Redensarten Lexikon
Nase
Eine gute (feine) Nase für etwas haben: etwas richtig ahnen. Die Redensart geht auf den feinen Geruchssinn eines Menschen, wahrscheinlicher aber auf den des Jagdhundes zurück, auf den sich ursprünglich auch das Adjektiv Naseweis, eigentlich ›Mit der Nase die Spur weisend‹, bezieht, so schon bei Konrad von Würzburg: »tugende spürt er, sam daz wilt eine nase wîser bracke«. Was beim Spürhund ein Lob war, wird beim Menschen zum Tadel (ähnlich früher auch ›naseklug‹, z.B. im 16. Jahrhundert bei C. Faber: »hie müssen wir auch der naseklugen nicht vergessen, die das pferdt im hindern zäumen«). Niederdeutsch ›ene dünne Näs hebben‹, spitzfindig sein; schweizerisch ›e gschide Nasa ha‹, etwas gleich merken, einen feinen Spürsinn haben; Rückert schreibt: »Doch daß auch Männer mit hochfeiner Nase sich täuschen lassen vom falschen Schein, das weiß ich«; vgl. französisch ›avoir du flair‹ (wörtlich: einen feinen Geruchssinn haben) oder ›avoir du nez‹.    Seine Nase im Wind haben: progressiv sein, einen ›Riecher‹ für das Aktuelle besitzen.
   Die Nase voll davon haben: nichts mehr davon wissen wollen (in ähnlichem Sinn: ›Verschnupft sein‹); scherzhaft auch halbfranzösisch: Die Nase plein (pleng, pläng) haben. In korrektem Französisch heißt die Redensart: ›en avoir plein le dos‹ (wörtlich: den Rücken voll haben). Medizinisch gesehen ist die Ursache des Gefühls einer verstopften Nase das Aufschwellen der Nasenmuscheln in psychischen Streßsituationen. Der Widerstand beim Atmen ist größer, es fällt schwerer. Das fuhr ihm in die Nase: es prägte sich ihm unangenehm ein, es gab ihm zu denken.
   Jemanden in der Nase haben: eine Person nicht leiden können.
   Obersächsisch ›einem die Nase wischen‹, ihn tadeln; niederdeutsch ›wat op de Näs kreegen‹. Allgemein Eine Nase kriegen (bekommen): einen Verweis erhalten; bairisch ›e Nase fangen‹. Zur Erklärung wird darauf hingewiesen, daß dem, der einen Verweis bekam, ehemals eine Nase aus bunter Pappe aufgesetzt wurde. Man erinnert auch daran, daß, während sich beim Lachen das Gesicht verbreitert, es sich bei unangenehmen Empfindungen verlängert; vor allem scheint die Nase dann länger zu werden. Ebenso könnte man erklären: Mit einer langen Nase abziehen, Die Nase hängen lassen. Als der böhmische Winterkönig Friedrich V. in der Schlacht am Weißen Berge 1620 von Tilly, dem Feldherrn der Katholischen Liga, besiegt worden war und Böhmen den Rücken kehren mußte, sangen die Katholiken (R. Wolkan, Deutsche Lieder auf den Winterkönig, S. 268):
   Die Flucht den Böhmen allen,
   Darzu der Prager Städt
   Mit nichten wollt gefallen,
   Daß ihre Majestät
   Allein sie wollt verlassen
   In Unglück und Elend,
   Bekamen lange Nasen,
   Doch war der Jagd kein End.

