Redensarten Lexikon
Vogel
Einen Vogel haben (z.T. noch scherzhaft ergänzt: ›Einen Vogel mit Freilauf haben‹): nicht ganz bei Verstand sein, eine fixe Idee haben, närrisch sein; umgangssprachlich und mundartlich vielfach bezeugt. Nach altem Volksglauben wird die Geistesgestörtheit durch Nisten von Tieren im Kopf verursacht. Die zugrunde liegende Vorstellung zeigt sich auch in parallelen Wendungen, wie ›Bei dir piepts wohl?‹ (⇨ Pfeife), auch: ›Dich pickt wohl der Vogel?‹ Sein Vogel braucht Wasser (oder Futter); Sein Vogel ist Amok gelaufen: er ist nicht recht bei Verstand. Viele Redewendungen und bildliche Ausdrücke für Geistesgestörtheit und der Gebrauch von Tiernamen für abnormale Geisteszustände beruhen auf den volkstümlichen Anschauungen vom Wesen der Krankheit als Dämonenbesessenheit, etwa auch: ›Mäuse im Kopf haben‹; ›Grillen im Kopf haben‹; ›Ihm steckt der Kopf voll Mäusenester‹; ›Es läuft ihm eine Ratte durch den Kopf‹; ›Er hat einen Hirnwurm‹, ›Einen Spatz im Dach‹, ›Einen Engerling‹, ›Einen Käfer‹, ›Eine Motte‹, ›Fliege im Kopf‹, ›Eine Mücke‹, ›Schnake‹, ›Einen Regenwurm‹, ›Egel‹.
Jemandem einen Vogel zeigen, Sich einen Vogel in die Stirn bohren: gegen jemanden die Dummheitsgebärde machen (auch als ›Autofahrersprache‹ oder ›Autofahrergruß‹ bezeichnet).
Vögel (öfter: Spatzen) unter dem Hut haben: den Hut zum Gruß nicht abnehmen.
Einen toten Vogel in der Tasche haben: einen Darmwind entweichen lassen, nach Darmgasen riechen (seit 1900 belegt).
's Vöglein zur Ader lassen: natürliche Bedürfnisse befriedigen; besonders schwäbisch: ›'s Vögele zur Ader laun‹.
Den Vogel abgeschossen haben: die beste Leistung erzielt haben; vom volkstümlichen Brauch des Vogelschießens hergenommen (vgl. die Darstellung auf dem niederländischen Bilderbogen der Bauernkirmes), wo derjenige Schützenkönig wird, der den Vogel herunterschießt; vgl. englisch: ›to take the cake‹.
Einem die Vögel auf dem Dache weisen: ihn nicht bezahlen, eigentlich auf einen sehr unsicheren Besitz verweisen, der wie die Vögel auf dem Dach plötzlich verschwunden sein kann. Von einem Menschen in unsicherer Position sagt man ähnlich z.B. in Bedburg: ›Dä ess jetzt wie 'ne Voggel op de Heck‹.
Dem Vogel noch Flügel ansetzen: den Eiligen noch anspornen.
Den Vogel fliegen (pfeifen, singen) lehren: etwas Überflüssiges tun.
Friß Vogel oder stirb!: wer das vorgesetzte Futter nicht mag, wird verhungern müssen; übertragen: es gibt nur diese eine, unangenehme Möglichkeit. Um einen Vogel kirre zu machen, wird ihm bestimmtes Futter vorgesetzt und kein anderes. Luther schreibt: »Wie du wilt, Vögelin, wiltu nicht essen, so stirb«; in der ›Zimmerischen Chronik‹ (I, 271): »es hieß ›compelle intrare, Vogel iß oder sterb!‹ Auch in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹ (II, 203) heißt es: »Ich dachte, jetzt heißts: Friß Vogel oder sterb«. Der Straßburger Pfarrer Johann Nikolaus Weislinger (1691-1755) verfaßte 1722 eine Schmähschrift auf Luther ›Friß, Vogel, oder stirb!‹
Wie ein Vögelchen essen: sehr wenig zu sich nehmen, häufig von Kindern und Kranken gesagt; vgl. französisch ›manger comme un petit oiseau‹.
