Redensarten Lexikon
spinnen
Wenn man gleich zu Beginn des Tages eine Spinne entdeckt, die man für eine Unglücksbotin hält, sagt man: Spinne(n) am Morgen, Kummer und Sorgen. In Wirklichkeit ist jedoch in dem falschverstandenen Sprichwort nicht die Spinne, sondern das Spinnen gemeint. Das Sprichwort lautet in seiner ursprünglichen Dreigliedrigkeit:
   Spinnen am Morgen
   Bringt Kummer und Sorgen.
   Spinnen am Abend
   Erquickend und labend.
   Spinnen am Mittag
   Bringt einen Glückstag
   (oder: Glück für den dritten Tag).

Im Französischen heißt es:

   Araignée du matin –
   grand chagrin (Kummer);
   araignée du midi –
   grand souci (Sorgen);
   araignée du soir –
   bon espoir (Hoffnung).

Wenn sich die Frau nach der anstrengenden Tagesarbeit ans Spinnrad setzen konnte, so war das eine Feierabendbeschäftigung, die wenig Mühe erforderte und oft den Anlaß zu geselligem und fröhlichem Beisammensein gab. Mußte die Frau jedoch bereits am Morgen spinnen, bedeutete es größte Armut, denn sie versuchte durch diese Arbeit den ganzen Tag über etwas dazuzuverdienen. Sie mußte das Garn verkaufen, statt es für den eigenen Haushalt zu verwerten.
   Miteinander an einem Rocken spinnen: sich gut vertragen, übereinstimmen, dagegen: Keinen guten Faden miteinander spinnen: in Streitigkeiten leben ( Faden), auch: Das Stroh vom Dache spinnen: etwas Schädliches unternehmen, ursprünglich vom falschen Übereifer gesagt.
   Sein Garn spinnen: unwahre Geschichten erzählen, Garn.
   Eine noch deutlichere Wendung verzeichnet Sebastian Franck in seinen ›Sprichwörtern‹ (II, 11a): »Er spints auss jm selbs wie ein spin«, d.h. es ist erlogen.
   Sehr beliebt sind vor allem in Westdeutschland die Wendungen Ich glaube, du spinnst! Spinne nicht so! und die ironische Frage Du spinnst wohl? Auf diese Weise will man jemandem, der Unsinn redet oder törichte Pläne hat, zu verstehen geben, daß man ihn für nicht ganz gescheit hält. Oft wird auch nur kurz festgestellt, daß jemand ›Ein Spinner‹, das heißt ein Verrückter, ist. Die Wendungen sind verkürzt aus: ›Ein Gewirr absonderlicher Gedanken zusammenspinnen‹, vgl. auch dazu den Ausdruck ›Hirngespinst‹.
   Man spricht in ähnlicher Weise auch davon, daß Jemand Betrug (Lügen, Mord, Ränke, Verrat) spinne, wenn er sich in Gedanken damit beschäftigt und sein Vorgehen genauestens plant und vorbereitet.
   Nicht recht spinnen wollen: nicht mitarbeiten, faul sein. Gut spinnen können: wird scherzhaft für ›tüchtig essen‹ gebraucht. Zu grob spinnen: zu starke Scherze machen, im Spott zu derb und ausgelassen sein.
   Keine (wenig) Seide bei etwas spinnen: keinen Nutzen, wenig Verdienst haben, Seide.

• G.J. KLOKMAN: De Spin als orakel, in: Eigen Volk 6 (1934), S. 272-273; A. LÖFFLER: Ein mißverstandenes Sprichwort (Spinne am Morgen, bringt Kummer und Sorgen), in: Muttersprache 53 (1938), S. 429-430.
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