Genauso heißt es in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹ (II, 191) von einem Zöllner, der auf eine naseweise Bemerkung gehörig abgetrumpft wird und einen tüchtigen Verweis bekommt: »Davon kriegte der Zöllner eine lange Nase«. Eine moderne übertreibende Verstärkung ist: ›Mit (kilo-)meterlanger Nase abziehen‹; schleswig-holsteinisch ›he lett de Nes hangen‹, er schämt sich, ist traurig; ›he süht bi de Nese da‹, er blickt beschämt, traurig, befangen drein; rheinisch ›de kickt sich langs de Nas af‹; schleswig-holsteinisch ›wer sin Nas afsnitt der schändt sin Gesicht‹; elsässisch ›wemer sich d'Nas üs'm Gesicht schnid't, het mer keni meh‹; rheinisch ›wer sing Nas afbitt, der verschängelert sin eige Angesech‹ (vgl. englisch ›don't cut your nose off to spite your face‹; französisch ›c'est couper le nez pour faire depit à son visage‹ (veraltet); heute eher: ›partir la queue basse‹ (wörtlich: mit eingezogenem Schwanz abziehen).
   Sich selber die Nase abschneiden: seinen eigenen Verwandten oder Landsleuten etwas Schlechtes nachsagen. Das Nasenabschneiden war aber auch eine Rechtsstrafe für ein Vergehen (siehe Grimm, Rechtsaltertümer II, 296).
   Daß du die Nase im Gesicht behältst! So ruft man niederdeutsch einem zu, der vor Überraschung oder ähnlichem außer Fassung zu geraten droht. In der Form ›Daß du die Nas' ins Gesicht behältst‹ ist diese Redensart die Lieblingswendung des Inspektors Bräsig in Fritz Reuters (1810-47) ›Stromtid‹; nach Gaedertz (Aus Fritz Reuters jungen und alten Tagen II, 77) eine Lieblingswendung des Pastors Joh. Gottfried Dittrich Augustin in Rittermannshagen. Die Nase hoch tragen: ›Hochnäsig‹, hochmütig sein; vgl. englisch ›to turn up one's nose at a person‹; niederländisch ›voor iemand of iets zijn neus optrecken, ophalen‹.
   Über jemanden die Nase rümpfen: jemanden nicht (mehr) mögen, ›Nicht (mehr) riechen können‹.
   Sich eine goldene Nase (dabei) verdienen (verschaffen): ein lukratives Geschäft machen, sehr reich werden, unerwartet hohen Profit erzielen.
   Immer der Nase nach gehen: geradeaus gehen; rheinhessisch erweitert: ›Immer der Nas' nach, geht der Arsch net irr‹ (vgl. englisch ›to follow one's nose‹; niederländisch ›hij volgt zijn neus‹).
   Einen an der Nase herumführen: ihn nach eigenem Vergnügen lenken, seinen Scherz mit ihm treiben, ihm absichtlich falsche Hoffnungen machen; verkürzt Ihn nasführen. Das Bild dieser sehr alten Redensart kommt von den Tierbändigern, die ihren Opfern Ringe durch die Nase ziehen, um sie so ganz in ihrer Gewalt zu haben. So hat sich auch Luther den Ursprung der Redensart erklärt (›Tischreden‹,1568, Bl. 414b).
   Auf P. Bruegels Redensarten-Bild führen zwei Spieler einander an der Nase herum, während der Narr sie inzwischen betrügt. In Goethes ›Faust‹ ist die Redensart mehrfach verwendet. Vgl. französisch ›mener quelqu'un par le bout du nez‹.
   Einem eine Nase drehen: ihn zum besten halten, ihn verspotten. Die Redensart bezieht sich auf die Gebärde der ›langen Nase‹ mit ausgespreizten Fingern. Vielleicht ist die Redensart auch eine Verkürzung der älteren Redensart Eine wächserne Nase drehen. In Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ (71, 11) ist bezeugt, daß die Narren eine lange Nase aus Wachs trugen. Die Gebärde der langen Nase ist eine einfache Art der Verspottung; sie ist verhältnismäßig spät, offenbar erst in der Renaissance, in Westeuropa entstanden. Am frühesten begegnet sie im 18. Kapitel des I. Buches von Rabelais' ›Pantagruel‹ anläßlich des Gebärdenwettstreites von Panurg mit dem Engländer Thaumastos. Noch etwas früher liegt nur der bildliche Beleg auf einem Fastnachtsbild Pieter Bruegels von 1560. Wir kennen den Gebrauch der langen Nase dann besonders aus verschiedenen Darstellungen des Verlorenen Sohnes. Bei diesen Bildern gehört sie offenbar geradezu zum Darstellungstypus. Der Verlorene Sohn wird schließlich sogar von dem Narren verspottet, der bis dahin sein Begleiter gewesen war. Die literarischen Belege reichen bis ins 19. Jahrhundert; Gottfried Keller (›Romeo und Julia auf dem Dorfe‹): »und so, statt mit ihrem Manne zu leiden, drehte sie ihm eine Nase«; Conrad Ferd. Meyer: »Ich will euch noch von jenseits des Grabes eine Nase drehen«. Man denke auch an Goethes Gedicht ›Lilis Park‹, wo es heißt:

   Ein jedes aufgestutzte Bäumchen höhnt
   Mich an ...Der Buchsbaum zieht mir eine Nase.

Der erst seit dem 18. Jahrhundert sehr häufig auftretende Gebrauch der Gebärde kann darauf beruhen, daß sie nun als Parodie des militärischen Grußes aufgefaßt wurde, vergleichbar mit dem Narrhalla-Gruß der rheinischen Fastnachtsnarren. Bis zur Gegenwart hat sich die lange Nase vor allem in der Kinderwelt erhalten, und zu erinnern ist, welchen Gebrauch in diesem Zusammenhang Wilhelm Busch oder auch der ›Struwwelpeter‹ von der langen Nase machen. Vgl. französisch ›faire un pied-de-nez â quelqu'un‹.
   Einem etwas auf die Nase binden: es ihm weismachen; oder auch: jemanden auf eine neugierige Frage hin scharf abweisen; oft in der negierten Form: Jemandem etwas nicht (gerade) auf die Nase binden, es ihn nicht wissen lassen.
   Einem etwas unter die Nase reiben: es ihm deutlich zu verstehen geben, es ihm derb vorhalten, so daß er ›daran riechen‹ kann; schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaysersberg; vgl. französisch ›mettre â quelqu'un quelque chose sous le nez‹.
   Vor der Nase: ganz dicht vor einem, z.B. ›Einem etwas vor der Nase wegschnappen‹; vgl. französisch ›sous le nez‹. Sich etwas an der Nase vorbeigehen lassen: etwas versäumen, verpassen; vgl. französisch ›passer sous le nez de quelqu'un‹.
   Pro Mann und Nase: pro Person, für jeden einzelnen; die Wendung ist eine Erweiterung von ›pro Mann‹.
   Seine Nase in alles (oder in jeden Dreck, Quark) stecken: sich unbefugter- oder neugierigerweise um alles bekümmern; 1541 begegnet bei Sebastian Franck die ähnliche Redensart: »Sy stoßt jr mul in alle ding«; in Goethes ›Faust‹ heißt es (I,V. 292): »In jeden Quark begräbt er seine Nase«. Vgl. französisch ›fourrer son nez partout‹.
   Die Nase ins Buch stecken: fleißig lernen (weil beim Lesen die Nase dem Text am nächsten ist).
   Man sieht's ihm an der Nase an sagt man oft, um ein Urteil über jemanden gleichsam aus seinen Gesichtszügen zu begründen; scherzhaft auch übertreibend: Das sieht man ihm an der Nasenspitze an. Luther: »daß man ihnen an der Nasen habe angesehen, was sie je und je getan haben«. Götz von Berlichingen erzählt in seiner Lebensbeschreibung vom Kaiser Maximilian, er sei sehr bescheiden gekleidet gewesen, »ich aber als ein junger erkant Ihn bey der Nasen, daß Er's war« (Kaiser Maximilian war allerdings leicht an der langen gebogenen Habsburger-Nase zu erkennen). Bei manchen Krankheiten läßt sich ja tatsächlich aus der Färbung der Nasenspitze auf bestimmte körperliche Gegebenheiten schließen: der Trinker hat eine rötliche oder rote Nase; der Ohnmächtige hat eine weiße Nasenspitze; vgl. französisch ›Cela se voit sur le bout de son nez‹.
   So sagen auch Eltern zu ihren Kindern: ›Ich sehe dir an der Nase an, daß du lügst‹. Um es den Kindern glaubhaft zu machen, wird meistens noch der Zusatz angehängt: ›denn sie wackelt‹; zuweilen befühlt man sie auch; ist sie kalt, so hat das Kind die Wahrheit gesagt, ist sie warm, so hat es gelogen.
   Er sieht nicht weiter, als seine Nase reicht. Die Nase als Längenmaß bezeichnet sprichwörtlich eine winzige Entfernung; noch heute heißt es beim Wettrennen der Pferde: ›Um eine Nasenlänge gesiegt haben‹, ›Um eine Nasenlänge voraus sein‹; daher auch: ›Alle Nas(en) lang‹, jeden Augenblick. Von einem Menschen mit beschränktem Gesichtskreis sagt Sebastian Brant im ›Narrenschiff‹ (70,11ff.):

