Redensarten Lexikon
Niemand
Die Figur eines personifizierten ›Herrn Niemand‹ taucht in der Massenkunst des bebilderten Flugblatts im 16. und 17. Jahrhundert mehrfach auf. Ein ähnliches Namenspiel kennt ja bereits die Polyphem-Episode aus Homers Odyssee, wo Odysseus dem Zyklopen gegenüber seinen Namen als Oytis, d.h. als Niemand, Keiner angibt. Er erreicht damit, daß später die übrigen Zyklopen die Hilferufe des Geblendeten nicht verstehen und daher nicht eingreifen. So kann er mit seinen restlichen Gefährten entkommen. Im Zeitalter des Humanismus wird der Outis oder Nemo zum anonymen Prügelknaben, zum Pseudonym und Stellvertreter. so etwa bei U.v. Hutten in seinem 1515 an den Freund Crotus Rubeanus gerichteten Schreiben, dem er den Titel ›Outis et Nemo‹ gab. In ihm geißelt er Einrichtungen und Zustände seiner Zeit für die im einzelnen ›niemand‹ die Verantwortung auf sich nehme. Sie sind eben das Werk des ›Niemand‹. Diesen Niemand läßt Hutten in einem Gedicht selbst zu Wort kommen.    Zuvor aber war der zur Person gewordene Niemand literarischer Gegenstand und ironischerweise sogar schon zur Heiligsprechung vorgeschlagen worden, indem man Bibelstellen mit dem Wort und Begriff ›nemo‹ in Form einer Predigtparodie zusammenstellte und daraus die Existenz eines Heiligen namens Nemo beweisen wollte. Hieraus erklärt sich auch die Redensart vom St. Nimmerlein und dem St.-Nimmerleins-Tag als Ausrede und faules Versprechen.
   Der Straßburger Jörg Schan verfaßte um 1500 ein Gedicht vom Niemand, der von Mägden und Knechten angerufen wird. Er erscheint – auch in bildlicher Darstellungen – als Schutzpatron des um faule Ausreden bemühten Gesindes. Auf den Flugblättern stellt er sich selbst in diesem Sinne vor:

   Der Niemandts so bin ich genandt
   Mägden vnd Knechten wol bekandt.

Oder auch:

   Niemant hais ich
   was ieder man tut
   das zucht man mich.

Bildlich wurde er oft auch als Mann mit einem Schloß vor dem Mund dargestellt und von zerbrochenem Hausrat umgeben.
   Die Figur des Niemand ist nicht auf Deutschland beschränkt geblieben. Frankreich kennt ihn ebenfalls schon früh, wie die 1525 gedruckten ›Les grands et merveilleux faictz du seigneur Nemo‹ zeigen; in England entsteht gegen das Jahrhundertende die Ballade vom armen ›John Nobody‹. Dieser Herr Niemand ist ein Gegenbild zum Jedermann. Im 17. Jahrhundert werden Jedermann und Niemand sogar gemeinsam dargestellt und auch mit entsprechenden Texten versehen:

   Hie Ihmand und der Niemand stehen,
   wie nasse Katzen sich ansehen.
   Was Ihmand tut, hat Niemand getan,
   drumb ist niemand ein frommer Mann.
   Ihmandt ist arm, niemand ist reich,
   drumb seyn die betler alle gleich.


• E. MEYER-HEISIG: Vom »Herrn Niemand«, in: Zwischen Kunstgeschichte und Volkskunde, Festschrift für W. Fraenger, hg. von R. Peesch (Berlin 1960), S. 65-76; L. RÖHRICH: Die mittelalterlichen Redaktionen des Polyphem-Märchens und ihr Verhältnis zur außerhomerischen Tradition, in: Fabula 5 (1969), S. 48-71.}

Herr Niemand. Einblattholzschnitt mit xylographischem und typographischem Text, um 1533: ›Der wohlredendt Niemant‹, unbekannter Straßburger Meister. Aus: Flugblätter der Reformation und des Bauernkrieges. 50 Blätter aus der Sammlung des Schloßmuseums Gotha, herausgegeben von Hermann Meuche, Katalog von Ingeburg Neumeister, Leipzig 1976, Blatt 40.
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