Redensarten Lexikon
Schwanengesang
Es ist sein Schwanengesang (-lied): sein letzter Auftritt als Schauspieler oder Sänger, seine letzte Rede kurz vor seinem Tode, das letzte Werk eines Schriftstellers oder Gelehrten. Die Redensart läßt sich bis ins klassische Altertum zurückverfolgen. Die Griechen hielten den Schwan für ein prophetisches Tier, dem Apollon die Gabe der Weissagung geschenkt habe. Sie glaubten, daß die Schwäne deshalb auch ihren eigenen Tod ahnten und kurz vorher bewunderungswürdige Klagelaute hören ließen. Schon Aischylos verglich die letzten bedeutungsvollen Worte eines Menschen mit dem Todeslied des Singschwans (Cycnus musicus), indem er im ›Agamemnon‹ (V. 1445) Klytämnestra von der Seherin Kassandra sagen ließ: »Daß sie nach Art des Schwanes letzte Todesklage zu singen anhob«. Cicero wendete denselben Vergleich in ›De oratore‹ (III, 2, 6) auf den Redner L. Crassus an, der kurz danach starb, als er eine Rede gehalten hatte: »Illa tanquam cycnea fuit divini hominis vox et Oratio« (= Das war gleichsam die Schwanenrede des außerordentlichen Mannes). Vergleiche Plato, Phaedon, Cap. 35; Cicero, Tusc. I, 30, 73. Der singende Schwan war auch bei den Germanen bekannt, doch hielt man dies bis zur Mitte des vorigen Jahrhundert für eine Sage, weil keine singenden Schwäne beobachtet werden konnten. Dies erklärt sich daraus, daß es in Europa zwei Arten von Schwänen gibt, wovon nur die stumme Art des Höckerschwans auf Deutschlands Seen und Teichen zu finden ist. Der Singschwan kommt bei uns nicht vor, er brütet im Norden. Er kann laute Töne wie ein Blasinstrument hervorbringen und wechselt zwischen einem starken hohen und einem schwächeren tiefen Ton ab. Wenn mehrere dieser Schwäne zusammen auf einem Teiche ihre Töne hören lassen, so entsteht durch den Wechsel in der Tonfolge der Eindruck eines Gesanges. Hierzu schreibt Brehm: »Der Schwanengesang ist in der Tat oftmals der Grabgesang dieser schönen Tiere; denn da diese in tiefen Wassern ihre Nahrung suchen müssen, ist oft Nahrungsnot – in der Kälte Erstarrung ...; aber bis an ihr Ende lassen sie ihre klagenden und doch hellen Laute hören«.    Bei Heinrich von Veldeke und Heinrich von Morungen finden sich Textstellen, die Bekanntschaft mit dem Liede des Schwanes kurz vor seinem Tode voraussetzen, doch dies kann auf romanischen Einfluß zurückgehen. Konrad von Würzburg vergleicht in seiner ›Goldenen Schmiede‹ (V. 976-983) das Singen des sterbenden Schwans mit dem Ruf des Gekreuzigten zu Gott:

   man seit uns allen daz der swan
   singe swenne er sterben sol,
   dem tet din sun geliche wol
   an dem heren criuze fron:
   ely, den jammerlichen don,
   sang er des males, unde schrei
   daz im sin herze wart enzwei
   gespalten von des todes maht.

Sehr auffällig ist jedoch, daß das Substantiv Schwanengesang in übertragener Bedeutung sich erst aus der Mitte des 16. Jahrhunderts belegen läßt, was wahrscheinlich auf den Einfluß von Ciceros ›De oratore‹ beruht, da das Werk in dieser Zeit viel gelesen wurde. Auch Fischart kannte diese Vorstellung, denn er schrieb 1577 in der ›Flöhhatz‹ (S. 5/66): »Wan singt der Schwan, so stirbt er dran«. Die Vorstellung vom Schwanengesang ist auch außerhalb Deutschlands verbreitet. Vergleiche niederländisch ›Hij zingt zijn zwanenzang‹; englisch ›It is the swan Song‹; französisch ›C'est le chant du cygne‹; schwedisch ›Han haar gjört sin sidsta swanesang‹.

• BUCHMANN; W. Danckert: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Bd. IV (Bonn 1976), S. 1354-1357; FR. GOETHE: Das Sympathie-Tier Schwan, in: Museum und Kulturgeschichte (Festschrift für Wilhelm Hansen) (Münster 1978), S. 331-342; C.-H. TILLHAGEN: Fåglarna i folktron (Stockholm 1978), S. 314-315; weitere Literatur Schwan.
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