Sich die gebratenen Vögel (Tauben) in den Mund fliegen lassen: es sich wie im ⇨ Schlaraffenland ohne Arbeit wohl sein lassen. Abraham a Sancta Clara gebraucht diese Wendung öfters, z.B. schreibt er in seinem ›Judas‹ (III, 155): »Ihnen fliegen die gebratenen Vögel ins Maul«; ⇨ Taube.
Ein Vögelchen davon haben singen hören: auf geheimnisvolle Weise Kunde von etwas erhalten haben, die für andere unerwartet und überraschend ist; vgl. niederländisch ›'t Vogelken heeft het mij verteld‹ und englisch ›A little bird told me‹ ⇨ Finger.
Diese Redensarten gehen wohl auf alten Volksglauben zurück, nach dem die Vögel den Menschen geheime Mitteilungen machen oder sie warnen, wie dies in vielen Märchen, Sagen, Volksliedern als Motiv vorkommt. Sigurd versteht in der ›Edda‹ die Sprache der Vögel, die ihn warnen, und Odin hatte die Raben Hugin und Munin zur Seite, die ihm über alles berichten, was sie sehen und hören.
Die Vorstellung, daß die Vögel Nachrichten verbreiten, ist bereits in biblischer Zeit vorhanden. Beim Spr 10, 20 heißt es warnend: »Fluche dem König nicht in deinem Herzen und fluche dem Reichen nicht in deiner Schlafkammer; denn die Vögel des Himmels führen die Stimme fort, und die Fittiche haben, sagen's weiter«.
Er hat den Vogel pfeifen hören: er hat die Sache gemerkt; was verborgen bleiben sollte, ist ihm auf geheimnisvolle Weise zu Gehör gekommen. Die entgegengesetzte Bedeutung hat die Redensart ›Die Spatzen pfeifen es von den (allen) Dächern‹, das angebliche Geheimnis ist in aller Munde, die ganze Stadt spricht schon davon; westfälisch ›Dat wietet de Vüegel upm Dake‹.
Seinen Vogel auslassen: sein eigentliches Anliegen vorbringen. Der Vogel ist ausgeflogen: der Gesuchte ist nicht daheim (vgl. Nest), der Gefangene ist entflohen. Dagegen heißt Der Vogel sitzt: der Dieb ist im Gefängnis.
Der Vogel ist ins Garn (auf den Leim) gegangen: er hat sich überlisten lassen. Die Redensart kommt aus dem Bereich der Vogelstellerei, bei der die Vögel mit Netzen oder Leimruten gefangen wurden, die von ihnen nicht als gefährlich erkannt werden konnten.
Häufig wird der Mensch mit einem Vogel verglichen, der durch verschiedene Adjektive noch näher charakterisiert wird. Bereits Wickram bezeichnet im 16. Jahrhundert einen ausgelassenen oder liederlichen Menschen als Losen Vogel. Ein Mensch mit sonderbaren Ansichten und merkwürdigen Gewohnheiten wird ein Seltener (rarer, komischer) Vogel genannt. Vergleiche niederländisch ›Dat is ook een rare vogel‹. In den ›Satirae‹ (I, 46) des Aulus Persius Flaccus (34-62 n. Chr.) findet sich wie bei Juvenal (60-140 n. Chr.) der Ausdruck »Rara avis« = ein seltener (rarer) Vogel.
Die älteste deutsche Benutzung der Wendung im Sinne von äußerst seltener Erscheinung findet sich bei Luther. In seiner Schrift ›Von weltlicher Obrigkeit‹ (Weimarer Ausgabe 11, 267) steht: »Und solt wissen, das von anbegynn der wellt gar eyn seltzam vogel ist umb eyn klugen fursten, noch viel seltzamer umb eyn frumen fursten«. Vergleiche auch: ›Ein weißer Rabe sein‹, ein Ausdruck, der von Juvenal (›Sat.‹ VII, 202) überliefert ist. Ein Leichtsinniger ist ein Leichter (lockerer, lustiger) Vogel. Im ›Rollwagenbüchlein‹
(XVI und XXXII) wird ein Taugenichts als Nasser Vogel treffend charakterisiert, denn er ist sowenig nütze wie ein naßgewordener Vogel, der nicht mehr fliegen kann.
