Redensarten Lexikon
Schiff
Seine Schiffe hinter sich verbrennen, auch brennen sehen: sich selbst jeden Fluchtweg abschneiden, um als kühner Heerführer seine Entschlossenheit zu Sieg oder Untergang im fremden Land zu zeigen und den Mitkämpfern Mut zu machen. Diese Redensart bezieht sich vielleicht auf das Verhalten des Spaniers Hernando Cortez, der 1519 mit elf Schiffen von Kuba nach Mexiko segelte. Er gründete Veracruz und ließ die Schiffe verbrennen, um seine meuternden Mannschaften zu zwingen, ihm ohne Hoffnung auf einen offenen Fluchtweg ins gefährliche Innere Mexikos zu folgen.    Der Grundgedanke, alles hinter sich zu lassen, um entweder zu siegen oder unterzugehen, ist jedoch viel älter, und in mehreren parallelen Fällen sind Schiffsverbrennungen in der Geschichte bezeugt, zuerst von den Frauen der Flüchtlinge aus Troja, die nach ihrer Ankunft auf Sizilien, um ihren Männern Mut zu machen, die Schiffe selbst in Brand steckten. Im 4. Jahrhundert v. Chr. ließ Agathokles, der Tyrann von Syrakus, seine Landungsflotte vor Afrika vernichten, 1066 tat dies Wilhelm der Eroberer, als er in England gelandet war.
   Die Redensart ist weit verbreitet und hat unabhängig vom Kampfgeschehen eine allgemeine Bedeutung gewonnen: alles hinter sich lassen, was zur Umkehr (auch in geistiger Hinsicht) bewegen könnte, ähnlich wie die Redensart ›Alle Brücken hinter sich abbrechen‹. Vgl. auch niederländisch ›de schepen achter zich verbranden‹, englisch ›to burn one's boats (behind one)‹, französisch ›brûler ses vaisseaux‹ (nicht mehr gebräuchlich) und spanisch ›quemar las naves‹.
   Im ›Nibelungenlied‹ ist das Motiv der eigenen Schiffszerstörung literarisch verwertet.
   Das Schiff ist mit Mann und Maus untergegangen: alles ist verloren, aus dem Schiffbruch ist nichts gerettet worden. Vgl. auch niederländisch ›het schip is geblewen met man en muis‹. vgl. französisch ›Le navire est perdu corps et biens‹.
   Das geht über Schiff und Gut: der Schaden ist größer, als man denkt, und betrifft auch entfernt Beteiligte, wie z.B. die Kaufleute, die ihre Güter mit dem Schiff verlieren.
   Etwas ist zwischen Schiff und Ufer gefallen: es ist verloren. Die Redensart beruht auf der Beobachtung, daß ein über Bord gegangener Gegenstand zwischen Schiffswand und Ufer nicht geborgen werden kann und ein Mensch meist ertrinkt, wenn er von einem ankernden Schiff zur Uferseite ins Wasser fällt, während Schiffbrüchige auf hoher See gerettet werden können.
   Das Schiff ist leck: es droht Gefahr und Untergang, auch: das Unternehmen kann nicht gelingen, es ist von vornherein heimlich bedroht, oder: der Mensch ist krank. Vgl. französisch ›Le bateau fait eau‹. Deshalb heißt es auch: Das Schiff muß auf die Werft, wenn ein kranker Mensch oder die wirtschaftlichen Verhältnisse von jemandem dringend einer Kur bedürfen.
   Sein Schiff (Schifflein) ist gestrandet (gescheitert): seine Hoffnungen haben sich zerschlagen, sein Leben ist unglücklich verlaufen, ›er ist gescheitert‹. Das Schiff dient häufig zur Umschreibung von Leben und Schicksal, es erreicht entweder glücklich den ruhigen Hafen oder scheitert, d.h. es verunglückt unterwegs, eigentlich: es wird durch einen Anprall an Felsen zertrümmert. Vgl. niederländisch ›zijn scheepje is gestrand‹. Dagegen heißt: Er weiß sein Schifflein zu führen: er weiß sich den Bedingungen gut anzupassen, er bringt sich oder seine Unternehmungen nie in Gefahr und weiß sich jederzeit zu helfen, sein überlegtes Handeln verdient Bewunderung. Vgl. französisch ›Il conduit bien sa barque‹, auch: ›Il sait conduire sa barque‹.
