Redensarten Lexikon
sitzen
Sitzenbleiben: als Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse aufgenommen werden, weil die Leistungen zu schwach sind. Das Zeugnis erhält den Vermerk: ›Wird nicht versetzt!‹ Vergleiche französisch ›redoubler (une classe)‹ (wörtlich: [eine Klasse] wiederholen).    Die Wendung kann aber auch auf den Teig bezogen werden, der durch die Hefe nicht ›gegangen‹ ist, und es wird enttäuscht festgestellt: Der Kuchen ist sitzengeblieben. Meistens denkt man jedoch bei dieser Redensart an das Mädchen, das beim Tanz nicht aufgefordert wird oder das überhaupt keinen Freier findet, das eine alte Jungfer wird. Von einem hübschen oder reichen Mädchen, das nicht in diese Verlegenheit gerät, heißt es daher: Die wird nicht lange sitzenbleiben: sie wird bald heiraten.
   Auf (mit) etwas sitzenbleiben: eine Ware nicht verkaufen. Das sprachliche Bild bezieht sich auf die Marktfrauen, die neben ihrer Ware sitzen und auf ihre Kunden warten, die an den Nachbarständen Preis- und Gütevergleiche anstellen, bevor sie sich zum Kauf entschließen. Wer minderwertige Ware hat, findet keinen Absatz. Die Wendung ist allgemein kaufmannsprachlich geworden in der Bedeutung etwas nicht loswerden, es als Ladenhüter zurückbehalten.
   Ein Mädchen sitzenlassen: ein gegebenes Eheversprechen nicht einlösen, ein Mädchen im Stich lassen, untreu sein, ein geschwängertes Mädchen nicht heiraten, aber auch in allgemeiner Bedeutung: nicht aus der Verlegenheit helfen. Die Wendung ist biblischer Herkunft. Bei Sir 22, 4 steht: »Eine vernünftige Tochter kriegt wohl einen Mann, aber eine ungeratene Tochter läßt man sitzen, und sie bekümmert ihren Vater« (Büchmann); vgl. französisch ›laisser tomber une fille‹.
   Etwas nicht auf sich sitzenlassen: einen Vorwurf, eine abträgliche Bemerkung, Falsches, Kränkendes und Ehrabschneidendes nicht unwidersprochen lassen, sich zu rechtfertigen und von einem Verdacht zu reinigen suchen. Vergleiche französisch ›Je n'en aurai pas le démenti‹.
   Jemandem sitzen: sich porträtieren lassen, einem Maler als Modell dienen.
   Über etwas sitzen: ausdauernd und lange, angestrengt an etwas arbeiten, sich auf schwierige Aufgaben konzentrieren, sich einen Lern- oder Prüfungsstoff gut einprägen.
   Sitzen müssen: im Gefängnis sein, verkürzt aus: ›Gefangensitzen müssen‹, oft noch weiter verkürzt zu einfachem ›Sitzen‹. Zu sitzen kriegen: mehrere Jahre Freiheitsentzug zu erwarten haben, nicht nur mit einer Geldstrafe davonkommen. Scherzhaft gebraucht man die mehrdeutige Wendung Er sitzt auch, um zu sagen, daß er gerade an einer Sitzung teilnimmt oder, wieder doppeldeutig, ›Eine Sitzung hat‹, d.h. die Toilette benutzt.
   Etwas muß sitzen: man muß es sich fest ins Gedächtnis einprägen, es muß so intensiv gelernt werden, daß es zum unverlierbaren Besitz wird.
   Einem noch zwischen Fell und Fleisch sitzen: noch nicht endgültig überwunden, durchdacht, noch zu keinem festen Entschlusse reif sein; Zwischen den Stühlen sitzen Stuhl.
   Weder sitzen noch liegen können: es vor Schmerzen und Ungeduld in keiner Lage lange aushalten, nicht wissen, wie man die Folgen einer Krankheit oder Schlägerei überstehen soll. Die Wendung wird oft als Drohung gebraucht: Ich schlage dich, daß du drei Tage weder sitzen noch stehen kannst! schlagen.
   Als Warnung ist die Feststellung zu verstehen: Da sitzt ein Habicht auf der Hecke!: Nehmt euch in acht, es ist ein Aufpasser da, es gibt unbefugte Zuhörer!
