Redensarten Lexikon
Maul
steht in Redensarten vielfach als derber, vom Tier auf den Menschen übertragener Ausdruck für ›Mund‹. Die meisten Redensarten mit Maul sind Parallelbildungen zu Ausdrücken mit ⇨ Mund besonders in den oberdeutschen Mundarten; z.B. Jemandem übers Maul fahren: ihn wegen einer Äußerung scharf zurechtweisen; Nicht aufs Maul gefallen sein: schlagfertig, um eine Antwort nicht verlegen sein; Sich das Maul verbrennen: sich durch Worte schaden. Das Maul aufreißen: übertreiben, vorlaut sein; vgl. englisch ›gaping against an oven‹; Das Maul voll nehmen: prahlen; Ein loses (grobes) Maul(werk) haben: freche (derbe, unsaubere) Reden führen. Allgemein üblich ist Halt's Maul!: sei still! »Liebe Kinder, lernet das Maul halten; denn wer es hält, der wird sich mit Worten nicht vergreifen«, übersetzte Luther Sir 23,7; vgl. französisch ›ferme ta gueule‹ oder ›ta gueule‹ (beides derb). Maulen: mürrische Widerworte geben. So schon bei Hans Sachs (›Töchtermann‹ 18); als dem Ehemann anstatt des erwarteten Sohnes eine Tochter geboren wird, heißt es:
Darob het der jung man ein grawen
Und meulet sich ob seiner frawen.
Ähnlich ›Sich vermaulen‹, ein halb mucksiges, halb naseweises Dagegenreden, Sichverteidigen.
Ein Maul anhängen: frech widersprechen. Das Maul hängen lassen: mürrisch, mißvergnügt sein; aus ›melancholisch‹ hat die Volksetymologie Maulhängolisch, Maulhenkolisch gemacht (so schon bei Johann Fischart). Das Bild wäre von alten Pferden entlehnt, hat man gemeint mit Berufung auf den Satz in Pestalozzis ›Lienhard und Gertrud‹: »Er hängt die Oberlippe wie eine alte Stute«. Aber dieser Übertragung bedarf es nicht; mürrische Menschen lassen wirklich den Mund hängen (oder Ziehen ein schiefes Maul). Schon in der Namenlosen Sammlung von 1532 heißt es unter Nr. 301: »Sihe wie henckt er das Maul. Mault sich«. Dazu die Erklärung: »Sihe wie ist der so zornig, die da zürnen, sehen sawr, vnd lassen das maul mit den lippen lang heraußhangen«. Ähnlich Agricola, Nr. 323. Auch in der ›Zimmerischen Chronik‹ (IV, 14): »Damit macht er das meniglich ... das maul hanckte«. In Ifflands ›Jägern‹ von 1785 heißt es (I,1): »Hängt das Maul, so tief Ihr wollt – hier kann ich es nicht aushalten«.
Maul und Nase aufsperren: dumme Verwunderung äußern. Bei höchstem Erstaunen öffnen wir unwillkürlich gleichsam alle Sinne, als ob wir sie alle zu Hilfe nehmen wollten bei dem Erfassen eines merkwürdigen Anblicks, einer verblüffenden Geschichte.
Der offenstehende Mund erklärt sich dabei so, daß man sich äußern möchte, aber vor Erstaunen kein Wort hervorbringt. Schon der Prediger Geiler von Kaysersberg (1445-1510) rechnet die unter die Narren », die mit dem Kopff und Maul hören; denn es sein etlich also geartet, daß sie nicht hören können, wenn sie nicht das Maul aufsperren und gaffen, gleichwie ein Esel, der Distel frißt«; vgl. französisch: ›rester bouche bée‹ (wörtlich: mit offenem Mund dastehen); ähnlich Die Maulsperre haben (kriegen): vor Staunen sprachlos sein, ⇨ Maulaffe
Ein ungewaschenes Maul nennt man einen Mund, aus dem nur unnützes Gewäsch, schmutzige oder freche Reden kommen. Die Vorstellung ist sehr alt und früher offenbar weniger anstößig gewesen als jetzt, sogar die höfische Dichtung des 13. Jahrhunderts verschmäht sie nicht. Die rechte Waschung für den Mund sind Gebete; Murner predigt in der ›Narrenbeschwörung‹ (47,12):
Das mul solt ir mit beten weschen!
Von besonders frechen Schnäbeln sagt Murner in der ›Schelmenzunft‹, daß sie Das Maul in den Himmel stoßen, wenn sie Gottes Regiment tadeln, wobei er auf den alten Glauben von den Schnabelmenschen anspielt:
Man sagt myr das in alten zeyten
Warendt der schneblechten leyten
Ich kanß nit für eyn wunder han
Man findt wol ietz eyn schnebler man
Der mit seym maul erreichen kan
Den hymmel vnd all sternen dran.
Das Maul ausleeren nennt es der Bayer, wenn einer alles Böse, was er über jemanden oder eine Sache zu wissen glaubt, vorbringt. Das Maul nach etwas spitzen (und doch nicht pfeifen): auf etwas begierig sein; nach der Mundhaltung, die man einnimmt, wenn Einem das Maul nach etwas wässert; Grimmelshausen sagt dafür im ›Simplicissimus‹ (II, 102): »mir die Zähne wässerig zu machen«.