   Er hat sein Schiff ins trockene gebracht: er hat so viel verdient, daß seine Zukunft gesichert ist, daß er weitere Wagnisse vermeiden kann. Vgl. ›Sein Schäfchen ins trockene bringen‹ ( Schaf). Ndl. ›zijne schepen op het drooge hebben‹.
   Er rüstet mit an den Schiffen: er ist bei der Sache mitbeteiligt.
   Er führt ein großes Schiff: er leitet ein wichtiges Unternehmen, er trägt hohe Verantwortung.
   Auf einem kleinen Schiffe bunte Wimpel führen: dem geringen Einkommen (Vermögen) entsprechend zu großen Aufwand treiben, nach außen hin Wohlstand und Hochstimmung vortäuschen. Vgl. niederländisch ›op een klein schip bonte wimpele van den top voeren‹.
   Sein Schiff fährt mit großem Segel: er kommt rasch vorwärts, er nützt die günstige Gelegenheit aus, aber er achtet bei seinem Streben nicht auf Gefahren und trifft keine rechtzeitigen Vorkehrungen. Vgl. niederländisch ›zijn schip voert te groote Zeilen‹; vgl. französisch ›mettre toutes voiles dehors‹ oder ›faire force de voiles‹.
   Sein Schiff gerät unter den Wind: es gerät in Not bei einem Seesturm, in übertragener Bedeutung: sein Leben, seine Unternehmungen sind bei ungünstigen Bedingungen in großer Gefahr.
   ›Jetz up See un keen Schipp unner de Fööt!‹ heißt es bei heftigem Sturm in der Seemannssprache mit dem humoristisch steigernden Zusatz: ›Un denn een Leck in de Seestäbel!‹ (Vgl. Stammler, Aufriß, Spalte 1849).
   Sein Schiff nach dem Winde richten: sich den Verhältnissen anpassen, eigentlich: seine Segel nach der Windrichtung und stärke richten und notfalls seinen Kurs ändern; vgl. französisch ›louvoyer‹ (lavieren). Vgl. ›Seinen Mantel nach dem Winde hängen‹ ( Mantel).
   Das Schiff wenden: eine neue Richtung verfolgen, andere Lebensgewohnheiten annehmen, umkehren oder sich zu seinem Vorteil anpassen. Vgl. lateinisch ›vertere vela!‹ Er muß das Schiff dem Meer übergeben: der muß einen Menschen seinem Schicksal überlassen, oder: um nicht selbst in Gefahr zu kommen, muß er etwas preisgeben, seine Mitwirkung bei einem Unternehmen abbrechen.
   Es ist ein Schiff ohne Ballast: es besteht die Gefahr, daß das Schiff kentert, weil es keinen Tiefgang besitzt, übertragen: es ist ein unsicheres Geschäft.
   Teure Schiffe bleiben am Rande: zu anspruchsvolle Mädchen bleiben unverheiratet, eigentlich: zu teure Schiffe werden nicht verkauft und bleiben am Ufer oder im Hafen zurück. Vgl. niederländisch ›Oude (dure) schepen blijven aan land‹ und englisch ›A dear ship stands long in the haven‹.
   Wir sind auf einem Schiffe: wir sind aufeinander angewiesen, wir befinden uns in gleicher Gefahr ( Boot). Vgl. frz. ›Nous sommes dans le même bâteau‹. Ähnl. Er fährt mit mir in einem Schiffe: wir haben dasselbe Ziel, unsere Ansichten stimmen überein.
   Sie gehen nicht alle in ein Schiff: sie sind gegenteiliger Meinung, sie halten und arbeiten nicht zusammen, ›Sie sind nicht unter einen Hut zu bringen‹ ( Hut).
   Geh aus meinem Schiff; du verdirbst die Fracht wird zu einem gesagt, dessen Gesellschaft Nachteil bringt.