   Ja, da sitzt es und hat Mützchen auf! Diese Wendung wird gebraucht, wenn man etwas sucht, was man an einem bestimmten Ort glaubt gesehen zu haben, und es dann doch nicht finden kann. Dieser Ausruf bezieht sich auf die Volksüberlieferung von den Zwergen, die ein unsichtbar machendes Käppchen oder Mützchen besitzen (vgl. L. Bechstein, Deutsches Sagenbuch, S. 515; Grässe, Sagenschatz, S. 377).
   Einen sitzen haben: betrunken sein. Die Redensart ist verkürzt aus: Einen Affen sitzen haben Affe; vgl. auch: den Schelm im Nacken sitzen haben Nacken.
   Etwas sitzt gut (wie angegossen): ein Kleidungsstück paßt sehr gut, dagegen: Das sitzt wie ein Hopfensack: es ist plump, unkleidsam und paßt überhaupt nicht, ist nur wie eine Hülle, in die man etwas hineinstopfen kann, das Kleidungsstück hat weder einen angemessenen guten Schnitt noch Schick.
   Die meist schadenfroh klingende Feststellung Das hat gesessen! kann sehr Verschiedenes meinen: der Schuß hat getroffen, die Ohrfeige hat gesessen, der Vorwurf, die kränkende, scharfe Bemerkung hat ihren Zweck nicht verfehlt.
   Entscheidend für die Charakterisierung der Eigenschaften und persönlichen Verhältnisse ist es, wo und wie jemand sitzt: z.B. Im Glashaus sitzen: in exponierter, gefährlicher Stellung sein, in der man nichts riskieren sollte, Glas; auf den Ohren sitzen: nichts hören (wollen), Ohr; an der Quelle sitzen: sehr günstig, vorteilhaft, Quelle; auf dem hohen Roß sitzen: eingebildet sein; fest im Sattel sitzen: gesichert sein, die Lage beherrschen, Sattel; in der Tinte sitzen Tinte; auf dem trockenen sitzen: m
mißlicher Lage sein, kein Geld besitzen, dagegen: im trocknen sitzen: wohl geborgen sein, trocken.
   Sehr anschaulich sind die folgenden redensartlichen Vergleiche. Vom Geizigen heißt es: Er sitzt auf dem Geld wie der Bock auf der Haferkiste, vgl. niederländisch ›er op zitten als de bok op de haverkist‹. Verkürzt heißt es auch: Auf dem Geld sitzen, Wie die Henne auf den Eiern sitzen: nur sehr ungern aufstehen, nichts hergeben wollen. Von jemandem, der seinen Besuch allzulange ausdehnt, den nichts zum Gehen bewegen kann, heißt es im Schwäbischen: ›Er bleibt sitzen wie eine Häslaus (Kleiderlaus).‹
   Von einem, der im Überfluß lebt, der es sich gut sein läßt, sagt man: Er sitzt wie der Hase im Kraut, wie die Made im Speck
   Wenn einer eine schlechte Figur auf dem Pferd macht, eine lächerliche Reithaltung besitzt, spottet man mundartlich ostfriesisch ›He sitt up't Perd as de Esel up'n Plûmbôm‹; westfälisch ›Er sitzt auf dem Pferde wie ein Frosch auf dem Kuhschiß‹ oder ostpreußisch ›Er sitzt auf dem Pferd wie die Kneifzange auf der Sau‹.
   Eine äußerst bedrängte, gefahrvolle Lage wird durch folgende Wendungen verdeutlicht: Wie auf glühenden Kohlen sitzen Nadel; wie die Laus zwischen zwei Daumen (Nägeln) sitzen, vgl. ndl. ›Hij zit gelijk eene luis tusschen twee nagelen‹; wie auf dem Pulverfaß sitzen Pulver; wie der Teufel im Weihwasser sitzen: seht unbehaglich, vgl. ndl. ›Hij zit gelijk de duivel in een wijwa-tervat‹.

• F. HEMPLER: Psychologie des Volksglaubens (Königsberg 1930); P. GEIGER: Eigentum und Magie, in: Volkskundliche Gaben, John Meier zum 70. Geburtstage dargebracht (Berlin – Leipzig 1934), S. 36-44; H. FROMMBERGER: Das Sitzenbleiberproblem (Dortmund 1955); A. KERN: Sitzenbleiberelend und Schulreife (Freiburg 5. Auflage 1966); L. SCHMIDT: Bank, Stuhl und Thron, in: Antaios XII, 1 (1970), S. 85-103; S. WIENKER-PIEPHO: Der »Aufhock« in Baden – Regionalismen populärer Dämonologie am Beispiel eines unvergänglichen Sagentyps, in: Badische Heimat, Heft 3 (1990), S. 467-479.
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