Redensarten Lexikon
Nadel
Er hat bei mir noch etwas auf der Nadel: er soll mir noch für etwas büßen. Die Redensart ist seit dem 16. Jahrhundert bezeugt, heute aber nur noch in den Mundarten vorhanden, z.B. schwäbisch. Schiller verwendet sie in folgender Form:
Manches Stück von altem Adel,
Vetter (Bacchus), hast du auf der Nadel,
Vetter, übel kommst du weg.
Man hat zur Erklärung der Redensart, deren Bedeutung der von ›Etwas auf dem Kerbholz haben‹ entspricht, an einen Schneider gedacht, der so von einem Kunden sagt, für den er beschäftigt ist und von dem er noch Geld zu erwarten hat. Mit größerem Recht wird man aber unter der Nadel die Stricknadel verstehen, wie es denn auch landschaftlich heißt: ›Etwas bei einem noch auf der Nadel sitzen haben‹. Der bildliche Sinn hätte sich dann ebenso eingestellt wie in den Redensarten ›Noch etwas bei einem auf der Kunkel haben‹, ›Einen Schinken bei jemandem im Salz liegen haben‹, ⇨ Schinken.
Wie auf Nadeln sitzen: sehr ungeduldig dasitzen (⇨ Kohle). Bei Chr. Fr. Henrici (Picander, 1700-64) heißt es:
Seht, wie der Bräutigam hier wie auf Nadeln sitzt
Und ärger als jemand das Leckermäulchen spitzt
(im Französischen genauso: ›être assis comme sur des épingles‹).
Älter ist die Form Auf Nadeln gehen (oder stehen); z.B. bei Daniel Stoppe (1697 bis 1747):
Da geht man fast auf lauter Nadeln,
Denn jede findet was zu tadeln.
Ähnlich aus Breslau: ›O, macht ok furt! 's is ja, as wenn ma auf Nadle schtinde‹; schweizerisch ›of d'Nodle setze‹, jemanden in die Enge treiben. Die Redensart bezieht sich wohl auf die Gottesurteile und Folterungen, wo der Angeklagte zum Beweis seiner Unschuld über ein Nagelbrett gehen mußte.
In verschiedenen Redensarten wird Nadel auch kennzeichnend für ein sehr kleines Ding gebraucht; so sagt man von einer dichtgedrängten Menschenmenge: Es konnte keine Nadel zur Erde (fallen).
Etwas wie eine (Steck-)nadel suchen: eine verlorene Kleinigkeit vergeblich suchen; ähnlich Eine Nadel in einem Heuhaufen suchen, womit man die Nutzlostgkeit eines Suchens charakterisiert (ebenso englisch ›to look for a needle in a bottle of hay‹; französisch ›chercher une aiguille dans une botte de foin‹; niederländisch ›het is een naadl in een hooiberg‹).
Etwas mit der heißen Nadel nähen: etwas eilig und darum schlecht ünd flüchtig ausführen, nicht in allen Einzelheiten durchdacht (z.B. politische Gesetzesvorhaben).
Bis heute hat sich der Volksglaube erhalten, daß es gefährlich sei, jemandem spitze Gegenstände zu schenken. Man könnte sonst verletzen oder die bestehende Freundschaft zerstören. Die Warnung der Redensart Eine Nadel sticht die Freundschaft tot! wird noch immer beachtet, d.h. man hütet sich, Anstecknadeln oder Broschen zu verschenken. Jemandem eine Nadel schenken bedeutet in der Schweiz, die Freundschaft mit jemandem aufkündigen (Handbuch des Aberglaubens VI, Spalte 919). In Frankreich schenkt man keine Nähutensilien, da auch hier die Vorstellung verbreitet ist, diese könnten eine Freundschaft ›totschneiden‹.
An der Nadel hängen: stark drogensüchtig sein; sich in regelmäßigen Abständen Heroin injizieren müssen. Ist jemand dieser Droge total verfallen, so sagt man, Er kommt nicht mehr von der Nadel los.
Nadelgeld bekommen: von den Eltern als Tochter regelmäßige Beisteuer für den späteren Haushalt bekommen; oder auch, wie die veraltete Redensart heute noch in der Schweiz gebräuchlich ist, das Geld meinend, das der Ehemann seiner Frau zu deren freier Verfügung gibt. Der Ausdruck ›Nadelgeld‹ hängt damit zusammen, daß Nadeln früher sehr teuer waren. König Ludwig XI. von Frankreich z.B. schenkte seiner Tochter zur Hochzeit eine Büchse voller Nadeln.
