Redensarten Lexikon
Taube
Tauben im Kopf haben: sonderbare Einfälle haben; im 16. und 17. Jahrhundert öfters bezeugt (ähnlich: ›Rosinen im Kopf haben‹, ›Grillen haben‹), z.B. im ›Simplicissimus‹.    Warten, bis einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen: ohne Anstrengung etwas erreichen wollen; nichts tun und dennoch auf gute Einnahmen warten. Die Redensart bezieht sich auf die Erzählungen vom Schlaraffenland (Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm 158), wo den Faulen tatsächlich die gebratenen Tauben in den Mund geflogen kommen.
   Schon Luther gebraucht die Anspielung auf die Schlaraffenland-Erzählung redensartlich (Weimarer Ausgabe, Bd. XII, S. 635): »Dir wird keine gebratene Taube in den Mund fliegen«; 1532 heißt es in der ›Namenlosen Sammlung‹ (Nr. 631): »Har biß dir ein gebratne taub ins Maul fliege«. In der beigefügten Erklärung steht, daß man dies Sprichwort anwendet »gegen denen, die nichts thun woellen, vnd meynen Gott soll jn geben vnd thun was sie begeren, on arbeyt vnd fleiß«. Bei Grimmelshausen im ›Simplicissimus‹: »Keine gebratene Taube kommet auch keinem in das Maul geflogen, er muß danach gehen und sie zuvor fangen«. Goethe erweitert die Redensart in ›Sprichwörtlich‹:

   Wer aber recht bequem ist und faul,
   Flög dem eine gebratne Taube ins Maul,
   Er würde höchlich sich's verbitten,
   Wär sie nicht auch geschickt zerschnitten.

Auch andere Vögel kommen in der gleichen Wendung vor, so bei Luther ein gebratenes Huhn, das dem faulen Glückspilz zufällt; 1639 bei Lehmann S. 407 (›Hoffnung‹ 32): »Hoffnung ist ein pein: wart biß ein gebraten Lerch ins Maul fleucht«. Ebenso heißt es schon in Rabelais' ›Gargantua und Pantagruel‹: »Il attend que les alouettes lui tombent toutes rôties« (Er erwartet, daß ihm die Lerchen ganz gebraten herabfallen). Ganz ähnlich lautet die Redensart noch heute im Französischen: ›attendre que les alouettes vous tombent toutes cuites dans la bouche‹.
   In der antiken Vorstellung vom Goldenen Zeitalter ist im selben Zusammenhang von gebratenen Krammetsvögeln die Rede. Schon der griechische Komiker Telekleides (5. Jahrhundert v. Chr.) sagt: »Gebratene Krammetsvögel mit kleinen Kuchen flogen einem in den Schlund hinein«, während sie nach Pherekrates voll Sehnsucht, verspeist zu werden, einem »um den Mund herumflogen« (Büchmann).
   Sich die gebratenen Tauben in den Mund fliegen lassen: sich untätig nur dem Genuß hingeben, sich verwöhnen lassen.
   Turteln wie die Tauben: ganz verliebt sein und es vor aller Welt zeigen; Küssen und Schmusen eines Liebespaares.
   Die Taube galt schon bei den Römern als Vogel der Liebe; ihr Name war ein Kosewort (»mein Täubchen«) wie schon im ›Hohen Lied‹ Spr 2, 14; 5, 2).
   Die (Turtel)taube erscheint als Liebessymbol oft im Volkslied, insbesondere in der Formelstrophe:

   Saßen einst zwei Turteltauben
   noch auf einem dürren Ast,
   wo sich zwei Verliebte scheiden,
   da verwelket Laub und Gras.

Die Taube symbolisiert in der Bibel außerdem die Aufrichtigkeit (Mt 10, 16) und ist ein sichtbares Zeichen des Heiligen Geistes (Mt 3, 16; Mk 1, 10; Lk 3, 22).
   Die Taube gilt auch als Symbol der Unschuld.
   Die weiße Taube erscheint bevorzugt als Seelenvogel; vgl. auch das Lied ›La paloma‹, in dem die Taube der Geliebten die Todesnachricht des auf See gebliebenen Seemanns überbringt.
   Auch als Friedenssymbol ist die Taube bereits seit Jahrhunderten bekannt: Eine der drei Tauben, die Noah aus der Arche fliegen ließ, kehrte zu ihm mit einem Ölzweig zurück (vgl. Gen 8, 11). Sie wurde zum Zeichen des Friedens und später auch der Friedensbewegung in der Welt überhaupt.
   In der mittelalterlichen Bedeutungslehre wurden oftmals Taube und Falke einander gegenübergestellt, um verschiedene Stände und Lebenshaltungen zu kennzeichnen. Die Taube galt als Bild des geistlichen, klösterlichen, friedfertigen Lebens, der Falke hingegen symbolisierte den ritterlichen, kampfbereiten Menschen; so bei Hugo de Folieto, in: ›De nota verae religionis‹ (Ohly, S. 49).
   Auf ganz ähnliche Weise unterscheidet man noch heute in den USA ›Falken‹ und ›Tauben‹ bei den Politikern des ›Weißen Hauses‹; oft mit dem Hinweis in den Medien, daß sich wieder einmal die ›Falken‹, die weniger Kompromißbereiten, die in militärischer Hinsicht besonders Wachsamen und Unnachgiebigen, auch die Abrüstungsgegner durchgesetzt hätten, Falke.
   Auf den gleichen Sachverhalt bezieht sich ein 1982 veröffentlichter Schlager von Christoph Busse unter dem Titel: ›Die weißen Tauben sind müde‹. Der pessimistisch klingende Text spielt in übertragener Bedeutung auf die Friedfertigen an, die ihre Kräfte verloren haben, sich unterlegen fühlen und resignierend dem Untergang der Welt entgegensehen:

   Die weißen Tauben sind müde,
   sie fliegen lange schon nicht mehr.
   Sie haben viel zu schwere Flügel,
   und ihre Schnäbel sind längst leer.
   Jedoch die Falken fliegen weiter,
   sie sind so stark wie nie vorher,
   und ihre Flügel werden breiter,
   und täglich kommen immer mehr,
   nur weiße Tauben fliegen nicht mehr.

• BOLTE-POLÍVKA III, 244-258; JOH. BOLTE: Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Volkskunde 20 (1910); E. SCHNEEWEIS: Artikel ›Taube‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Spalte 693-705; F. OHLY: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung (Darmstadt 1977), S. 48-86; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Teil 4: Tiere. Aus dem Nachlaß herausgegeben von H. Vogel (Bonn – Bad Godesberg 1978), S. 1394-1404; K. SINKO: Die Taube als Unschuldssymbol, in: N.A. Bringéus (Hrsg.): Man and picture (Lund 1986), S. 237-251; E. und L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben. Eine volkskundliche Sammlung aus verschiedenen europäischen Ländern von der Antike bis heute (Wiesbaden 1989), S. 350-384; B. CHR. MUSCHIOL: ›Keine Rose ohne Dornen‹, zur Funktion und Tradierung v. Liebesstereotypen (Diss. Freiburg 1991), S. 66-69; weitere Literatur Schlaraffenland.
Warten, bis einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Detail aus einem flämischen Bilderbogen, 18. Jahrhundert.
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