Es sind Vögel von einerlei Federn: es sind Menschen von gleichem Schlage, einer ist nicht besser als der andere. Vergleiche niederländisch ›Het zijn vogels van eender veren‹.
Die Redensart Ich bin ein gesprenkelter Vogel: ich werde von allen Seiten angegriffen, ist biblischer Herkunft. Jer 12, 9 heißt es:
Mein Erbe ist wie der sprenklige Vogel,
Um welchen sich die Vögel sammeln.
Vergleiche niederländisch ›Het is een gesprenkelte vogel‹.
Vogel-Strauß-Politik treiben ⇨ Strauß.
›Vogel Selbsterkenntnis‹ ⇨ Nase.
Vogel (Vogelschnabel) ist vulgärsprachlich der Name für den Penis; ähnlich ›Den Vogel zwitschern lassen‹: koitieren; ›Vogelhäusel‹: Hosenschlitz; ›Loser Vogel‹: Frauenheld; ›Vogelbauer‹: Vulva, aber auch: Bordell; ›Vogelscheuche‹: Frau, die einen am Geschlechtsverkehr hindert.
Vogel und Nest ist ein häufiges Sprichwort-Bild für die sexuelle Verbindung von Mann und Frau: z.B. ›Jeder Vogel hat sein Nest‹; ›Komm Vögelchen, wir gehn ins Nest!‹ u.a. (E. Borneman: Sex im Volksmund [Reinbek b. Hamburg 1971]).
›Vögeln‹ bedeutet in der Umgangssprache koitieren. Ursprünglich hieß der Geschlechtsakt bei Vögeln treten, ⇨ treten. Zwei alte Belege bietet das Schwäbische Wörterbuch (II, Spalte 1608): ›Es ist gar ain boese Henn, Die ... wonen wil bi ainem Han, und sich nit wil füglen lan‹. Bei Sebastian Franck heißt es: ›Mali corvi malum ovum: Wie es vogelt, also legt es Ayer‹.
• A. DE COCK: 't Vogelken heeft het mij verteld, in: Volkskunde 22 (1911), S. 96-100; K. KNORTZ: Die Vögel in Geschichte, Sage, Brauch und Literatur (München 1913); besonders Kapitel IX: Gemischte Gesellschaft, S. 244-296; R. RIEGLER: Tiernamen zur Bezeichnung von Geistesstörungen, in: Wörter und Sachen 7 (1921), S. 129ff.; E. INGERSOLL: Birds in Legend, Fable and Folklore (New York 1923); A. TAYLOR: Artikel ›Vogel‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Spalte 1673-1679; E. HOLLERBACH: Vom Ursprung und von den Anfängen des Vogelschießens (1938); H. RAUSCH: Den Vogel abschießen, in: Sprachfreund 4, Nr. 6 (1955), o.P.; S.A. WOLF: Hast wohl 'n Vogel?, in: Muttersprache 65 (1955), S. 23-24; L. HONKO: Krankheitsprojektile. Folklore Fellows Communication 178, (Helsinki 1959); R. PIPPING: Den gaspande fageln
(Der gähnende Vogel in einem Sprichwort), in: Syn og Segn (1959), S. 114-117; J. HASSPACHER: Die Geschichte der Dresdner Vogelwiese, in: Zeitschrift für Volkskunde, 56 (1960), S. 55-73; J. JAENECKE-NICKEL: Abschußvogel und Abwurftaube, in: Festschrift 75 Jahre Museum für Volkskunde (Berlin 1964), S. 191-194; L. RÖHRICH: Krankheitsdämonen, in: Volksmedizin (Darmstadt 1967), S. 283ff.; L. RÖHRICH und G. MEINEL: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 316f.; TH. REINTGES: Das Vogelschießen der Schützen, in: Miscellanea für Prof. Dr. K.C. Peeters (Antwerpen 1975), S. 582-586; B. GARBE: Vogel und Schlange. Variation eines Motivs in Redensart, Fabel, Märchen und Mythos, in: Zeitschrift für Volkskunde 75 (1979), S. 52-56; E. und L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben. Eine volkskundliche Sammlung aus verschiedenen europäischen Ländern von der Antike bis heute (Wiesbaden 1989).