Die (zukünftige) Hausfrau mußte in der Lage sein, ihre Kleidung und die ihrer Kinder, auch die Wäsche selbst in Ordnung zu halten, auszubessern oder gar anzufertigen, um zu sparen oder sich in Notzeiten behelfen zu können. Das Nadelgeld verhalf ihr dazu, selbständig zu wirtschaften und für das Nötigste an Textilien zu sorgen.
In dem schwäbischen Volkslied: ›Sitzt e klois Vogerl im Tannenwald‹ heißt es in Str. 5:
Mädle, was kriegscht für e Heiratsgut,
daß de des Köpfle so trägscht? La, La ...
Nadel und Faden und Fingerhut
und e verroschtete Scher.
Die schlagfertige Antwort des um seine Zukunft unbekümmerten Mädchens bedeutet, daß es von zu Hause nichts zu erwarten hat, doch sich selbst durchzubringen hofft.
Nadel und Faden werden auch als Umschreibungen der männlichen und weiblichen Genitalien gebraucht; so z.B. von Balzac, der in seinen ›Ergötzlichen Geschichten‹ die Unmöglichkeit einer Vergewaltigung behauptet und dies so begründet: »Man kann keinen Faden einfädeln, wenn die Nadel nicht stillhält.«
Ein Kamel durch ein Nadelöhr treiben (wollen): etwas Schwieriges, Unmögliches versuchen; Einen mit etwas durchs Nadelöhr treiben: ihn durch Zwang oder Drohung zu etwas fast Undurchführbarem veranlassen. Die Wendungen beziehen sich auf Mt 19, 24: »Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Reich Gottes komme«. Mit dem Nadelöhr könnte ein sehr enges, kleines Tor in der Stadtmauer von Jerusalem gemeint sein, das nur Menschen den Durchgang gestattete und tatsächlich im Volksmund ›Nadelöhr‹ genannt wurde. Wahrscheinlich beruht die Übersetzung jedoch auf einer falschen Lesart, so daß kamhlon = Kamel mit kamilion Schiffstau verwechselt wurde. Es müßte demnach in einem wirklich aufeinander bezogenen Vergleich richtiger heißen: »Es ist leichter, daß ein Schiffstau (dickes Seil) durch ein Nadelöhr gehe ...«.
Eine Politik der Nadelstiche betreiben: jemanden durch ständiges ⇨ Piesacken unaufhörlich quälen oder peinigen, ⇨ Politik.
Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr .... Karikatur von Haitzinger, 76. Aus: Bad. Zeitung vom 18.II.1976.
Manches Stück von altem Adel,
Vetter (Bacchus), hast du auf der Nadel,
Vetter, übel kommst du weg.
Man hat zur Erklärung der Redensart, deren Bedeutung der von ›Etwas auf dem Kerbholz haben‹ entspricht, an einen Schneider gedacht, der so von einem Kunden sagt, für den er beschäftigt ist und von dem er noch Geld zu erwarten hat. Mit größerem Recht wird man aber unter der Nadel die Stricknadel verstehen, wie es denn auch landschaftlich heißt: ›Etwas bei einem noch auf der Nadel sitzen haben‹. Der bildliche Sinn hätte sich dann ebenso eingestellt wie in den Redensarten ›Noch etwas bei einem auf der Kunkel haben‹, ›Einen Schinken bei jemandem im Salz liegen haben‹, ⇨ Schinken.
Wie auf Nadeln sitzen: sehr ungeduldig dasitzen (⇨ Kohle). Bei Chr. Fr. Henrici (Picander, 1700-64) heißt es:
Seht, wie der Bräutigam hier wie auf Nadeln sitzt
Und ärger als jemand das Leckermäulchen spitzt
(im Französischen genauso: ›être assis comme sur des épingles‹).
Älter ist die Form Auf Nadeln gehen (oder stehen); z.B. bei Daniel Stoppe (1697 bis 1747):
Da geht man fast auf lauter Nadeln,
Denn jede findet was zu tadeln.
Ähnlich aus Breslau: ›O, macht ok furt! 's is ja, as wenn ma auf Nadle schtinde‹; schweizerisch ›of d'Nodle setze‹, jemanden in die Enge treiben. Die Redensart bezieht sich wohl auf die Gottesurteile und Folterungen, wo der Angeklagte zum Beweis seiner Unschuld über ein Nagelbrett gehen mußte.
In verschiedenen Redensarten wird Nadel auch kennzeichnend für ein sehr kleines Ding gebraucht; so sagt man von einer dichtgedrängten Menschenmenge: Es konnte keine Nadel zur Erde (fallen).
