Redensarten Lexikon
Stab
Der Stab hat verschiedene Bedeutungen und Funktionen; so bezeichnet er mittelhochdeutsch das Steckenpferd der Kinder: ›ûf einem stabe rîten‹ dient hier zur Bezeichnung der Kindheit:
   der ich gedienet hân mit staetekeit
   sît der stunt deich ûfem stabe reit
   (Minnesangs Frühling 206, 18).

Von der ganz konkreten Vorstellung gehen die Redewendungen aus, die den Stab als Stütze bezeichnen; ursprünglich war damit die Stütze für schwache Pflanzen gemeint, wurde aber dann auch auf den Menschen übertragen, so schon mittelhochdeutsch ›an einem stabe gân‹ = schwach, kraftlos sein:

   werlt, dû trûrest al ze sêre,
   dîn lop gêt an einem stabe
   (Minnes. 2, 61b, Hagen).

Häufiger jedoch gebrauchte man ›âne stap gên‹ zur Bezeichnung von Gesundheit und Rüstigkeit; dann wurde das Bild des Stabes auch übertragen gebraucht; so reimte schon der Winsbeke (um 1220):

   Du wer e snel, nu ist din trit
   zu nahe leider bi dem stabe.
Der nordhochdeutschen Redensart Stab und Stütze seiner Eltern sein kommt Rudolf von Ems näher, wenn er sagt: »Du soldest mines alters stap und miner vreuden sunnenschin mit liebe an minem alter sin«. Hier ist der Stab, auf den man sich stützt, noch als Attribut des Alters gesehen, wie ja auch alte germanische Rechtsformeln von dem, der selbst über seinen Besitz verfügen wollte, verlangten, daß er ohne Stab und Stütze allein gehen und stehen konnte. Dann aber wurde er neben der körperlichen auch der vorübergehenden seelischen Schwäche zugestanden; in dem Sinne etwa Schiller: »Laßt uns ... ihr ein Stab sein auf dem Todesweg« (›Maria Stuart‹ V, 1).
   Im germanischen Recht drückte der Stab weiter zwei entgegengesetzte Ideen aus, 1. die des Aufgebens von Gewalt oder Besitz, 2. die des Ausübens von Macht.
   In dem Bild des Wanderstabes spielt neben der Funktion als Stütze auch die Vorstellung von der Besitzlosigkeit und Heimatlosigkeit eine Rolle, so daß sich die Redewendung vom Wanderstab und vom Bettelstab nicht immer klar gegeneinander abgrenzen lassen.
   Den Stab ergreifen: eine Wanderung beginnen; vgl. französisch ›prendre son bâton de pèlerin‹ (wörtlich: den Pilgerstab ergreifen); Seinen Stab weitersetzen (17./18. Jahrhundert): weitergehen; Seinen Stab weitersetzen müssen: noch nicht am Ende der Wanderung sein.
   Der weiße Stab war das Zeichen der Bettler sowie auch der Verbannten und Verwiesenen, die das Land räumen mußten; ebenso trugen auch Kriegsgefangene und verurteilte Aufrührer sowie Abgesandte, die die Übergabe anboten, einen weißen Stab in der Hand.
   An den (weißen) Stab kommen: zum Bettler werden; Mit dem weißen Stabe zum Tore hinausgehen: seinen Besitz verloren haben, mit leeren Händen aus seinem Wirkungskreis treten. In der niederländischen Redensart ›Hij is gesprongen en heeft ons den staf gelaten‹ wird den anderen der weiße Stab zurückgelassen, nachdem deren Vermögen aufgebraucht ist; es handelt sich also hier mehr um einen Betrüger als um einen Bettler.
   Deutlicher sind die späteren Wendungen An den Bettelstab kommen (bringen, den Bettelstab ergreifen). Bettelstab.
   Der weiße Stab als Zeichen des Sich-Ergebens findet sich in folgenden Redensarten: Mit weißen Stäben ausziehen, Mit einem weißen Stäblein ziehen: sich auf Gnade und Ungnade ergeben (Zeit der Bauernkriege).
   Der Stab als Zeichen von Macht, von höchster Gewalt findet sich in den Händen von Königen (Zepter), Fürsten, Bischöfen und Richtern und wird von Bittenden, Gelobenden und Schwörenden berührt. Ebenso tragen Boten und Herolde eines Herrschers einen Stab mit dem Zeichen ihres Herrn, um als Gesandte ausgewiesen zu sein. Der bischöfliche Krummstab ist eine Nachbildung des Hirtenstabes; die Redensart Unter dem Krummstab leben: unter der Herrschaft eines Bischofs, in einem geistlichen Fürstentum leben, ist meist positiv gemeint (vgl. das Sprichwort ›Unter dem Krummstab ist gut leben‹).