Einen Vogel haben. Zeichnung von Brisolla, Abbildung 2.
Den Vogel abschießen. Detail aus einem flämischen Bilderbogen: Vogelschießen als Volksbelustigung.
Friß Vogel oder stirb. Zeichnung von Wilhelm Scholz (Reichstags-Prognostikon, 1878), Bismarc-
k-Album, S. 105.
Jemandem einen Vogel zeigen, Sich einen Vogel in die Stirn bohren: gegen jemanden die Dummheitsgebärde machen (auch als ›Autofahrersprache‹ oder ›Autofahrergruß‹ bezeichnet).
Vögel (öfter: Spatzen) unter dem Hut haben: den Hut zum Gruß nicht abnehmen.
Einen toten Vogel in der Tasche haben: einen Darmwind entweichen lassen, nach Darmgasen riechen (seit 1900 belegt).
's Vöglein zur Ader lassen: natürliche Bedürfnisse befriedigen; besonders schwäbisch: ›'s Vögele zur Ader laun‹.
Den Vogel abgeschossen haben: die beste Leistung erzielt haben; vom volkstümlichen Brauch des Vogelschießens hergenommen (vgl. die Darstellung auf dem niederländischen Bilderbogen der Bauernkirmes), wo derjenige Schützenkönig wird, der den Vogel herunterschießt; vgl. englisch: ›to take the cake‹.
Einem die Vögel auf dem Dache weisen: ihn nicht bezahlen, eigentlich auf einen sehr unsicheren Besitz verweisen, der wie die Vögel auf dem Dach plötzlich verschwunden sein kann. Von einem Menschen in unsicherer Position sagt man ähnlich z.B. in Bedburg: ›Dä ess jetzt wie 'ne Voggel op de Heck‹.
Dem Vogel noch Flügel ansetzen: den Eiligen noch anspornen.
Den Vogel fliegen (pfeifen, singen) lehren: etwas Überflüssiges tun.
Friß Vogel oder stirb!: wer das vorgesetzte Futter nicht mag, wird verhungern müssen; übertragen: es gibt nur diese eine, unangenehme Möglichkeit. Um einen Vogel kirre zu machen, wird ihm bestimmtes Futter vorgesetzt und kein anderes. Luther schreibt: »Wie du wilt, Vögelin, wiltu nicht essen, so stirb«; in der ›Zimmerischen Chronik‹ (I, 271): »es hieß ›compelle intrare, Vogel iß oder sterb!‹ Auch in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹ (II, 203) heißt es: »Ich dachte, jetzt heißts: Friß Vogel oder sterb«. Der Straßburger Pfarrer Johann Nikolaus Weislinger (1691-1755) verfaßte 1722 eine Schmähschrift auf Luther ›Friß, Vogel, oder stirb!‹
Wie ein Vögelchen essen: sehr wenig zu sich nehmen, häufig von Kindern und Kranken gesagt; vgl. französisch ›manger comme un petit oiseau‹.
Sich die gebratenen Vögel (Tauben) in den Mund fliegen lassen: es sich wie im ⇨ Schlaraffenland ohne Arbeit wohl sein lassen. Abraham a Sancta Clara gebraucht diese Wendung öfters, z.B. schreibt er in seinem ›Judas‹ (III, 155): »Ihnen fliegen die gebratenen Vögel ins Maul«; ⇨ Taube.
Ein Vögelchen davon haben singen hören: auf geheimnisvolle Weise Kunde von etwas erhalten haben, die für andere unerwartet und überraschend ist; vgl. niederländisch ›'t Vogelken heeft het mij verteld‹ und englisch ›A little bird told me‹ ⇨ Finger.
