Redensarten Lexikon
Rabe
Ein weißer Rabe: eine große Seltenheit, die große Ausnahme, ein Individualist; niederländisch ›een witte raaf‹; englisch ›a white crow‹, ›a black swan‹; französisch ›un merle blanc‹. Schon bei dem römischen Dichter Juvenal (›sat.‹ VII,202) ist überliefert »Corvus albus« als Bezeichnung für einen Menschen, der unter seinesgleichen eine Ausnahmestellung einnimmt und zu der allgemeinen Meinung abweichende Ansichten äußert. Mittelhochdeutsch in Hugo von Trimbergs Lehrgedicht ›Der Renner‹ (V. 8426):
Selten wir gesehen haben
swarze swanen und wîze raben.
In der›Zimmerischen Chronik‹ (II,172): »Wie ein seltzammer Vogel ist es umb ein weissen Rappen oder umb ain schwarzen Schwanen«. Ähnlich bei Burkard Waldis (ca. 1490-1557): »Ein weisser rappen vnd schwartzen schwan, wer mag den je gesehen han«.
Ein griechischer Mythos erzählt von einem ursprünglichen weißen Raben, der erst schwarz wurde, nachdem er die Untreue der Koronis Apollo verraten hatte. In der Realität kommen weiße Raben (Albinos) sehr selten vor, während schwarze Schwäne nicht als große Seltenheit gelten. In diesem Zusammenhang ist auch das slawische Sprichwort zu erwähnen: ›Ein Rabe, den man eine Taube nennt, wird dadurch nicht weiß‹. Einen Raben waschen (baden): unnütze Arbeit verrichten, etwas Törichtes tun. Mittellateinisch: ›albior estne quidem cornix studiosa lavandi?‹ In Freidanks ›Bescheidenheit‹ (142,15) heißt es:
Sich badet diu krâ in allem fliz
Und wirt durch daz doch niemer wîz.
Freidank geht wohl indirekt auf Boethius zurück (›In Porphyrium‹ II, 56): »Verum est quoniam Aethiopem aut corvum color niger numquam deserit«. Ähnlich in der ›Colmarer Handschrift‹ (144,42): »Ein swarziu krâ, swer sie gebât, sô wirt sie doch niht wîze«. 1513 heißt es bei Tunnicius (530): »Den raven kan men nicht wyt waschen«. Auch Abraham a Sancta Clara bringt (›Judas‹ IV,215): »Einen raben waschen«.
Zwei weitere Sprichwörter gebrauchen die Metapher von der Rabenwäsche: ›Wer sich entschuldigt, dem geht's oft wie einem Raben, je mehr er sich wäscht, bleibt er doch schwarz‹. Simrock notiert in seiner Sprichwörter-Sammlung: ›Der Raben Bad und der Huren Beichte sind unnütz‹ (Nr. 436); ⇨ Mohrenwäsche.
In Konrad von Megenbergs ›Buch der Natur‹ (176,31) heißt es um 1350: »e raben werfent etleicheu kint auz dem nest, wenn si der arbait verdreuzt mit in, daz si in nicht genuog speis pringen mügent«. Seit dem 16. Jahrhundert kommen dann – zuerst in erbaulichen Texten – die Begriffe ›Rabenvater‹, ›Rabenmutter‹, ›Rabeneltern‹ vor und werden redensartlich gebraucht.
Schon in der Bibel werden hungrige, von ihren Eltern verstoßene Rabenjunge erwähnt, so in Ps 147,9: Der Herr gibt dem Vieh Futter, wie »den jungen Raben, die ihn anrufen« und irre fliegen, »weil sie nicht zu essen haben« (Hiob 38,41). Diese Vorstellung vom hungrigen Rabenjungen beruht auf der Tatsache, daß die Rabeneltern ihre Jungen aus dem Nest vertreiben, sobald diese allein leben können. Dieses berichtet auch Plinius in seiner Naturgeschichte. Konrad von Megenberg jedoch zitiert die irrige Auffassung Augustinus' »Die früheste Nachricht vom Volksglauben an die Lieblosigkeit der Rabenmutter steht wohl im Talmud, der überhaupt an unkritischen zoologischen Nachrichten reich ist« (O. Keller, Bd. 2, S. 94).
Wie den ⇨ Elstern wird auch den Raben nachgesagt, daß sie diebisch seien; daher Stehlen wie die Raben. Der redensartliche Vergleich ist schon bei Niklaus Manuel (1484-1530) belegt: »Ir diebsböswicht stelend wie die rappen!«; im 16. Jahrhundert bei Oldecop in der ›Hildesheimer Chronik‹ (S. 297): »und nemen alse raven und vosse (Füchse)«, und 1691 bei Stieler in ›Der Teutschen Sprache Stammbaum‹; »Er stielet wie ein Rabe«; vgl. französisch ›voler comme une pie‹ (stehlen wie eine Elster).