   Auch die Gerichtsbarkeit wurde vom Herrscher verliehen, der Gerichtsstab war das Symbol dieser Vollmacht, das Zeichen der richterlichen Gewalt. An diesen Stab wurde der Gerichtseid sowohl von dem Angeklagten als auch von dem Richter gelobt; daher Den Eid staben oder An den Stab geloben, eine Redensart, die schon früh belegt ist, so bei Wolfram: »sus stabt er selbe sînen eit« (›Parzival‹, Lachmann 269, 3); im Sächsischen Receßbuch von 1494 heißt es: »und doruf hat Hans Moier ... ganze und genugsame verzicht und absagunge an gerichtsstab gethan,... geredt und gelobet«. Mit dem Gerichtsstab wurde die Verhandlung eröffnet; so beginnen viele Urkunden: »Da ich mit gewaltigem Stabe zu gericht saß« o.ä. Mit ihm gebot der Richter Ruhe, und solange er ihn in der Hand hielt, blieb die Versammlung beisammen, war das Gericht gleichsam feierlich beschirmt; legte er ihn aber nieder, so war die Verhandlung beschlossen. Beim peinlichen Gerichtsverfahren wurde dem zum Tode Verurteilten unmittelbar vor seiner Hinrichtung der Stab über dem Haupt zerbrochen und ihm vor die Füße geworfen, wozu der Richter sagte: ›Nun helf dir Gott, ich kann dir nicht ferner helfen‹, das heißt Gericht und Urteil sind unwiderruflich: daher die Redensart Den Stab über jemanden brechen (heute auch über etwas): jemanden verurteilen, ein zu hartes Urteil über jemanden sprechen. Eine weitere Sitte am Ende einer Verhandlung war, daß beim Aufstehen der Richter und Beisitzer Stühle und Bänke umgestürzt wurden zum Zeichen, daß nicht weiterverhandelt wurde.
   Wie der Stab Gesandte des Königs auswies, so wurde er auch den militärischen Führern gegeben, so daß er zum Abzeichen der militärischen Obergewalt wurde. Der Feldherr trug früher als Erkennungszeichen den Feldherrn- oder Marschallstab (vgl. französisch ›obtenir son bâton de maréchal‹, im Sinne von: die höchste Stufe in einem Beruf erreichen); seine Berater, die Stabsoffiziere, bildeten den Generalstab. Später wurde dann der Begriff auf die Gesamtheit der höheren Offiziere eines Heeres oder Heeresteiles übertragen (Armee-, Divisions-, Regiments-, Bataillons-, Kompaniestab). Aus diesem Bereich stammen die Redensarten Schulden haben wie ein Stabsoffzier, so auch rheinisch ›He hät Scholden (Honger) wie ene Stabsoffizier‹; Backen wie ein Stabstrompeter: so dick und aufgeblasen. Älter ist die Wendung Stab und Stange tragen können: waffenfähig sein. Der Begriff, Stabführung; wurde auch auf die Orchesterleitung angewandt. Der Taktstock ist das Überbleibsel eines wirklichen Stockes, einer Stange, mit der der Kapellmeister den Takt stieß.
   Ganz konkret wurde der Stab auch zum Messen gebraucht (vgl. ›Maßstab‹), was noch in der schweizerischen Redensart sichtbar wird ›guet a d'Stäb cho‹, gutes Maß erhalten. Dem deutschen ›Jemanden nur mit der Zange anfassen mögen‹ entspricht das schweizerische ›nid mit eme Stäbli arüere‹ (Luzern), was beides von einer schmutzigen, aber auch übertragen von einer widerwärtigen Person gesagt wird; ebenfalls schweizerisch ist die Redensart ›Er macht Stäbli uf und Stäbli ab‹ (Luzern), er redet bald so, bald so.
   Früher scheint es Brauch gewesen zu sein, daß der Vater des neugeborenen Kindes auf seinem Weg zum Pfarrer zur Bestellung der Taufe sowie auch zu den Paten einen (weißen) Stab getragen hat; von diesem Brauch sind noch die Wendungen erhalten: mit dem weißen Stabe zum Pfarrer gehen (schlesisch), Mit dem großen Stabe laufen: zu Gevatter bitten.
   In den Mundarten ist Stab nicht recht gebräuchlich und wird meist durch Stock, Stecken, Latte, Stange u.ä. ersetzt; zu den wenigen mundartlichen Wendungen gehören rheinisch ›nit wijer spröngen als de Stab reckt‹, sich nicht zuviel zutrauen; hessisch bedeutet »stäbeln«: sich stolz, breit hinstellen, zum Beispiel ›hä stewelt sich wie die Lus (Laus) im Grinne‹.