Diese Redensarten gehen wohl auf alten Volksglauben zurück, nach dem die Vögel den Menschen geheime Mitteilungen machen oder sie warnen, wie dies in vielen Märchen, Sagen, Volksliedern als Motiv vorkommt. Sigurd versteht in der ›Edda‹ die Sprache der Vögel, die ihn warnen, und Odin hatte die Raben Hugin und Munin zur Seite, die ihm über alles berichten, was sie sehen und hören.
Die Vorstellung, daß die Vögel Nachrichten verbreiten, ist bereits in biblischer Zeit vorhanden. Beim Spr 10, 20 heißt es warnend: »Fluche dem König nicht in deinem Herzen und fluche dem Reichen nicht in deiner Schlafkammer; denn die Vögel des Himmels führen die Stimme fort, und die Fittiche haben, sagen's weiter«.
Er hat den Vogel pfeifen hören: er hat die Sache gemerkt; was verborgen bleiben sollte, ist ihm auf geheimnisvolle Weise zu Gehör gekommen. Die entgegengesetzte Bedeutung hat die Redensart ›Die Spatzen pfeifen es von den (allen) Dächern‹, das angebliche Geheimnis ist in aller Munde, die ganze Stadt spricht schon davon; westfälisch ›Dat wietet de Vüegel upm Dake‹.
Seinen Vogel auslassen: sein eigentliches Anliegen vorbringen. Der Vogel ist ausgeflogen: der Gesuchte ist nicht daheim (vgl. Nest), der Gefangene ist entflohen. Dagegen heißt Der Vogel sitzt: der Dieb ist im Gefängnis.
Der Vogel ist ins Garn (auf den Leim) gegangen: er hat sich überlisten lassen. Die Redensart kommt aus dem Bereich der Vogelstellerei, bei der die Vögel mit Netzen oder Leimruten gefangen wurden, die von ihnen nicht als gefährlich erkannt werden konnten.
Häufig wird der Mensch mit einem Vogel verglichen, der durch verschiedene Adjektive noch näher charakterisiert wird. Bereits Wickram bezeichnet im 16. Jahrhundert einen ausgelassenen oder liederlichen Menschen als Losen Vogel. Ein Mensch mit sonderbaren Ansichten und merkwürdigen Gewohnheiten wird ein Seltener (rarer, komischer) Vogel genannt. Vergleiche niederländisch ›Dat is ook een rare vogel‹. In den ›Satirae‹ (I, 46) des Aulus Persius Flaccus (34-62 n. Chr.) findet sich wie bei Juvenal (60-140 n. Chr.) der Ausdruck »Rara avis« = ein seltener (rarer) Vogel.
Die älteste deutsche Benutzung der Wendung im Sinne von äußerst seltener Erscheinung findet sich bei Luther. In seiner Schrift ›Von weltlicher Obrigkeit‹ (Weimarer Ausgabe 11, 267) steht: »Und solt wissen, das von anbegynn der wellt gar eyn seltzam vogel ist umb eyn klugen fursten, noch viel seltzamer umb eyn frumen fursten«. Vergleiche auch: ›Ein weißer Rabe sein‹, ein Ausdruck, der von Juvenal (›Sat.‹ VII, 202) überliefert ist. Ein Leichtsinniger ist ein Leichter (lockerer, lustiger) Vogel. Im ›Rollwagenbüchlein‹
(XVI und XXXII) wird ein Taugenichts als Nasser Vogel treffend charakterisiert, denn er ist sowenig nütze wie ein naßgewordener Vogel, der nicht mehr fliegen kann.
Es sind Vögel von einerlei Federn: es sind Menschen von gleichem Schlage, einer ist nicht besser als der andere. Vergleiche niederländisch ›Het zijn vogels van eender veren‹.
Die Redensart Ich bin ein gesprenkelter Vogel: ich werde von allen Seiten angegriffen, ist biblischer Herkunft. Jer 12, 9 heißt es:
Mein Erbe ist wie der sprenklige Vogel,
Um welchen sich die Vögel sammeln.