   Er geht mit dem ersten Schiffe fort: er benutzt die erste sich bietende Gelegenheit. Vgl. niederländisch ›Hij gaat met de eerste schepen voort‹.
   Er kommt mit den letzten Schiffen: er kommt spät oder zu spät, er versäumt die beste Zeit und Gelegenheit und kann es deshalb anderen nicht gleichtun. Vgl. niederländisch ›Hij gaat met de laatste schepen onder zeil‹.
   Wir müssen nicht in das Zurzacher Schiff: wir werden nicht gedrängt, sondern haben genügend Zeit, die Sache hat keine Eile. Diese Redensart, die diesmal der Binnenschiffahrt entstammt, bezieht sich auf die Zurzacher Messe am Oberrhein, die früher sehr bedeutend war. Die Messebesucher mußten zu einer bestimmten Zeit am Ufer sein, sonst trafen sie das Schiff nicht mehr an, das nur einmal überfuhr.
   Es ist ein Schiff oder eine Pudelmütze: so heißt es scherzhaft, wenn jemand sehr auseinandergehende Angaben über etwas macht, wenn man einen Gegenstand von weitem nicht erkennen kann, aber auch wenn sich Leute anders gebaren, als sie in Wirklichkeit sind. Bei Egenolff (298a) heißt die Wendung ähnlich: »Es ist ein schiff oder schinhut«.
   Das Schiff der Wüste ist ein sprachliches Bild für das Kamel, das sich wie ein lebendes Schiff seinen Weg durch den Sand sucht und Lasten befördert. Vgl. niederländisch ›het schip der woestijn‹, englisch ›the ships of the desert‹ und französisch ›le vaisseau du désert‹.
   Die Ratten verlassen das sinkende Schiff Ratte.
   Das ›Schiff‹ war schon in der antiken poetischen und politischen Metaphorik ein häufig gebrauchtes Bild, so z.B. für den Staat. In christlicher Deutung gebrauchte man ›Schiff‹ als Symbol für die Kirche mit z.T. ausgeführter Allegorie; der Mastbaum: Kreuz, die Ruderer: die Apostel usw. Schließlich wird das Leben des Menschen oft als ›Seefahrt‹, der Mensch selbst als Schiff, das von Wellen (Schicksal) hin- und hergeworfen wird, empfunden. Literarisch erscheint dieses Bild in einem Sonett von Andreas Gryphius: ›Der Abend‹. Narrenschiff.

• F. KLUGE: Wörterbuch der Seemannssprache (Halle 1911); F. MOLL. Das Schiff in der bildenden Kunst (Berlin 1929); F. PANZER: Hagen und die Meerfrauen, in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil. historische Klasse 1953 (Heidelberg 1954); W. STAMMLER: Seemanns Brauch und Glaube, in: Deutsche Philologie im Aufriß, Bd. III (Berlin 1956), Spalte 1815-1880; H. RAHNER: Griechi-
sche Mythen in christlicher Deutung (Zürich 2. Auflage 1957); ders.: Symbole der Kirche (Salzburg 1964); R. GRUENTER: Das Schiff. Ein Beitrag zur historischen Metaphorik, in: W. Kohlschmidt u.a. (Hrsg.): Tradition und Ursprünglichkeit (= Akten des 3. Internationalen Germanistenkongresses 1965) (Bern – München 1966), S. 86-101; R. DRUX: Des Dichters Schiffahrt. Struktur und Pragmatik einer poet. Allegorie, in: Formen und Funktionen der Allegorie, herausgegeben von W. Haug (Stuttgart 1979), S. 38-51; E. SCHUTT-KEHM: Pieter Brueghels d.Ä. ›Kampf des Karnevals gegen die Fasten‹ als Quelle vkdl. Forschung (Frankfurt/M. – Bern – Las Vegas 1983), S. 202ff.; W. RUDOLPH: Das Schiff als Zeichen (Leipzig – Berlin 1987); O.G. SVERRISDÓTTIR: Land in Sicht (Frankfur /M. 1987) (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte, 9); W. MEZGER: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur (= Konstanzer Bibliothek 15) (Konstanz 1991).
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