Die Raben um ihr Mahl bringen: dem Galgen auf eine schlaue Weise entgehen.
Der Fluch Daß dich die Raben fressen! (niederländisch ›dat u de raven picken, schenden, vreten‹; lateinisch ›ad corvos‹) ist schon in Joh. Agricolas Sprichwörter-Sammlung (Nr. 55) belegt und erläutert: »Das ist eyn Deutscher fluch, also daß wir wunschen dem wir fluchen, daß er nicht alleyn sterbe, sonder daß er eyns schendtlichen todes sterben soll am galgen, da von die raben yhre speise haben ...«
Etwas abgewandelt ist der Fluch in einem schwäbischen Volksmärchen. Die Verwünschung einer Mutter: »o wollt' ich doch, daß die Pastetenfresser zu Raben werden!« verwirklicht sich: ihre drei Söhne, die die Fleischpastete heimlich gegessen hatten, fliegen daraufhin als Raben zum Stubenfenster hinaus. Doch werden ›die drei Raben‹ (so auch der Titel dieses Märchens) von ihrer standhaften Schwester nach 7 Jahren erlöst (E. Meier, S. 174-179). Ähnlich aufgebaut sind auch das Grimmsche Märchen von den ›Sieben Raben‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 25) und ›Die Rabe‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 93).
Edgar Allan Poe hat das Unheimliche in seiner Erzählung ›The Raven‹ durch dieses Tier dargestellt.
In antiker und germanischer Mythologie wurde der Rabe als Seelen- und Totenvogel angesehen; der germanische Gott Odin besaß das Rabenpaar Hugin und Munin, welches Gedanke und Erinnerung verkörperte. Erst im christlichen Mittelalter wurde der Rabe zum Galgen- und Höllentier, vor allem wegen seiner sprichwörtlich gewordenen schwarzen Farbe (kohlrabenschwarz, ⇨ Pechvogel), seines unheimlichen Krächzens (›Krächzen wie ein Rabe‹) und wegen seiner Eigenschaft als Aas- und Leichenfresser. Der Rabe ist der Galgenvogel, so wie auch der gemauerte Richtplatz unter dem Galgen ›Rabenstein‹ genannt wurde. Doch wurde mit dem Wort auch der Galgen selbst umschrieben: »Hetten uns die Stattsöldner erdappet, der Rabenstein het nach uns geschnappet«, schreibt Hans Sachs in einem seiner Fastnachtspiele.
Ähnlich erläutert Joh. Agricola (Nr. 51) auch das Sprichwort ›Was den Raben gehört, ertrinkt nicht‹: »Wer an galgen soll, der kan yhm nicht entlauffen, er muoß hyn an; das meer vnd wasser muoß yhn auch nicht hieran hyndern. Es ist geschehen bey vnsern zeitten, daß eyner von guttem geschlecht vnd gantz ehrlichen freunden auff dem Rhein in wassers not ist kommen vnd endtlich biß vndter die muelen zu Oppenheym halb todt geschwimmet. Die müller vnd filscher seind zu gefaren vnd haben yhn also, wie wol schwerlich, errettet, erwermet, vnd bey dem leben erhalten. Diser hatt gesagt, was den raben gehoert, ertrinckt nicht. Also ist nun dises sprichworts brauch dem gleich, wie eynem yeglichen sein todt bescheret ist, also muß er sterben, eyner im fewer, der ander im wasser, der dritt eynes anderen todes, wie wir denn das selbig auß teglicher erfarung erlernen, vnd vor augen sehen«.
Rabenaas ⇨ Aas.
Das Sprichwort ›Ein Rabe hackt dem anderen kein Auge aus‹ stimmt nicht mit dem natürlichen Verhalten der Vögel Rabe und ⇨ Krähe überein. Denn generell haben diese die Angewohnheit, bei Tieren, die sie verzehren wollen, zuerst die Augen auszuhacken, auch bei Artgenossen.
• E. MEIER: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben (Stuttgart 1852, Nachdruck Hildesheim – New York 1971); O. KELLER: Die antike Tierwelt, Bd. 2 (Leipzig 1913), S. 92-109; E. INGERSOLL: Birds in Legend, Fable and Folklore (New York 1923, Neudruck Detroit [Mich.] 1968), besonders S. 228-234; SINGER I., S. 109f., III, S. 104; C.H. TILLHAGEN: Faglarna i folktron (Vögel im Volksglauben) (Stockholm 1978), S. 43-61; J. LEIBBRAND: Speculum Bestialitatis. Die Tiergestalten der Fastnacht und des Karnevals im Kontext christlicher Allegorese (Kulturgeschichtliche Forschungen,11), (Diss. Freiburg i. Br. 1986) (München 1989), S. 131ff.;
E. und L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben (Wiesbaden 1989).
Selten wir gesehen haben
swarze swanen und wîze raben.
