Redensarten Lexikon
Milch
Er hat nicht viel in die Milch zu brocken (auch gekürzt: ›Er hat nicht viel zuzubrocken‹): er lebt bescheiden, kann keine ›großen Sprünge machen‹ (⇨ Sprung). Das Gegenteil heißt niederdeutsch ›He hett wat in der Melk to krömen‹ (krümeln); ›he hett wat intostippen‹; ebenso niederländisch ›veel in de melk te brocken hebben‹, viel Einfluß, viel zu sagen haben. Sebastian Brant geißelt es im ›Narrenschiff‹ (17,28), daß auch ein Dummer als Schwiegersohn willkommen geheißen werde, wenn er nur Geld habe:
Man sucht eyn vß der narren zunfft,
Der jnn die mylch zu brocken hab.
Etwas mit der Muttermilch eingesogen haben: Eigenschaften und Eigenheiten als angeborene Eigentümlichkeit besitzen. So schon bei Augustinus (›Confessiones‹ 3,4): »Nomen Salvatoris in ipso adhuc lacte matris cor meum praebiberat«; entsprechend französisch ›sucer avec le lait‹; englisch ›to imbibe with one's mother's milk‹; niederländisch ›iets met de moedermelk inzuigen‹.
Niederdeutsch ›De Melk löppt mi nich mer ut dem Mund‹, ich bin kein Kind mehr. ›Die Milch ist von blauen Kühen‹, sie ist sehr stark mit Wasser gemischt.
Milch und Honig: diese beiden Begriffe stehen für Überfluß, besonders in der Wendung ›Land, wo Milch und Honig fließt!‹ Dieser Ausdruck kommt in der Bibel häufig vor (z.B. Gen 3,8) und ist auch in den klassischen Sprachen bekannt; gemeint ist das Paradies oder das Jenseits; heute ist diese Umschreibung für alle Gegenden, in denen die Menschen gut und wohlversorgt leben können, gebräuchlich. Im christlichen Denken gehören 12 Flüsse von Milch und Honig zum himmlischen Jerusalem; in einer apokryphen Vision umgeben vier Flüsse die Stadt: sie sind gefüllt mit Honig, Milch, Wein und Öl. Der Honigstrom ist der Ort der Propheten, der Milchfluß derjenige der unschuldigen Kinder und der reinen Seelen. Diese Vorstellungen gaben Anlaß, Milch und Honig als ›reinigende‹ Elemente bei der christlichen Taufe mitzuverwenden. Um 600 n. Chr. starb dieser Brauch aus. Rom hatte ihn am längsten unverändert bewahrt.
Wie Milch und Blut aussehen: weiß und rot, gesund sein; das Weiß der Milch und das Rot des Blutes zusammen im Antlitz gilt als ein Zeichen der Schönheit. »Hadd ik doch en Kind, so rood as Blood un so witt as Snee« heißt es im Grimmschen Märchen (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 47) ›Von dem Machandelboom‹, und ebenso wünscht sich die Mutter Schneewittchens (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 53) »ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz«. Die Wendung ist ein uralter poetischer Ausdruck für die Schönheit, die ängstlich vor der Sonne gehütet wurde. So steigt schon vor Parzival (Wolfram 282, 20; Chrestien, Conte del Graal V. 5550), als der Falke auf eine Wildgans stößt und drei Blutstropfen vor ihm in den Schnee fallen, das Bild der geliebten Condwiramur mit ihrer weißen Haut und ihrem rosigen Munde auf und zwingt ihn zu unwiderstehlicher Sehnsucht:
ûz ir wunden ûfen snê
vieln drî bluotes zäher rôt,
die Parzivâle fuogten nôt ...
Condwîr âmûrs, hie lît dîn schîn.
sît der snê dem bluote wîze bôt,
und ez den snê sus machet rôt,
Cundwîr âmûrs,
dem glîchet sich dîn bêâ curs.
Die höfische Lyrik umschreibt die weibliche Schönheit sonst meist im Bild der Rose und der Lilie, so auch Walther von der Vogelweide (53,38):
so reine rôt, so reine wîz,
hie roeseloht, dort liljen var.
Über vergossene Milch reden: Belanglosigkeiten erörtern, längst Entschiedenes besprechen (englisch ›crying over spilt milk‹).
›Über verschüttete Milch weinen‹, Sinnloses tun, sich über Sinnloses aufhalten.
Bei ihm ist die Milch sauer: er verhält sich ablehnend; er ahnt Benachteiligung; man hat ihm etwas verleidet; etwa seit 1920.
Dä wird d' Milch scho no abegee: ›dem wird die Milch schon noch abgehen‹ sagt man in der Schweiz von einem Überheblichen, der schon nachgeben wird. Ich verkaufe meine Milch nicht an dich: meint, mit dir will ich nichts zu tun haben; schwäbisch ›i verkauf mei Milch it a di‹. Es gibt doch keine Milch: etwas ist vergebens.
Die Milch der frommen Denkungsart: poetische Umschreibung für ein ehrliches, frommes und aufrichtiges Denken einer Person.
»In gärend Drachengift hast
du die Milch der frommen
Denkart mir verwandelt.«
(Schiller, Tell IV,3)
Vgl. auch Shakespeares ›Macbeth‹ (I,5): »Too full of the milk of human kindness« und die ähnliche Aussage in 1 Petr 2, 1-2.
