Redensarten Lexikon
Stiefmutter
Etwas seiner Stiefmutter klagen: alle Mühe umsonst aufwenden, an die falsche Stelle gehen, kein Gehör finden. Die Redensart beruht auf der lateinischen Wendung ›apud novercam queri‹, die bei Plautus bezeugt ist. Vergleiche auch: ›Dem Wolf (Henker) beichten‹. Die Redensart verzeichnet auch Sebastian Franck (II, 16a). Vergleiche niederländisch ›Klaag het uwe stiefmoeder‹. Auch das französische Wort für Stiefmutter bezeichnet sowohl die zweite Frau des Vaters wie die böse Mutter: ›la marâtre‹.    Im Gegensatz zum Stiefvater spielt die Stiefmutter in Märchen, Sage und Volksglauben eine bedeutende Rolle. Die Stiefmutter wurde schon in früher Zeit als hart, boshaft und grausam geschildert. In althochdeutscher Sprache findet sich ein Beleg bei Notker (1, 800, Piper):

   ten sin stiefmuoter vilo willigo sougta,
   doh si anderiu iro stiefchint hazeti.

Besonders im Märchen wurde die Stiefmutter zur typischen, festausgeprägten bösen Gestalt, die die Kinder quälte, hungern ließ und vom Hause vertrieb oder sie sogar als böse Hexe verwandelte, verfolgte und tötete. In den Kinder-und Hausmärchen der Brüder Grimm finden sich dafür viele Beispiele
   Auch Hans Sachs übernahm noch bedenkenlos dieses Vorurteil und reimte (20, 364, Ausgabe Keller- Goetze):

   Da wurd sie irem stieffson feind,
   Wie gwönlich all stieffmütter seind.

Häufig begegnet die Stiefmutter auch im Sprichwort in einer negativen Rolle. Bei Petri heißt es zum Beispiel in der ›Teutschen Weiszheit‹ (2, y 5a):

   Ein stieffmutter ist ein böse ruth
   Und thut den kindern selten gut.

Die sprichwörtliche Bosheit der Stiefmutter überträgt sich nach dem Sprichwort auch auf den Stiefvater: »bestimmte Umstände (legen) ein bestimmtes Verhalten nahe ...: Hänsel und Gretel (Aarne-Thomson 327A) und andere Stiefmuttermärchen wirken wie Belegerzählungen zum Sprichwort ›Stiefmutter macht auch Stiefvater‹ »(Lüthi, Spalte 627).
   An der Stiefmutter Grabe weinen, auch: Um die Stiefmutter weinen: Tränen und Trauer heucheln. Vergleiche niederländisch ›Hij schreit op zijn stiefmoeders graf‹.
   ›Du gäbst e rechte Stiefmutter‹ heißt es im Schwäbischen als Vorwurf gegenüber einer harten, boshaften und geizigen Person.
   Seinem Maule (Munde, Leibe) keine Stiefmutter sein: sich nichts abgehen lassen, sich selbst alles gönnen. Die Wendung ist besonders im mitteldeutschen und oberdeutschen Raum verbreitet.
   Er braucht keine Stiefmutter sagt man scherzhaft von einem Menschen, der sich gut in der Zucht hat, der sehr streng gegen sich ist.
   Jemanden (etwas) stiefmütterlich behandeln: jemanden (etwas) unnatürlich hart behandeln, ihn zurücksetzen, etwas vernachlässigen.

• G. SCHAMBACH: Die Familie im Spiegel plattdeutscher Sprichwörter, in: Bremer Sonntagsblatt, 3 (Bremen 1855), Nr. 4, S. 28/9; J. HALTRICH: Die Stiefmutter in der siebenbürgisch- sächsischen Volkspoesie (Wien 1856); W. LINCKE: Das Stiefmuttermotiv im Märchen der germanischen Völker (= Germanische Studien 142) (Berlin 1933); M. BETH: Artikel ›Stiefeltern‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Spalte 478-480; F. VONESSEN: Die Unglaublichkeit der Wahrheit. Zur Mythologie des Stiefmuttermärchens, in: Scheidewege I (1971), S. 429-449; S. BIRKHÄUSER-OERI: Die Mutter im Märchen (Stuttgart 1976); M. LÜTHI: Bosheit, böse, in: Enzyklopädie des Märchens II (1979), Spalte 618-634; M. TATAR: The Hard Facts of the Grimms' Fairy Tales (Princeton [N.J.] 1987); L. RÖHRICH: Das Bild der Frau im Märchen und im Volkslied, in: Jacob und Wilhelm Grimm zu Ehren, herausgegeben von H.-B. Har-
der und D. Hennig (= Schriften der Brüder Grimm-Ges. Kassel 18) (Marburg 1989), S. 35-61; R. BÖHM-KORFF: Deutung und Bedeutung von ›Hänsel und Gretel‹ (=Artes populares 21) (Frankfurt/M. 1991).
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