Redensarten Lexikon
Phoenix
Sich wie ein Phoenix aus der Asche erheben: nach scheinbar völliger Vernichtung, nach schwerem Zusammenbruch wieder frisch erstehen. Der Phoenix ist ein mythischer Vogel, dessen Sage im Orient entstanden ist. Er soll eine außerordentlich lange Lebensdauer, die ›Phoenixperiode‹, haben und sich dann im Feuer verbrennen lassen, um verjüngt ins Leben zurückzukehren. Bei Hesiod (um 700 v. Chr.) hat der Phoenix eine Lebensdauer von 97200 Jahren; oft wurde die Dauer eines Phoenixlebens mit dem Sonnenjahr in Verbindung gebracht.    Überhaupt wird der Phantasievogel Phoenix als der Sonne heilig angesehen, er entsteht durch ihre Strahlen und ist oft ihr Abbild in der Kunst. Er ist mit der ägyptischen Stadt Heliopolis (Sonnenstadt) in Verbindung gebracht worden. Ebenso ist die amerikanische Stadt Phoenix [Arizona] nach ihm benannt.
   In einfacher Form, d.h. ohne Verbrennung und Wiederbelebung, führt Herodot (2,73) die Phoenix- Sage in die Welt literarisch ein. Erst Plinius (10.2.3) kennt die Verjüngungsgeschichte, die im Mittelalter in erster Linie durch den ›Physiologus‹ verbreitet wurde. Nach Lactantius (1. Drittel des 4. Jahrhundert) ›De ave Phoenice‹ lebt der wunderbare Vogel als Begleiter des Phoebus in einem glücklichen Lande im fernen Osten ein paradiesisches Leben. Wenn 1000 (nach anderen 500) Jahre seines Daseins vergangen sind, verläßt er seine Heimat und sucht die Welt auf, wo der Tod herrscht. Er begibt sich nach Syrien, setzt sich auf eine hohe Palme, wo er vor wilden Tieren, Schlangen und Raubvögeln geschützt ist. Auf dem Baume baut er sich ein Nest, das zugleich sein Grab wird. Mit Wohlgerüchen besprengt er seine Glieder und sein Lager und erwartet den Tod. Die Sonnenstrahlen entzünden ihn, so daß er zu Asche verbrennt. Aus der Asche entsteht nach Lactantius ein Wurm, der bei zunehmendem Wachstum sich in ein Ei verwandelt. Aus diesem kriecht nun der junge Phoenix aus. Nach Claudian (etwa 370-404) entsteht während des Verbrennungsprozesses in den aufgelösten Gliedern neues Leben, neues Blut durchströmt die Adern, und verjüngt erhebt sich der Phoenix aus der Asche. Der Gebrauch des Phoenix in der christlichen Symbolik bot sich von selbst an. Auch in Volksmärchen kommt der Phoenix vor (vgl. Bolte-Polivka I, 153). Im ›Millstädter Reimphysiologus‹ aus dem 12. Jahrhundert tritt neben die Beschreibung des Vogels bereits seine Deutung als Symbol Christi und seiner Auferstehung. Die Str. 177-180 lauten:
   « Fenix ein vogil heizzet, got selbe sich dem gelichet, wan er sprichet so in dem ewangelio: ›ich han gewalt, minen lip ze lazzene unde widir ze nemene.
andir nieman hat ubir mich gewalt‹: die Juden waren im erbolgen umbe disiu wort.
   Von disem vogil sprichet sus der meister Phisiologus: der vogil hat gewont ubir ein lant, India ist ez genant, so er funfhundirt jar alt wirt, in einen walt, heizzet Libanus, er vert unde fullet sine fedrach beidiu mit der bimentoniu, diu in dem walde ist, er machet im von der bimenton ein nest. ein michil teil holzes er samenet, daz er dar undir leget. er vert an den stunden, uf zuo der sunnen. er nimit daz holz, daz viur in danne brennet, in sin nest er danne sliuffet, dar inne verbrinnet er mit smerzen, daz gesciht in dem merzen.
   Darnach, wirt er ze ascen, in dem tage ersten wirt er ze einem wurme, des anderen tages ze einer stunde wirt er zeinem vogele, des dritten tages wirt er, als er e was ze lobene.
   Dirre vogil bezeichint Christ, des vedrach sint vol mit suozzem smache, von niwer unde alter e gemachet. wol gelert ist er, in dem himilriche ein meister. niwe unde alten e er uobet, vaterlichen er unsir houtet. des si geseit lop und genade unserem herren got! Amen. Amen«.
   (Fr. Maurer: Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts, Band I [Tübingen 1964], S. 243 und 245).
   Das Bild vom Phoenix lebt in bildender Kunst und Literatur bis zur Gegenwart fort. Schiller gebraucht es literarisch in seinem Drama ›Die Jungfrau von Orleans‹ (III,3): »Frankreich steigt, ein neu verjüngter Phoenix, aus der Asche«. Vgl. französisch ›être comme le phénix qui renaît de ses cendres‹. In den Varianten zu Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 29 (›Der Teufel mit den drei goldenen Haaren‹) taucht wiederholt der Vogel Phoenix auf; vgl. Bolte-Polivka I, 276.
   Die Redensart ›Wie ein Phoenix aus der Asche‹ ist auch parodiert worden zu: ›Wie ein Phoenix aus der Patsche‹.

• W. ROSCHER: Lexikon der griechischen Mythologie III, 2, Spalte 3450ff.; W. SPIEGELBERG: Der Name des Phönix, in: Festschrift zur 46. Versammlung deutscher Philologen 1901, S. 163ff.; Bolte-Polivka I, 513; O. KELLER: Die antike Tierwelt 2 (Leipzig 1913), S. 147; E. INGERSOLL: Birds in Legend, Fable and Folklore (New York 1923), S. 191-211; A. TAYLOR: Artikel ›Phoenix‹, in: Handbuch des Aberglaubens VII, Spalte 18; J. HUBAUX, M. LEROY: Le mythe du Phénix dans les littératures grecques et latins (Lüttich, Paris 1939); R. VAN DEN BROEK: The Myth of the Phoenix according to classical and early christian traditions (Leiden 1972); S.L. CRANSTON, J. DEAD: Reincarnation, The Phoenix Fire Mystery (New York 1977).}

Wie ein Phönix aus der Asche. Holzschnitt aus der
   ›Schedel'schen Weltchronik‹, 1493 (UB. Freiburg i. Br., fol. 104) (Originalausgabe mit Holzschnitten von Michael Wolgemut und Hans Pleydenwurff) (Herder-Bildarchiv).
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Ansicht: Phoenix