Redensarten Lexikon
Spatz
Die Spatzen pfeifen es auf (von) den Dächern: das Geheimnis ist stadtkundig, es ist bereits in aller Munde ( Dach). Vgl. auch frz. ›C'est le secret de la comedie‹. Küpper hält die Rda. für eine Weiterbildung von Prediger Salomo 10,20, wo zur Vorsicht gemahnt wird: »Fluche dem König nicht in deinem Herzen, und fluche dem Reichen nicht in deiner Schlafkam-mer; denn die Vögel des Himmels führen die Stimme fort, und die Fittiche haben, sagen's weiter«. Die Rda. ist aber erst im 19. Jh. belegt.    Der Spatz will die Nachtigall singen lehren wird gesagt, wenn Unerfahrene oder Unwissende ihnen geistig Überlegene belehren wollen. Vergleiche lateinisch ›Pica cum luscinia certat‹ oder ›Sus cum Minerva certamen suscipit‹.
   Aus einem Spatz eine Nachtigall machen: einem zu unverdientem Ansehen verhelfen. Vergleiche niederländisch ›Eene musch tot een' nachtegaal verheffen‹.
   Auf Spatzen mit Kanonen schießen: bei einem geringen Übel unangemessen starke Gegenmittel anwenden. Die Redensart soll auf einen Ausspruch des Grafen Andrassy von 1871 zurückgehen. In einem Gespräch mit Bismarck über die Jesuiten soll er gesagt haben, daß er sie nicht für so gefährlich hielte und es nicht liebe, »mit Kanonen auf Spatzen zu schießen«.
   Du hast wohl Spatzen unterm Hut? wird der gefragt, der bei einer Begrüßung den Hut nicht abnimmt. Scherzhaft wird dabei unterstellt, daß ihm sonst die Spatzen wegfliegen könnten.
   Ich bin kein heuriger Spatz! sagt man in Wien, um anzudeuten, daß man genügend Erfahrung besitze.
   Auch in redensartlichen Vergleichen spielt der Spatz eine Rolle: Ein frecher (süßer) Spatz sein, Wie ein Spatz essen: sehr wenig zu sich nehmen, auch: Ein Spatzengehirn besitzen: ein kleines Gehirn besitzen, sehr wenig Verstand, ein schlechtes Gedächtnis haben.
   Sprichwörtlich heißt es: ›Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach‹, d.h. besser einen kleinen, aber sicheren Gewinn als große Hoffnungen, die sich nicht erfüllen. Ähnlich im Niederländischen: ›Beter een vogel in de hant als thien in de loght‹.
   Es machen wie der Ulmer Spatz: geschickt zu Werke gehen.
   Eine Ulmer Sage berichtet, wie sich Handwerker beim Bau des Ulmer Münsters von einem Spatzen haben belehren lassen müssen. Die Handwerker standen vor dem Problem, daß ein langer, zum Münsterbau benötigter Balken der Breite nach nicht durch das sogenannte Gaisbergtor zu transportieren war. Kurz bevor der Beschluß, das Tor abzureißen, ausgeführt werden konnte, zeigte ein zu seinem Nest fliegender Spatz, wie er einen langen Strohhalm im Schnabel der Länge nach durch eine enge Stelle transportierte. Aus Dankbarkeit sollen die Ulmer einen Spatzen mit einem Strohhalm im Schnabel aus Stein gehauen und aufs Münsterdach gestellt haben. Zudem sollen sie nach der Geschichte zu dem Spitznamen ›die Spatzen‹ gekommen sein (Meier 1852, Bd. II, S. 362, Nr. 403).
   Der schwäbische redensartliche Vergleich: ›'s isch, als scheißt e Spatz ins Meer‹ bedeutet: eine Sache ist ganz belanglos, unwichtig.

• J. SANSOM: Living Dog better than a dead Lion, in: American Notes and Queries 1, 2 (1850), S. 62; W. UNDERHILL: One bird in the hand above five in the bush, in: American Notes and Queries 4, 11 (1873), S. 214; A.F. ROBBINS: Whether to cherish a bird in the hand or two in the wood, in: American Notes and Queries 10, 2 (1904), S. 22-23; W.E. PEUCKERT: Artikel ›Sperling‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens VIII, Spalte 235-250; L. RÖHRICH: Denkmalerzählungen, in: Enzyklopädie des Märchens III (1981), besonders Spalte 424; E. UND L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben (Wiesbaden 1989), S. 96-107.}

Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Detail aus einem Bilderbogen aus Ost-
   Flandern, um 1700.
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