• R. BRAUSER: Disqvisitio Jvridica Paroemiae »Unter dem krummen Stabe ist gut wohnen« (Jena 1712); ANONYM: Cöllnischer Krummstab schleust die Weiber aus, oder Vorstellung, daß die Ertz-Stifft Cöllnische Lehen regulariter auf den Mann-Stamm alein gerichtet (Hildesheim 1725); W.H. JONES: To break the staff over anyone, in: American Notes and Queries 6, 8 (1883), (S. 323-325); E.V. MÖLLER: Die Rechtssitte des Stabbrechens, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 21 (1900), S. 27-115; K.V. AMIRA: Der Stab in der germanischen Rechtssymbolik (= Abhandlungen d. Bayer. Akad. d. Wiss., phil. -hist. Kl., 25. Bd., 1. Abhandlung) (München 1909); H. SIUTS: Bann und Acht und ihre Grundlagen im Totenglauben (= Schriften zur Volksforschung Bd. I (Berlin 1959), S. 115ff.; L. KRETZENBACHER: »Stabbrechen« im Hochzeitsritus? Zur apokryphen Erzählgrundlage eines Bildmotivs, in: Fabula 6 (1963), S. 195-212; W. MÜLLER: Fertigung und Gelöbnis mit dem Gerichtsstab nach alemannisch- schweizerischen Quellen (Sigmaringen 1976); L. CARLEN: Rechtsstäbe im Wallis, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde Bd. I (Zürich 1978), S. 36-54; Strafjustiz in alter Zeit (Bd. III der Schriftenreihe des Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber) (Rothenburg 1980), S. 226.

Am Bettelstab gehen. Flugblatt auf den versoffenen Bettler, 18. Jahrhundert (›Gedruckt im Jahr /Da kein Geld bey Bettlern war‹), Hamburg, Stadtbibliothek.

An den Stab geloben. Holzschnitt aus: Bambergische Halsgerichtsordnung, Mainz 1508, aus: Fr. Heinemann: Der Richter und die Rechtspflege in der deutschen Vergangenheit, Leipzig o.J. Abbildung 8.

Über jemand den Stab brechen. Holzschnitt aus ›Reinicke Fuchs‹, 1662: Der Löwe als Richter bricht den Stab über den Fuchs. Aus: Strafjustiz in alter Zeit, Katalog des Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Rothenburg 1980, S. 188.

Über jemand den Stab brechen. Raffaello Sanzio: Lo Sposalizio della Vergine part., 1504, Pinacateca di Brera, Milano.
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