Etwas wie eine (Steck-)nadel suchen: eine verlorene Kleinigkeit vergeblich suchen; ähnlich Eine Nadel in einem Heuhaufen suchen, womit man die Nutzlostgkeit eines Suchens charakterisiert (ebenso englisch ›to look for a needle in a bottle of hay‹; französisch ›chercher une aiguille dans une botte de foin‹; niederländisch ›het is een naadl in een hooiberg‹).
Etwas mit der heißen Nadel nähen: etwas eilig und darum schlecht ünd flüchtig ausführen, nicht in allen Einzelheiten durchdacht (z.B. politische Gesetzesvorhaben).
Bis heute hat sich der Volksglaube erhalten, daß es gefährlich sei, jemandem spitze Gegenstände zu schenken. Man könnte sonst verletzen oder die bestehende Freundschaft zerstören. Die Warnung der Redensart Eine Nadel sticht die Freundschaft tot! wird noch immer beachtet, d.h. man hütet sich, Anstecknadeln oder Broschen zu verschenken. Jemandem eine Nadel schenken bedeutet in der Schweiz, die Freundschaft mit jemandem aufkündigen (Handbuch des Aberglaubens VI, Spalte 919). In Frankreich schenkt man keine Nähutensilien, da auch hier die Vorstellung verbreitet ist, diese könnten eine Freundschaft ›totschneiden‹.
An der Nadel hängen: stark drogensüchtig sein; sich in regelmäßigen Abständen Heroin injizieren müssen. Ist jemand dieser Droge total verfallen, so sagt man, Er kommt nicht mehr von der Nadel los.
Nadelgeld bekommen: von den Eltern als Tochter regelmäßige Beisteuer für den späteren Haushalt bekommen; oder auch, wie die veraltete Redensart heute noch in der Schweiz gebräuchlich ist, das Geld meinend, das der Ehemann seiner Frau zu deren freier Verfügung gibt. Der Ausdruck ›Nadelgeld‹ hängt damit zusammen, daß Nadeln früher sehr teuer waren. König Ludwig XI. von Frankreich z.B. schenkte seiner Tochter zur Hochzeit eine Büchse voller Nadeln.
Die (zukünftige) Hausfrau mußte in der Lage sein, ihre Kleidung und die ihrer Kinder, auch die Wäsche selbst in Ordnung zu halten, auszubessern oder gar anzufertigen, um zu sparen oder sich in Notzeiten behelfen zu können. Das Nadelgeld verhalf ihr dazu, selbständig zu wirtschaften und für das Nötigste an Textilien zu sorgen.
In dem schwäbischen Volkslied: ›Sitzt e klois Vogerl im Tannenwald‹ heißt es in Str. 5:
Mädle, was kriegscht für e Heiratsgut,
daß de des Köpfle so trägscht? La, La ...
Nadel und Faden und Fingerhut
und e verroschtete Scher.
Die schlagfertige Antwort des um seine Zukunft unbekümmerten Mädchens bedeutet, daß es von zu Hause nichts zu erwarten hat, doch sich selbst durchzubringen hofft.
Nadel und Faden werden auch als Umschreibungen der männlichen und weiblichen Genitalien gebraucht; so z.B. von Balzac, der in seinen ›Ergötzlichen Geschichten‹ die Unmöglichkeit einer Vergewaltigung behauptet und dies so begründet: »Man kann keinen Faden einfädeln, wenn die Nadel nicht stillhält.«
Ein Kamel durch ein Nadelöhr treiben (wollen): etwas Schwieriges, Unmögliches versuchen; Einen mit etwas durchs Nadelöhr treiben: ihn durch Zwang oder Drohung zu etwas fast Undurchführbarem veranlassen. Die Wendungen beziehen sich auf Mt 19, 24: »Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Reich Gottes komme«. Mit dem Nadelöhr könnte ein sehr enges, kleines Tor in der Stadtmauer von Jerusalem gemeint sein, das nur Menschen den Durchgang gestattete und tatsächlich im Volksmund ›Nadelöhr‹ genannt wurde. Wahrscheinlich beruht die Übersetzung jedoch auf einer falschen Lesart, so daß kamhlon = Kamel mit kamilion Schiffstau verwechselt wurde. Es müßte demnach in einem wirklich aufeinander bezogenen Vergleich richtiger heißen: »Es ist leichter, daß ein Schiffstau (dickes Seil) durch ein Nadelöhr gehe ...«.
Eine Politik der Nadelstiche betreiben: jemanden durch ständiges ⇨ Piesacken unaufhörlich quälen oder peinigen, ⇨ Politik.
Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr .... Karikatur von Haitzinger, 76. Aus: Bad. Zeitung vom 18.II.1976.