   Nit witer gedenkt er vff alle stundt
   Dann von der nasen biß jnn mundt.

Ebenso französisch ›Il ne voit pas plus loin que le bout de son nez‹; schweizerisch ›für d'Nas use g'seh‹, etwas weiter blicken, als die Nase reicht, nicht nur auf das Nächstliegende schauen und sorgen.
   Du bist wohl auf der Nase gegangen? fragt man im Scherz einen, der sich durch einen Stoß oder Fall die Nase geschunden hat.
   Einem auf der Nase herumspielen: ihn geringschätzig behandeln, sich alles mit ihm erlauben, ihn zum besten haben. Man sagt sogar: Einem auf der Nase herumtrommeln, häufiger noch: Einem auf der Nase herumtanzen; z.B. 1639 bei Lehmann, S. 393 (›Heucheley‹ 27): »Das Fräwlein Adulatio (Schmeichelei) trumpelt Kaiser, Churfürsten, Grafen vnd Obrigkeiten auffm Maul«. Schweizerisch ›sich nüd uf d'Nas schisse la‹, sich nicht alles gefallen lassen.
   Sich die Nase begießen (oder die Nase zu tief ins Glas stecken) ist eine jüngere Redensart für: sich betrinken. Ringwald (1603): »... dem Saufen war er bitter feind, hielt keinen Mann für seinen Freund, der liederlich die Nasz begosz«. Vgl. französisch ›se piquer le nez‹: saufen und ›avoir un verre dans le nez‹: betrunken sein, trinken.
   Auf der Nase liegen: krank sein.
   Die Nase kriegt Junge: es bilden sich auf der Nase Warzen und Auswüchse (um 1900 rheinisch).
   Sich eine unter die Nase stecken: sich eine Zigarre anzünden. Verliebte Nasenlöcher machen: jemanden verliebt ansehen. Mund und Nase aufreißen (aufsperren): einen erstaunt anblicken. Manche Leute staunen offenen Mundes. Daß auch die Nase aufgesperrt wird, ist nur eine starke Übertreibung.
   Sie haben Nas' auf Mund gelegen: sie haben Geschlechtsverkehr gehabt; rheinhessisch
   Unter der Nase gut zu Fuß sein: redegewandt, schlagfertig sein (20. Jahrhundert); ›Schnell unter der Nase sein‹, viel reden; aber auch: schnell essen.
   Sich einen Knopf in die Nase machen (hessisch): sich etwas merken; groteske Weiterbildung vom Knopf im Taschentuch.
   Von jemandem, der eine große, dicke oder auch lange Nase hat, sagt man scherzhaft: Du hast dreimal hier gerufen, als die Nasen (auch Gurken) ausgeteilt wurden; oder elsässisch ›Ihr seid tapfer gelaufen ... de hat d'Scheid bekummen, wu d'r Hergott d'Nasen drin g'ha hett‹.
   Seine Nase gefällt mir nicht: er ist mir unsympathisch; er mißfällt mir aus mehr oder minder unerklärlichen Gründen; vgl. französisch ›avoir quelqu'un dans le nez‹: unsympathisch finden, schleifen.
   Sich an (bei) der (eigenen) Nase fassen (nehmen, zupfen): Selbsterkenntnis üben, sich Selbstvorwürfe machen, sich seine Schuld eingestehen. Dem Tadler ruft man zu: ›Zupf dich an deiner eigenen Nase!‹ Auch in den Mundarten häufig belegt und verschieden variiert, z.B. ›Hei sollte sik sulwest bei der Nasen kreigen, denn hedde he beede Hännen vull‹; mecklenburgisch ›jeder fat an sin Näs, dann find't hei Fleisch‹; ostpreußisch ›fatt dich do an die Näs, af dei nich natt ös!‹ Schon im 16. Jahrhundert in der›Zimmerischen Chronik‹ (III, 469) wird zu einer, die sich über andere Frauen aufhält, gesagt: »Ach fraw, zichet euch selbert bei der nase«. Ähnlich dann bei Abraham a Sancta Clara sowohl in ›Judas der Erzschelm‹ wie in ›Etwas für Alle‹: »Nimm dich selbst bey der Nasen!« Die Redensart geht vermutlich auf eine alte Rechtsgebärde zurück. So war es normannische Rechtsgewohnheit, daß beim Widerruf von Schmähungen und Beleidigungen der Verurteilte sich selbst am Nasenzipfel zu fassen hatte: »convictus debet taliter emendare, quod nasum suum digitis per summitatem tenebit et sic dicet: ex eo, quod vocavi a te latronem, etc. mentitus fui«. Wenn hier der Ursprung der Vorstellung liegt, so scheint sie doch erst viel später in der Sphäre der typisierenden Verfestigung zum bildlichen Gebrauch und gar zur Verbildlichung aufgestiegen zu sein. Wahrscheinlich waren es satirische Bilderbogen der Barockzeit, die das Motiv allgemein geläufig machten. Seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts findet sich in der populären Graphik, in der volkstümlichen Plastik und in der Volkskunst (z.B. auf Hinterglasbildern) das Bildthema vom ›Vogel Selbsterkenntnis‹. Er wird als storchenartiger Vogel mit einem menschlichen Antlitz auf der Brust dargestellt, dem der Vogelschnabel in die Nase zwickt. Vgl. die sinnverwandte Wendung vom ›Splitter im fremden Auge‹, Balken. Nicht selten geben die barocken Darstellungen mit beigegebenen Sprüchen auch Belege für die Redensart, z.B.:

   Wer selber weder Storch noch Strauß
   Vil närrischer sieht als andre auß,
   Doch jedermann weiß außzulachen
   Die kleine Fehler groß zu machen
   Der jedem kann die mängel sagen
   Und allen Leuthen Blech anschlagen,
   Der mag nur seine Federn rupfen
   Und selbst sich bey der Nasen zupfen.

Oder:

   Ziech sich ein yezts selbst bey der nasn
   Waß dich nit Prendt Thue auch nicht Plasn.
Andere nehmen Bezug auf die Inschrift des Apollotempels in Delphi ›gnoti seayton‹, die in der lateinischen Übersetzung Ciceros »Nosce te ipsum« im Deutschen wieder an Nase anklingt. Auch im Volkslied wirkt die Redensart bis zur Gegenwart weiter, etwa in dem niederdeutschen Kanon:

   Dat best is ümmer
   Sät Jochen Brümmer
   sich an sin eegen Naat tau faten
   Un annere Lüt in Rauh tau laaten.

Zu den Redensarten von der Nase gehört auch ein Zweizeiler, der in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz, auch in Holland bekannt ist und der offenbar als eine Art negativer Schönheitsregel gilt:

   Lange Nas' und spitzes Kinn,
   Da sitzt der Satan leibhaft drin.

   Vgl. schweizerisch:

   Spitznas übli Bas,
   Spitzes Chinn böse Sinn.

Niederländisch.:

   Een spitsche neus en spitsche kin:
   Daar zit sinjeur de duivel d'rin.

Der früheste bekannte Beleg stammt vom Jahre 1565 aus Wien. Er bezieht sich auf ein Turnier am Hofe, zu dem die Ritter vermummt erschienen. Die Maskierungen wurden durch Reime gekennzeichnet. Von einigen Masken heißt es:

   Spitzig Nasen, helle Stimmen,
   Wohnt der Teufel darinnen.