Vergleiche niederländisch ›Het is een gesprenkelte vogel‹.
Vogel-Strauß-Politik treiben ⇨ Strauß.
›Vogel Selbsterkenntnis‹ ⇨ Nase.
Vogel (Vogelschnabel) ist vulgärsprachlich der Name für den Penis; ähnlich ›Den Vogel zwitschern lassen‹: koitieren; ›Vogelhäusel‹: Hosenschlitz; ›Loser Vogel‹: Frauenheld; ›Vogelbauer‹: Vulva, aber auch: Bordell; ›Vogelscheuche‹: Frau, die einen am Geschlechtsverkehr hindert.
Vogel und Nest ist ein häufiges Sprichwort-Bild für die sexuelle Verbindung von Mann und Frau: z.B. ›Jeder Vogel hat sein Nest‹; ›Komm Vögelchen, wir gehn ins Nest!‹ u.a. (E. Borneman: Sex im Volksmund [Reinbek b. Hamburg 1971]).
›Vögeln‹ bedeutet in der Umgangssprache koitieren. Ursprünglich hieß der Geschlechtsakt bei Vögeln treten, ⇨ treten. Zwei alte Belege bietet das Schwäbische Wörterbuch (II, Spalte 1608): ›Es ist gar ain boese Henn, Die ... wonen wil bi ainem Han, und sich nit wil füglen lan‹. Bei Sebastian Franck heißt es: ›Mali corvi malum ovum: Wie es vogelt, also legt es Ayer‹.
• A. DE COCK: 't Vogelken heeft het mij verteld, in: Volkskunde 22 (1911), S. 96-100; K. KNORTZ: Die Vögel in Geschichte, Sage, Brauch und Literatur (München 1913); besonders Kapitel IX: Gemischte Gesellschaft, S. 244-296; R. RIEGLER: Tiernamen zur Bezeichnung von Geistesstörungen, in: Wörter und Sachen 7 (1921), S. 129ff.; E. INGERSOLL: Birds in Legend, Fable and Folklore (New York 1923); A. TAYLOR: Artikel ›Vogel‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Spalte 1673-1679; E. HOLLERBACH: Vom Ursprung und von den Anfängen des Vogelschießens (1938); H. RAUSCH: Den Vogel abschießen, in: Sprachfreund 4, Nr. 6 (1955), o.P.; S.A. WOLF: Hast wohl 'n Vogel?, in: Muttersprache 65 (1955), S. 23-24; L. HONKO: Krankheitsprojektile. Folklore Fellows Communication 178, (Helsinki 1959); R. PIPPING: Den gaspande fageln
(Der gähnende Vogel in einem Sprichwort), in: Syn og Segn (1959), S. 114-117; J. HASSPACHER: Die Geschichte der Dresdner Vogelwiese, in: Zeitschrift für Volkskunde, 56 (1960), S. 55-73; J. JAENECKE-NICKEL: Abschußvogel und Abwurftaube, in: Festschrift 75 Jahre Museum für Volkskunde (Berlin 1964), S. 191-194; L. RÖHRICH: Krankheitsdämonen, in: Volksmedizin (Darmstadt 1967), S. 283ff.; L. RÖHRICH und G. MEINEL: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 316f.; TH. REINTGES: Das Vogelschießen der Schützen, in: Miscellanea für Prof. Dr. K.C. Peeters (Antwerpen 1975), S. 582-586; B. GARBE: Vogel und Schlange. Variation eines Motivs in Redensart, Fabel, Märchen und Mythos, in: Zeitschrift für Volkskunde 75 (1979), S. 52-56; E. und L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben. Eine volkskundliche Sammlung aus verschiedenen europäischen Ländern von der Antike bis heute (Wiesbaden 1989).
Einen Vogel haben. Zeichnung von Brisolla, Abbildung 2.
Den Vogel abschießen. Detail aus einem flämischen Bilderbogen: Vogelschießen als Volksbelustigung.
Friß Vogel oder stirb. Zeichnung von Wilhelm Scholz (Reichstags-Prognostikon, 1878), Bismarc-
k-Album, S. 105.