In der›Zimmerischen Chronik‹ (II,172): »Wie ein seltzammer Vogel ist es umb ein weissen Rappen oder umb ain schwarzen Schwanen«. Ähnlich bei Burkard Waldis (ca. 1490-1557): »Ein weisser rappen vnd schwartzen schwan, wer mag den je gesehen han«.
Ein griechischer Mythos erzählt von einem ursprünglichen weißen Raben, der erst schwarz wurde, nachdem er die Untreue der Koronis Apollo verraten hatte. In der Realität kommen weiße Raben (Albinos) sehr selten vor, während schwarze Schwäne nicht als große Seltenheit gelten. In diesem Zusammenhang ist auch das slawische Sprichwort zu erwähnen: ›Ein Rabe, den man eine Taube nennt, wird dadurch nicht weiß‹. Einen Raben waschen (baden): unnütze Arbeit verrichten, etwas Törichtes tun. Mittellateinisch: ›albior estne quidem cornix studiosa lavandi?‹ In Freidanks ›Bescheidenheit‹ (142,15) heißt es:
Sich badet diu krâ in allem fliz
Und wirt durch daz doch niemer wîz.
Freidank geht wohl indirekt auf Boethius zurück (›In Porphyrium‹ II, 56): »Verum est quoniam Aethiopem aut corvum color niger numquam deserit«. Ähnlich in der ›Colmarer Handschrift‹ (144,42): »Ein swarziu krâ, swer sie gebât, sô wirt sie doch niht wîze«. 1513 heißt es bei Tunnicius (530): »Den raven kan men nicht wyt waschen«. Auch Abraham a Sancta Clara bringt (›Judas‹ IV,215): »Einen raben waschen«.
Zwei weitere Sprichwörter gebrauchen die Metapher von der Rabenwäsche: ›Wer sich entschuldigt, dem geht's oft wie einem Raben, je mehr er sich wäscht, bleibt er doch schwarz‹. Simrock notiert in seiner Sprichwörter-Sammlung: ›Der Raben Bad und der Huren Beichte sind unnütz‹ (Nr. 436); ⇨ Mohrenwäsche.
In Konrad von Megenbergs ›Buch der Natur‹ (176,31) heißt es um 1350: »e raben werfent etleicheu kint auz dem nest, wenn si der arbait verdreuzt mit in, daz si in nicht genuog speis pringen mügent«. Seit dem 16. Jahrhundert kommen dann – zuerst in erbaulichen Texten – die Begriffe ›Rabenvater‹, ›Rabenmutter‹, ›Rabeneltern‹ vor und werden redensartlich gebraucht.
Schon in der Bibel werden hungrige, von ihren Eltern verstoßene Rabenjunge erwähnt, so in Ps 147,9: Der Herr gibt dem Vieh Futter, wie »den jungen Raben, die ihn anrufen« und irre fliegen, »weil sie nicht zu essen haben« (Hiob 38,41). Diese Vorstellung vom hungrigen Rabenjungen beruht auf der Tatsache, daß die Rabeneltern ihre Jungen aus dem Nest vertreiben, sobald diese allein leben können. Dieses berichtet auch Plinius in seiner Naturgeschichte. Konrad von Megenberg jedoch zitiert die irrige Auffassung Augustinus' »Die früheste Nachricht vom Volksglauben an die Lieblosigkeit der Rabenmutter steht wohl im Talmud, der überhaupt an unkritischen zoologischen Nachrichten reich ist« (O. Keller, Bd. 2, S. 94).
Wie den ⇨ Elstern wird auch den Raben nachgesagt, daß sie diebisch seien; daher Stehlen wie die Raben. Der redensartliche Vergleich ist schon bei Niklaus Manuel (1484-1530) belegt: »Ir diebsböswicht stelend wie die rappen!«; im 16. Jahrhundert bei Oldecop in der ›Hildesheimer Chronik‹ (S. 297): »und nemen alse raven und vosse (Füchse)«, und 1691 bei Stieler in ›Der Teutschen Sprache Stammbaum‹; »Er stielet wie ein Rabe«; vgl. französisch ›voler comme une pie‹ (stehlen wie eine Elster).
Die Raben um ihr Mahl bringen: dem Galgen auf eine schlaue Weise entgehen.
