Redensarten Lexikon
Stuhl
Einem den Stuhl vor die Türe setzen: jemanden aus dem Hause weisen, einen Dienst, ein Verhältnis aufkündigen. Die Redensart geht auf einen Rechtsbrauch zurück, wobei der Stuhl als Rechtssymbol zur Bezeichnung von Eigentumsrecht und Herrschaft gilt (vgl. ›be-sitzen‹). Umgekehrt verliert man durch Ent- setzung Macht und Eigentumsrecht (vgl. ›Amtsentsetzung‹, ›Thronentsetzung‹).    So war es in alter Zeit auch Rechtsbrauch, Personen, die sich zum zweiten Male verheirateten, die ›ihren Witwenstuhl verrückten‹, von der Gütergemeinschaft mit den Kindern erster Ehe auszuschließen. Es wurde ihnen der Stuhl wirklich vor die Tür gesetzt, was aus dem folgenden Zeugnis hervorgeht: »Ob sich das mensch verändert, möchten die kind ihm oder ir ein Stuhl für die thür setzen, alles von altem herkommen und hötte dasselb mensch kein recht mehr in dem haus« (vgl. Jacob Grimm, Rechtsaltertümer I, 259ff.). Ein Beleg für diese Redensart findet sich auch bei Abraham a Sancta Clara (›Narren-Nest‹ II, 23). In übertragener Bedeutung ist die Wendung seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bezeugt; auch mundartlich kommt sie vor, zum Beispiel ›enem den Stool vor de Döre setzen‹, einem den Contract oder den Dienst aufsagen (›Bremisch-niedersächsisches Wörterbuch‹ [1767ff.], 4, 1046).
   Sich zwischen zwei Stühle setzen: zwei Dinge (Vorteile) gleichzeitig anstreben, von denen man keines erhält; sich in seinen Hoffnungen betrogen sehen; in Not und Verlegenheit sein; zwischen zwei Meinungen oder Parteien hin und her schwanken. Nach den ›Proverbes au vilain‹ heißt es ebenso wie in der ›Fecunda ratis‹ des Egbert von Lüttich (11. Jahrhundert): »Entre dous seles chiet cus a terre« (= Zwischen zwei Stühlen sitzt der Arsch am Boden). Ähnlich heißt es lateinisch:

   Labitur enitens sellis haerere duabus.
   Sedibus in mediis homo saepe resedit in imis,

dann auch mittelhochdeutsch, so in einem Lied Walthers von Metze (um 1250):

   Ez ist ein wunder an mir
   daz ich elliu wîp dur si mîde
   sus bin ich an die blôzen stat
   zwischen zwein stüelen gesezzen.
   An der selben stat hat sî mîn vergezzen.

Vergleiche noch Bebel Nr. 587: »Inter duo scabella in terram residere«. Tunnicius (1515): »De vp beiden stolen will sytten, de sytten dar vake tusschen dale«. In einem Streitgedicht von Burkard Waldis gegen den Wolfenbüttler Herzog heißt es: »Auffs letst sitz neben stul darnieder«.
   Auch Abraham a Sancta Clara kennt (›Judas‹ IV, 194): »Zwischen zweyen Stuhlen niedersitzen«. Ebenso Thomas Murner: »Zwischen stuelen nider sitzen«. Vergleiche englisch ›Between two stools one goes (falls)to the ground‹; französisch ›demeurer entre deux selles le cul par terre‹, auch: ›s'asseoir entre deux chaises‹, im Sinne von: zwei entgegengesetzte Ziele gleichzeitig anstreben.
   Vor Schreck vom Stuhl (Stengel) fallen (vgl. l. Sam. 4, 18) sagt man, um die Stärke einer plötzlichen Gemütsbewegung auszudrücken.
   Einem den Stuhl (unter dem Hintern) wegziehen: besonders frech, auch schadenfroh sein; dem anderen im übertragenen Sinne keinen Platz gönnen. Übermütige junge Leute ziehen den Stuhl gern gerade dann weg, wenn sich einer von ihnen setzen will, wobei der Gefoppte übel zu Fall kommen oder lächerlich gemacht werden kann.

• C.T. RAMAGE: To sit between two stools, in: American Notes and Queries 4, 10 (1872), S. 181-182; J. BROECKAERT: Tusschen twee stoelen in de assche, in: Volkskunde 21 (1910), S. 246; F. BEYSCHLAG: Zur Geschichte eines mittelalterlichen politischen Schlagwortes: Die Stüel ston auf den Benken, in: Blätter für bairische Volkskunde 11 (1926), S. 16-19; P. GEIGER: Eigentum und Magie, in: Vkdl. Gaben., Festschrift John Meier (Berlin – Leipzig 1934), S. 36-44; A. HABERLANDT: Artikel ›Stuhl‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens IX (Nachtr.), Spalte 788-790; K. RUMPF: Hessische Brautstühle, in: Volkswerk (1942), S. 37-53; L. SCHMIDT: Bank und Stuhl und Thron, in: Antaios XII, 1 (1970), S. 85-103; H.-W. GOETZ: Der ›rechte Sitz‹. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung, in: Symbolik des Alltags – Alltag der Symbole, Festschrift für H. Kühnel (Graz 1991).

Sich zwischen zwei Stühle setzen. Misericordiendarstellung in Amsterdam, 16. Jahrhundert.

Sich zwischen zwei Stühle setzen. P.e.R., Plate CXXXIV.

Sich zwischen zwei Stühle setzen. Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512.

Sich zwischen zwei Stühle setzen. Detail aus einem Bilderbogen aus Ost-Flandern, um 1700.

Sich zwischen zwei Stühle setzen. Misericordiendarstellung in Rouen, 15. Jahrhundert.
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