Redensarten Lexikon
prellen
Jemanden prellen (wollen): ihn übervorteilen, betrügen, seine Einfalt mißbrauchen (wollen), ihn zu täuschen suchen. Durch die Bedeutungsentwicklung des Verbs, das als Kausativum zu ›prallen‹ gebildet worden ist und ursprünglich nur ›jemanden aufprallen lassen‹ hieß, ist der einst vorhandene Realbezug der Redensart in Vergessenheit geraten. Sie stammt vermutlich aus dem sprachlichen Bereich und bezieht sich auf das ›Fuchsprellen‹. Die bei der Jagd lebendig gefangenen Tiere wurden dabei grausam zu Tode gequält: auf einem straff gespannten Netz, dem Prellgarn oder Prelltuch, wippte man die Füchse, schleuderte sie in die Luft und ließ sie auf den Boden aufschlagen. Wenn die Tiere verzweifelt Freiheit zu erlangen suchten und davonliefen, gerieten sie unversehens auf das nächste, noch am Boden liegende Netz. Es wurde sofort aufgenommen, und die Quälerei begann erneut. An den Verrenkungen beim Schleudern und Fallen und den zwecklosen Anstrengungen der Tiere zu entkommen, belustigte man sich. Daher galt das Fuchsprellen früher als eines der beliebtesten höfischen Vergnügen, an dem viele geladene Gäste teilnahmen. Das Fuchs- und Hundeprellen ist ein ursprünglich spanischer Brauch und kam erst im 17. Jahrhundert an deutsche Höfe.   Bei der Übertragung der Redensart auf den Menschen spielte die Doppelbedeutung von ›Fuchs‹ eine wichtige Rolle. Auch junge Studenten nannte man Füchse. Sie wurden von den älteren gern um Geld angegangen, dessen Rückzahlung meist ›vergessen‹ wurde. Dies nannte man scherzhaft ebenfalls ›Füchse prellen‹. Da das zum Spaß betriebene Ausnützen und Mißbrauchen der Unerfahrenheit und Gutgläubigkeit anderer bis zum Betrug führen konnte, erhielt das Verb prellen die zusätzlichen Bedeutung von nicht bezahlen, täuschen, hintergehen und betrügen, die im redensartlichen Gebrauch heute vorherrschend sind, vgl. ›die Zeche prellen‹ und ›jemanden um etwas prellen‹, ihn um seinen Gewinn, Vorteil bringen. Den ursprünglichen Zusammenhang zwischen ›Fuchs‹ und ›prellen‹ weist noch eine literarische Textstelle bei Hagedorn (3,22) auf, in der beide Ausdrücke bereits übertragene Bedeutung besitzen:

   Ein Schulfuchs hofft mit dürren Gründen
   Den Beifall aller Welt zu finden:
   Allein er wird geprellt.

Auch Wölfe wurden geprellt. Man band sie an einem Ziehbrunnen fest und ließ sie immer wieder auf den Boden aufprallen, um ihre Todesqual zu verlängern.
   Die Beteuerungsformeln Ich will geprellt werden, wenn... und Ich will mich prellen lassen weisen noch auf einen anderen interessanten kulturhistorischen Zusammenhang: Auch im Strafvollzug wurde geprellt, z.B. wurden Diebe durch den Schnell- oder Wippgalgen hingerichtet, indem man sie so lange am Galgen emporzog und wieder fallen ließ, bis ihre Knochen zerschmettert waren, Schippe. Bereits Luther (Werke V,141a) gebraucht die Wendung: »und ist einer unter ihnen, der ein Capitel im Aristotele recht verstehet, so will ich mich prellen lassen«. Bei dieser Textstelle ist offensichtlich die Bestrafung gemeint, die man auf sich nehmen will, falls etwas ganz Unvorhergesehenes eintreten sollte, was man aber für absolut ausgeschlossen hält. Diese Redensart ist auch literarisch belegt in Wielands ›Don Sylvio‹ (1764), S. 102: »Ich will mich prellen lassen, wenn ich meiner leiblichen Mutter auf ihr bloßes Wort glaubte, daß ich meines Vaters Sohn sei«. Schon um 80 n. Chr. wird von dem Satiriker Martial in einem Epigramm das Prellen als volkstümliche Strafe erwähnt. Als studentischer Schabernack erscheint das Prellen in der späteren Antike: Libianus zu Antiochien tadelte seine Schüler Ende des 4. Jahrhunderts, da diese einen mißliebigen Lehrer auf einem Teppich schlimm geprellt hätten. Kaiser Justinian verbot 533 n. Chr. in seiner Studienordnung den Studenten das Prellen.
   Als kultischer Brauch erscheint das Prellen bei Herodot (Historien, Band 4, S. 94f.): Bei den Thrakern wurde alle fünf Jahre dem Gott Zalmoxis ein ›Bote‹ geschickt: Man prellte den ›Boten‹ in die Höhe und spießte ihn beim Herunterfallen mit Lanzen auf. Starb er, war er gottbegnadet, blieb er am Leben, so war er böse, und ein anderer mußte an seiner Stelle ›geschickt‹ werden.
   Dieser, an ein Gottesurteil erinnernde Brauch, sowie auch mittelalterliche Belege für prellen stehen alle der Sphäre der Rechtsbräuche sehr nahe. In der ›Weltchronik‹ des Wieners Jans Enekel (nach 1250 verfaßt) liest man Vers 17270-17275:

   swer in swacher waet
   kom und het sich niht genaet
   an sînem bris den ermel zuo,
   des spottet man spât und fruo.
   man hiez in ûf einer rinderhût
   werfen ûf, daz er schrê lût.