Der Fluch Daß dich die Raben fressen! (niederländisch ›dat u de raven picken, schenden, vreten‹; lateinisch ›ad corvos‹) ist schon in Joh. Agricolas Sprichwörter-Sammlung (Nr. 55) belegt und erläutert: »Das ist eyn Deutscher fluch, also daß wir wunschen dem wir fluchen, daß er nicht alleyn sterbe, sonder daß er eyns schendtlichen todes sterben soll am galgen, da von die raben yhre speise haben ...«
Etwas abgewandelt ist der Fluch in einem schwäbischen Volksmärchen. Die Verwünschung einer Mutter: »o wollt' ich doch, daß die Pastetenfresser zu Raben werden!« verwirklicht sich: ihre drei Söhne, die die Fleischpastete heimlich gegessen hatten, fliegen daraufhin als Raben zum Stubenfenster hinaus. Doch werden ›die drei Raben‹ (so auch der Titel dieses Märchens) von ihrer standhaften Schwester nach 7 Jahren erlöst (E. Meier, S. 174-179). Ähnlich aufgebaut sind auch das Grimmsche Märchen von den ›Sieben Raben‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 25) und ›Die Rabe‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 93).
Edgar Allan Poe hat das Unheimliche in seiner Erzählung ›The Raven‹ durch dieses Tier dargestellt.
In antiker und germanischer Mythologie wurde der Rabe als Seelen- und Totenvogel angesehen; der germanische Gott Odin besaß das Rabenpaar Hugin und Munin, welches Gedanke und Erinnerung verkörperte. Erst im christlichen Mittelalter wurde der Rabe zum Galgen- und Höllentier, vor allem wegen seiner sprichwörtlich gewordenen schwarzen Farbe (kohlrabenschwarz, ⇨ Pechvogel), seines unheimlichen Krächzens (›Krächzen wie ein Rabe‹) und wegen seiner Eigenschaft als Aas- und Leichenfresser. Der Rabe ist der Galgenvogel, so wie auch der gemauerte Richtplatz unter dem Galgen ›Rabenstein‹ genannt wurde. Doch wurde mit dem Wort auch der Galgen selbst umschrieben: »Hetten uns die Stattsöldner erdappet, der Rabenstein het nach uns geschnappet«, schreibt Hans Sachs in einem seiner Fastnachtspiele.
Ähnlich erläutert Joh. Agricola (Nr. 51) auch das Sprichwort ›Was den Raben gehört, ertrinkt nicht‹: »Wer an galgen soll, der kan yhm nicht entlauffen, er muoß hyn an; das meer vnd wasser muoß yhn auch nicht hieran hyndern. Es ist geschehen bey vnsern zeitten, daß eyner von guttem geschlecht vnd gantz ehrlichen freunden auff dem Rhein in wassers not ist kommen vnd endtlich biß vndter die muelen zu Oppenheym halb todt geschwimmet. Die müller vnd filscher seind zu gefaren vnd haben yhn also, wie wol schwerlich, errettet, erwermet, vnd bey dem leben erhalten. Diser hatt gesagt, was den raben gehoert, ertrinckt nicht. Also ist nun dises sprichworts brauch dem gleich, wie eynem yeglichen sein todt bescheret ist, also muß er sterben, eyner im fewer, der ander im wasser, der dritt eynes anderen todes, wie wir denn das selbig auß teglicher erfarung erlernen, vnd vor augen sehen«.
Rabenaas ⇨ Aas.
Das Sprichwort ›Ein Rabe hackt dem anderen kein Auge aus‹ stimmt nicht mit dem natürlichen Verhalten der Vögel Rabe und ⇨ Krähe überein. Denn generell haben diese die Angewohnheit, bei Tieren, die sie verzehren wollen, zuerst die Augen auszuhacken, auch bei Artgenossen.
• E. MEIER: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben (Stuttgart 1852, Nachdruck Hildesheim – New York 1971); O. KELLER: Die antike Tierwelt, Bd. 2 (Leipzig 1913), S. 92-109; E. INGERSOLL: Birds in Legend, Fable and Folklore (New York 1923, Neudruck Detroit [Mich.] 1968), besonders S. 228-234; SINGER I., S. 109f., III, S. 104; C.H. TILLHAGEN: Faglarna i folktron (Vögel im Volksglauben) (Stockholm 1978), S. 43-61; J. LEIBBRAND: Speculum Bestialitatis. Die Tiergestalten der Fastnacht und des Karnevals im Kontext christlicher Allegorese (Kulturgeschichtliche Forschungen,11), (Diss. Freiburg i. Br. 1986) (München 1989), S. 131ff.;
E. und L. GATTIKER: Die Vögel im Volksglauben (Wiesbaden 1989).