• V. LOVELING: Volkstaal en volksgeloof; Melk te drinken geven, in: Volkskunde 12 (1899-1900), S. 167-169; H. USENER: Milch und Honig, in: Rheinisches Museum für Philologie 57 (1902), S. 177; R. FONCKE: Een Mechelse verwensing: Loopt naar de melk, in: Feestbundel H.J. van de Wijer, ed. H. Draye (1944), II, S. 335-338; H. BRADDY: Wild mare's milk, in: American Speech 35 (1960), S. 79-80; E. STRÜBIN: Zur deutsch-schweizerischen Umgangssprache, in: Schweizer Archiv für Volkskunde 72 (1966), S. 116.
Man sucht eyn vß der narren zunfft,
Der jnn die mylch zu brocken hab.
Etwas mit der Muttermilch eingesogen haben: Eigenschaften und Eigenheiten als angeborene Eigentümlichkeit besitzen. So schon bei Augustinus (›Confessiones‹ 3,4): »Nomen Salvatoris in ipso adhuc lacte matris cor meum praebiberat«; entsprechend französisch ›sucer avec le lait‹; englisch ›to imbibe with one's mother's milk‹; niederländisch ›iets met de moedermelk inzuigen‹.
Niederdeutsch ›De Melk löppt mi nich mer ut dem Mund‹, ich bin kein Kind mehr. ›Die Milch ist von blauen Kühen‹, sie ist sehr stark mit Wasser gemischt.
Milch und Honig: diese beiden Begriffe stehen für Überfluß, besonders in der Wendung ›Land, wo Milch und Honig fließt!‹ Dieser Ausdruck kommt in der Bibel häufig vor (z.B. Gen 3,8) und ist auch in den klassischen Sprachen bekannt; gemeint ist das Paradies oder das Jenseits; heute ist diese Umschreibung für alle Gegenden, in denen die Menschen gut und wohlversorgt leben können, gebräuchlich. Im christlichen Denken gehören 12 Flüsse von Milch und Honig zum himmlischen Jerusalem; in einer apokryphen Vision umgeben vier Flüsse die Stadt: sie sind gefüllt mit Honig, Milch, Wein und Öl. Der Honigstrom ist der Ort der Propheten, der Milchfluß derjenige der unschuldigen Kinder und der reinen Seelen. Diese Vorstellungen gaben Anlaß, Milch und Honig als ›reinigende‹ Elemente bei der christlichen Taufe mitzuverwenden. Um 600 n. Chr. starb dieser Brauch aus. Rom hatte ihn am längsten unverändert bewahrt.
Wie Milch und Blut aussehen: weiß und rot, gesund sein; das Weiß der Milch und das Rot des Blutes zusammen im Antlitz gilt als ein Zeichen der Schönheit. »Hadd ik doch en Kind, so rood as Blood un so witt as Snee« heißt es im Grimmschen Märchen (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 47) ›Von dem Machandelboom‹, und ebenso wünscht sich die Mutter Schneewittchens (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 53) »ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz«. Die Wendung ist ein uralter poetischer Ausdruck für die Schönheit, die ängstlich vor der Sonne gehütet wurde. So steigt schon vor Parzival (Wolfram 282, 20; Chrestien, Conte del Graal V. 5550), als der Falke auf eine Wildgans stößt und drei Blutstropfen vor ihm in den Schnee fallen, das Bild der geliebten Condwiramur mit ihrer weißen Haut und ihrem rosigen Munde auf und zwingt ihn zu unwiderstehlicher Sehnsucht:
ûz ir wunden ûfen snê
vieln drî bluotes zäher rôt,
die Parzivâle fuogten nôt ...
Condwîr âmûrs, hie lît dîn schîn.
sît der snê dem bluote wîze bôt,
und ez den snê sus machet rôt,
Cundwîr âmûrs,
dem glîchet sich dîn bêâ curs.
Die höfische Lyrik umschreibt die weibliche Schönheit sonst meist im Bild der Rose und der Lilie, so auch Walther von der Vogelweide (53,38):
so reine rôt, so reine wîz,
hie roeseloht, dort liljen var.
Über vergossene Milch reden: Belanglosigkeiten erörtern, längst Entschiedenes besprechen (englisch ›crying over spilt milk‹).
›Über verschüttete Milch weinen‹, Sinnloses tun, sich über Sinnloses aufhalten.
Bei ihm ist die Milch sauer: er verhält sich ablehnend; er ahnt Benachteiligung; man hat ihm etwas verleidet; etwa seit 1920.
Dä wird d' Milch scho no abegee: ›dem wird die Milch schon noch abgehen‹ sagt man in der Schweiz von einem Überheblichen, der schon nachgeben wird. Ich verkaufe meine Milch nicht an dich: meint, mit dir will ich nichts zu tun haben; schwäbisch ›i verkauf mei Milch it a di‹. Es gibt doch keine Milch: etwas ist vergebens.
Die Milch der frommen Denkungsart: poetische Umschreibung für ein ehrliches, frommes und aufrichtiges Denken einer Person.
»In gärend Drachengift hast
du die Milch der frommen
Denkart mir verwandelt.«
(Schiller, Tell IV,3)
Vgl. auch Shakespeares ›Macbeth‹ (I,5): »Too full of the milk of human kindness« und die ähnliche Aussage in 1 Petr 2, 1-2.
• V. LOVELING: Volkstaal en volksgeloof; Melk te drinken geven, in: Volkskunde 12 (1899-1900), S. 167-169; H. USENER: Milch und Honig, in: Rheinisches Museum für Philologie 57 (1902), S. 177; R. FONCKE: Een Mechelse verwensing: Loopt naar de melk, in: Feestbundel H.J. van de Wijer, ed. H. Draye (1944), II, S. 335-338; H. BRADDY: Wild mare's milk, in: American Speech 35 (1960), S. 79-80; E. STRÜBIN: Zur deutsch-schweizerischen Umgangssprache, in: Schweizer Archiv für Volkskunde 72 (1966), S. 116.