Das Prellen des Menschen diente in harmloserer Form auch der Volksbelustigung und galt als Mutprobe bei jungen Burschen und Soldaten, die in die Gemeinschaft aufgenommen werden wollten. Prellen als Hänselbrauch ist heute noch beliebt und spielt im Fastnachtsbrauchtum eine Rolle, wobei stellvertretend für den Menschen auch eine Puppe verwendet werden kann.
   Bereits Sebastian Franck bringt das Prellen (einer Puppe) in Verbindung mit Fastnachtsbräuchen: (›Weltbuch‹, ersch. Tübingen 1539): »Halten auch ir vier eyn leylach bey den vier zipfeln und einen ströinen angemachten butzen in hosen und wammes mit einer larven, wie einen toten man, schwingen si ihn mit den vier zipfeln auf in die höhe und entfahen ihn wider in das leylach. Das treiben sie durch die ganze Stadt«.
   Als Strafe für Zechprellerei begegnet das Prellen in dem Roman von Cervantes ›Don Quijote de la Mancha‹ (Lübeck, Leipzig 1939), S. 88 (übersetzt nach L. Braunfels): »... hier legten sie Sancho mitten auf die Bettdecke und begannen, ihn in die Höhe zu schnellen, und hatten ihren Spaß mit ihm wie mit einem Hunde auf der Fastnacht«. Denn Sancho Pansa kann die verlangte Rechnung für die Beherbergung in dem Wirtshaus, das Don Quichote für eine Burg gehalten und erstürmt hatte, nicht begleichen.
   Im 19. Jahrhundert nehmen die Belege für das Prellen ab; heute gilt es als Relikt aus alter Zeit; 1950 wurde in Paris ein Theaterstück des französischen Flamen Michel de Ghelderode aufgeführt, das das Prellen zum Inhalt hat: ›Hop, Signor‹.
   Die Erinnerung an den mittelalterlichen Strafvollzug scheint dagegen im Brauchtum des »Todaustragens« erhalten geblieben zu sein: Eine Strohpuppe wird symbolisch getötet, indem sie durch ein aufgespanntes Tuch in die Luft emporgeschnellt, wiederaufgefangen und geprellt wird.

• R. KÖHLER: Up der Hut werpen, in: Korrespondenzblatt des Vereins für niederdeutsch Sprachforschung 6 (1881), S. 36; ergänzt in: ders.: Kleinere Schriften zur Neueren Literaturgeschichte, Volkskunde und Wortforschung, hg. von J. Bolte (= Kleinere Schriften, Band 3), (Berlin 1900), S. 606-607; W. MANNHARDT: Wald- und Feldkulte, Band I (Berlin 2. Auflage 1904), besonders S. 612; TIEMANN: Artikel ›prellen, schnellen‹, in: Handbuch des Aberglaubens VII. Spalte 306f.; E. HOFFMANN KRAYER: Fruchtbarkeitsriten im schweizerischen Volksbrauch, in: Schweizer Archiv für Volkskunde S. 239; wieder in: ders.: Feste und Bräuche des schweizerischen Volkes (Zürich 1940), S. 122; J. DE SCHUYTER: Op, Signorken, Zijn Legenden en zijn Oorsprong (1944); L. SCHMIDT; Jagglschutzen und Fuchsprellen, in: Österreichische.Zeitschrift für Volkskunde 71 (1968), S. 1-31; L. RÖHRICH und G. MEINEL: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 321f.; A. WACKE: Nachlese zum Volksbrauch, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde. 82 (1979), S. 151-166; D.R. MOSER: Lazarus Strohmanus Jülich (Jülich 21980); ders.: Fastnacht – Fasching Karneval (Graz – Wien – Köln 1986), S. 282-285.
Prellen: Fuchsprellen. ›Fuchsprellen‹. 1724, in: Fleming: Des Vollkommenen Teutschen Jägers Anderer Haupt Theil, Leipzig 1724, Taf. XXVIII.

Prellen: Wolfsprellen. ›Wolfsjagd‹. Kupfer von Adrian Collaert (ca. 1520-67).

Prellen: Schnell- oder Wippgalgen. Hinrichtung am Wippgalgen, von Jacques Callot, 1633.

Prellen von Personen und menschlichen Puppen in historischen und gegenwärtigen Bräuchen. Boccaccio: Historien von widerwärtigem Glück, ed. Ziegler, 1545 (Detail), 6. Buch, 1. Kap.: ›Von einem gesprech des Glücks mit dem Boccatio‹.

Prellen von Personen und menschlichen Puppen in historischen und gegenwärtigen Bräuchen. Detail aus dem Festschießen von Zwickau, 1573.

Prellen von Personen und menschlichen Puppen in historischen und gegenwärtigen Bräuchen. Francisco de Goya: ›El Pelele‹ (Die Strohpuppe), Museo del Prado, Madrid.

Prellen von Personen und menschlichen Puppen in historischen und gegenwärtigen Bräuchen. Jackelschutzen in Garmisch-Partenkirchen, 1971.
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