geschichte des Weinbaus, 3 Bde. (Frankfurt/M. 1923, Repr. 1975); G. SCHREIBER: Deutsche Weingeschichte. Der Wein in Volksleben, Kult und Wirtschaft (Köln 1980); W. MIEDER: Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang. Zur Herkunft, Überlieferung und Verwendung eines angeblichen Luther-Spruches, in: Muttersprache 94 (1983/84), S. 68-103; A.C. BIMMER und S. BECKER (Hrsg.): Alkohol im Volksleben (= Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung 20) (Marburg 1987).

Jemand reinen Wein einschenken. Karikatur von Haitzinger, vom 27.IX.90. Aus: Badische Zeitung., Nr. 225, vom 28. Sept. 1990.

Neuer Wein in alten Schläuchen. Red-figured Wine-cooler: Satyrs revelling. From Cerveteri. Painted and signed by Douris. Attic 490-480 BC., The Trustees of the British Museum, 1977, Cat. of Vases E 768.
Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang .... Holzschnitt, aus: G.O. Marbach (Hg.): Sprichwörter und Spruchreden der Deutschen, Leipzig o.J., S. 118.
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