Redensarten Lexikon
Prügelknabe
Als Prügelknabe dienen: statt eines anderen leiden. Wanders Sprichwörter-Lexikon gibt als einzigen Beleg eine Stelle aus der Breslauer Zeitung von 1864: »England dient der französischen Presse als Prügelknabe«, und das Grimmsche Wörterbuch führt aus Gustav Freytags ›Bildern aus der deutschen Vergangenheit‹ (1867, Ges. W. XIX,298) den Junker Hans von Schweinichen an, der als Knabe Page des eingesperrten Herzogs Friedrich des Vaters und Prügeljunge Friedrichs des Sohns gewesen wäre. Schweinichen selber erzählt jedoch nichts dergleichen, im Gegenteil: er war zwar mit einem andern Knaben Erziehungsgenosse des Herzogs Friedrich (IV. von Liegnitz), und der Präzeptor Hans Pfitzner hielt die drei sehr streng, aber Hans hatte, da er ihn schmierte, einen Vorteil vor den andern und wurde in der ganzen Zeit nicht öfter als zweimal gestrichen, »welches ich doch wohl verdienet gehabt und er (der Präzeptor) es ehrenhalber nicht hat umgehen mögen« (Denkwürdigkeiten von Hans von Schweinichen, hg. von Breslau 1878, S. 1 5). Hat also Freytag sachlich unrecht, so hat er doch wohl viel zur Popularisierung des Wortes – nicht auch des Begriffes – beigetragen. Das Wort aber scheint nur eine Übersetzung des englischen ›Whipping-boy‹ zu sein, das schon im Jahre 1647 belegt ist. Das Oxford English Dictionary bringt z.B. (X, 57) Hinweise auf William Murray und Mungo Malogrowther, die Prügelknaben der Könige Charles I. und James VI. In Frankreich kam dafür nach dem kleinen Husaren, der für Louis XV. die Streiche in Empfang zu nehmen hatte, das Wort ›Hussard‹ auf (heute jedoch nur noch in der Bedeutung von ›Husar‹ gebräuchlich), während es in Spanien, wo die Sitte noch im 19. Jahrhundert im Schwange war, keine eigene Bezeichnung für ihre Opfer gegeben zu haben scheint. Ebenso verhält es sich bei dem einzigen Beispiel, das einen deutschen König betrifft, nämlich Konrad IV. (1228-54), den Vater Konradins, des letzten Hohenstaufen. Von ihm berichtet eine der ›Novelle antiche‹: »Von König Konrad liest man, er habe als Knabe zwölf gleichaltrige Knaben zur Gesellschaft gehabt, und wenn er in etwas fehlte, so schlugen die Meister, die ihm zur Aufsicht gegeben waren, nicht ihn, sondern diese Knaben, seine Kameraden. Und er sagte: ›Warum schlagt ihr sie?‹ Antworteten die Meister: ›Wegen deiner Verfehlungen‹. Und er sagte: ›Warum schlagt ihr dann nicht mich, der ich die Schuld trage?‹ Und die Meister antworteten: ›Weil du unser Herr bist; diese aber schlagen wir an deiner Statt. Darum muß es dich, wenn du ein edels Herz hast, sehr betrüben, daß ein anderer für deine Schuld leidet‹. Darum, heißt es, hat sich König Konrad aus Mitleid mit ihnen wohl gehütet, etwas Unrechtes zu tun« (F. Zambrini, Libro di novelle antiche, Bologna 1868,78); vgl. die ähnliche pädagogische Methode: ›Den Hund vor dem Löwen schlagen‹, ⇨ Hund.
• A. WESSELSKI: Der Prügelknabe, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 126-128; W. HÄVERNICK: »Schläge« als Strafe (Hamburg 4. Auflage 1970).
Als Prügelknabe dienen: statt eines anderen leiden. Wanders Sprichwörter-Lexikon gibt als einzigen Beleg eine Stelle aus der Breslauer Zeitung von 1864: »England dient der französischen Presse als Prügelknabe«, und das Grimmsche Wörterbuch führt aus Gustav Freytags ›Bildern aus der deutschen Vergangenheit‹ (1867, Ges. W. XIX,298) den Junker Hans von Schweinichen an, der als Knabe Page des eingesperrten Herzogs Friedrich des Vaters und Prügeljunge Friedrichs des Sohns gewesen wäre. Schweinichen selber erzählt jedoch nichts dergleichen, im Gegenteil: er war zwar mit einem andern Knaben Erziehungsgenosse des Herzogs Friedrich (IV. von Liegnitz), und der Präzeptor Hans Pfitzner hielt die drei sehr streng, aber Hans hatte, da er ihn schmierte, einen Vorteil vor den andern und wurde in der ganzen Zeit nicht öfter als zweimal gestrichen, »welches ich doch wohl verdienet gehabt und er (der Präzeptor) es ehrenhalber nicht hat umgehen mögen« (Denkwürdigkeiten von Hans von Schweinichen, hg. von Breslau 1878, S. 1 5). Hat also Freytag sachlich unrecht, so hat er doch wohl viel zur Popularisierung des Wortes – nicht auch des Begriffes – beigetragen. Das Wort aber scheint nur eine Übersetzung des englischen ›Whipping-boy‹ zu sein, das schon im Jahre 1647 belegt ist. Das Oxford English Dictionary bringt z.B. (X, 57) Hinweise auf William Murray und Mungo Malogrowther, die Prügelknaben der Könige Charles I. und James VI. In Frankreich kam dafür nach dem kleinen Husaren, der für Louis XV. die Streiche in Empfang zu nehmen hatte, das Wort ›Hussard‹ auf (heute jedoch nur noch in der Bedeutung von ›Husar‹ gebräuchlich), während es in Spanien, wo die Sitte noch im 19. Jahrhundert im Schwange war, keine eigene Bezeichnung für ihre Opfer gegeben zu haben scheint. Ebenso verhält es sich bei dem einzigen Beispiel, das einen deutschen König betrifft, nämlich Konrad IV. (1228-54), den Vater Konradins, des letzten Hohenstaufen. Von ihm berichtet eine der ›Novelle antiche‹: »Von König Konrad liest man, er habe als Knabe zwölf gleichaltrige Knaben zur Gesellschaft gehabt, und wenn er in etwas fehlte, so schlugen die Meister, die ihm zur Aufsicht gegeben waren, nicht ihn, sondern diese Knaben, seine Kameraden. Und er sagte: ›Warum schlagt ihr sie?‹ Antworteten die Meister: ›Wegen deiner Verfehlungen‹. Und er sagte: ›Warum schlagt ihr dann nicht mich, der ich die Schuld trage?‹ Und die Meister antworteten: ›Weil du unser Herr bist; diese aber schlagen wir an deiner Statt. Darum muß es dich, wenn du ein edels Herz hast, sehr betrüben, daß ein anderer für deine Schuld leidet‹. Darum, heißt es, hat sich König Konrad aus Mitleid mit ihnen wohl gehütet, etwas Unrechtes zu tun« (F. Zambrini, Libro di novelle antiche, Bologna 1868,78); vgl. die ähnliche pädagogische Methode: ›Den Hund vor dem Löwen schlagen‹, ⇨ Hund.
• A. WESSELSKI: Der Prügelknabe, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 126-128; W. HÄVERNICK: »Schläge« als Strafe (Hamburg 4. Auflage 1970).