Ebenso zeigen die Hexen- und Teufelsmasken der süddeutschen Fastnacht allenthalben das spitze Kinn und die lange, gebogene Nase.
   Die Nase steht des öfteren als pars pro toto für den Menschen, besonders für den Mann. So verliert z.B. in der Novelle ›Die Nase‹ (1835) von Nikolaj Gogol (1809-52) – komponiert 1927 als Oper von Dimitri D. Schostakowitsch – der Held der Erzählung seine Nase als Zeichen für den Verlust seiner Individualität. Weiterhin meint man umschreibend mit ›Nase des Mannes‹ den Penis: ›Wie die Nase des Mannes, so auch sein Johannes‹. Umgangssprachlich ungebräuchlich ist der poetische Ausdruck ›Die Klugheit stieß sich die Nase breit‹ im Sinne von die Klugheit hat jemanden auf den falschen Weg geführt, ihm eine falsche Spur gewiesen. So z.B. bei P. Rosenwall in seinen ›Malerische(n) Ansichten und Bemerkungen auf einer Reise durch Holland ... und Württemberg‹ (Mainz 1818), 2. Teil, S. 102.
   Eine Nasenlänge voraus sein: knapp der Erste sein im sportlichen, geschäftlichen oder gesellschaftlichen Wettbewerb.
   Etwas um ein Nasenwasser kaufen: eine Sache für einen geringen Betrag erwerben; schwäbisch ›Des is dem ein Nasewasser‹: diese Arbeit zählt für jemanden nichts, hat keinen Wert.

• J. GRIMM: Rechtsaltertümer I, S. 198; W. FRAENGER: Deutsche Vorlagen zu russischen Volksbilderbogen des 18. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für historische Volkskunde, 2 (1926), S. 127ff.; O. FENICHEL: Die ›lange Nase‹, in: Imago, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Natur- und Geisteswissenschaften, 14 (1928),S. 502ff.; M. H.: Die Nase in volkstümlichen Redensarten, in: Muttersprache 57 (1942), S. 110-111; L. SCHMIDT: Der Vogel Selbsterkenntnis. Zwischen Volkskunst und Redensart, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Kongreßheft 1952, S. 134-144; ders.: Spitze Nase, spitzes Kinn, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde. Nr. 8, Band VI (1952), S. 59ff.; L. KRETZENBACHER: Ein steirischer Beleg zum Vogel Selbsterkenntnis, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde. 7 (1953), S. 51-52; A. TAYLOR: The Shanghai Gesture, Folklore Fellows Communications 166 (Helsinki 1956); L. RÖHRICH: Gebärdensprache und Sprachgebärde, S. 121ff.; L. RÖHRICH und G. MEINEL: Redensarten aus dem Bereich der Jagd und der Vogelstellerei, S. 317; W. ESCHER: Wie deutet man das Jucken der Nase, in: Atlas der schweizerischen Volkskunde II (Basel 1971), S. 583-590; W. BARONOWSKY: Ich hab' die Neese pleng, in: Sprachdienst 18 (1974), S. 75.

Ich hab' d' Nas voll. Witzige Zeichnung von Tomi Ungerer in Dankbrief an Prof. Röhrich, 1978.

Einen nasführen – Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte. Detail aus dem Sprichwörter-Bild von P. Bruegel, 1559.

Jemdanden an der Nase herumführen. Karikatur von Haitzinger, aus: HANDELSBLATT, vom 12.III.1980.

Einem eine lange Nase machen. Detail aus ›Das Narrenfest‹ von Pieter Bruegel, 1559, Bibliothek Alb. Ter, Brüssel.

Einem eine lange Nase machen. Detail aus: ›Das Bad am Samstagabend‹ von Wilhelm Busch.

Einem eine lange Nase machen. Verlorener Sohn, Radierung von Charles de Mallery (1571- ca. 1635).

Einem eine lange Nase machen. Detail aus dem ›Struwwelpeter‹ von H. Hoffmann, 1845.

›Vogel Selbsterkenntnis‹ (›Sich an der eigenen Nase fassen‹). Vogel Selbsterkenntnis, Tiroler
   Volkskunstmuseum, Innsbruck.
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