Einem etwas ins Maul schmieren: es ihm so leicht und angenehm wie möglich beibringen; eigentlich von einer Speise gesagt, die der andere nicht von selber essen will, wie der Lehrer erst ›vorkaut‹, was die Schüler verdauen sollen. Geläufig ist auch: Einem das Maul schmieren, Einem ums Maul gehen: ihm schöne Worte geben, Versprechungen machen, die nicht gehalten werden; vgl. Luther (›Tischreden‹,1577, Bl. 362a): »Einem das Maul schmieren, ohne ihm etwas zu geben«. So auch 1529 bei Joh. Agricola (Nr. 692): »Er schmirbt yhm das Maul, und gibt yhm ein dreck drein. Das ist, er betrügt yhn«, ⇨ Honig. Einem das Maul stopfen: ihn zum Schweigen bringen, um nicht weiter von ihm belästigt zu werden.
Nach einer lateinischen Fabel des Phaedrus versucht ein Dieb dem kläffenden Hofhund ein Stück Brot anzubieten, um ihm das Maul zu stopfen, damit er nicht mehr belle (vgl. Singer I, 118, II, 43). Luther gebrauchte die kräftige Wendung öfters in seiner Bibelübersetzung: z.B. Ps 107,42: »Aller Bosheit wird das Maul gestopft werden«; Ps 63,12 steht: »Lügenmäuler stopfen«; Ps 40, 10 und Lk 11, 53: »Den Mund stopfen«. Geiler von Kaysersberg sagt: »Wenn du jedermanndes maul wöltest stopfen, würdest du fürwar nirgendt lumpen und scher wollen gnug bekommen mögen«. In Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ (41, 27f.) findet sich die Redensart angewandt auf die Klatschbasen und schwatzhaften Narren, denen es niemand recht machen kann:
Der muß mäl han, vil me dann vil,
wer yedems mul verstopfen wil.
In lateinischer Form auch bei Heinrich Bebel (Nr. 340): »Multa farina opus est, si quis omnium hominum ora occludere velit«. 1541 führt Sebastian Franck an (I, 85): »Der muß vil mel haben, der alle meuler wil verkleyben«. Bei Abraham a sancta Clara (›Judas‹ I,181) heißt es: »Es gibt wohl zu Zeiten einen schlechten Doctor, über den kein Patient thut klagen, denn er stopffet ihnen allen das Maul zu mit der Erden«.
›Nur so übers Maul raschwätze‹ sagt man im Schwäbischen, wenn man meint, es wird nur so dahergeredet, das Gesagte ist nicht allzu ernst zu nehmen.
Sehr drastisch ist die aus neuerer Umgangssprache bezeugte Redensart Dem sein Maul muß noch besonders totgeschlagen werden, wenn er mal stirbt, womit man einen boshaften Schwätzer brandmarkt. Ähnlich auch in den Mundarten, z.B. schwäbisch ›Bei dear muaß ma amaul d'Gosch oiges toatschlaga‹; ›wemma dear d'Gosch zuanäha, no tät se no zua de Nähta rausbäbbera‹; ›dia hot a Maul wie a Scheraschleifer‹.
Das Maul geht ihm wie geschmiert, Er läßt kein Spinnweb vor seinem Maul wachsen, Sein Maul geht ihm wie ein Schlachtschwert, wie ein Entenarsch, Er hat sein Maul nicht in der Hosentasche stecken. So schon bei Schuppius: »Wann Sie mich aber mit der Feder angreifen wollen, so will ich meine Feder und mein Maul nicht in die Hosentasche stecken, sondern mit Gottes Hülf sehen, daß ich Ihnen allein Mann's genug sei« (vgl. französisch ›Il ne met pas sa langue dans sa poche‹).
Dem Schweigsamen umgekehrt ist das Maul zugefroren oder er hat es gar zu Hause vergessen; vgl. französisch ›Il a oublié sa langue‹ (wörtlich: Er hat die Zunge vergessen); oder aber er sitzt still da und
Hält die Zunge im Maul.
Die Redensart Sich den Mund (das Maul) wischen hat mannigfachen Bedeutungswechsel erfahren. Ursprünglich wischt man sich das Maul (das Wort erscheint noch im 16. Jahrhundert in edlem Sinne), nachdem man eine Speise verzehrt, wie die Edelfrau und Vögtin in Hans Sachs' ›Edelfrau mit dem Aal‹ 39: »wischten darnach das maul paidsam«. Dann tut man in ironischem Sinne dasselbe, wenn man nichts davon bekommen hat, wenn man ohne Anteil geblieben ist. Sodann wird die Geste angewandt, um anzudeuten, daß man überhaupt keinen Anteil an etwas hat. In dieser Anwendung kann die Geste (und die aus ihr gewordene Redensart) auch auf Heuchelei zurückgehen. In diesem Falle stellt man sich unbeteiligt (wischt sich das Maul), obwohl man eigentlich recht stark beteiligt sein sollte. In älterer Zeit findet sich die Redensart gerade in diesem Sinne recht oft. In Hans Sachs' ›Krämer mit den Affen‹ (105) wischen die Spottvögel sich »den mund, drollen davon«, und in desselben Dichters ›Zwei Gesellen mit dem Bären‹ (117) wischt sich der Ausreißer ebenfalls »den mund und geht darfon«.
Der heutige Gebrauch der Redensart nähert sich mehr der ersten, ironischen Umdeutung, insofern als sie heute fast durchgehend in der Bedeutung verwandt wird, keinen Anteil an einer Sache erhalten zu haben, auf den man doch eigentlich ein Anrecht hatte oder zu haben vermeinte.
›Maul‹ als Bezeichnung für einen mißgebildeten Mund kommt in dem Sprichwort vor:
›Familie (Maul) Schiefeschnut
kriegt de Kerz' nit ut‹.
• ANONYM: Een muilband op een lampe, in: Biekorf 39 (1933), S. 94.}
Sein Maul aufreißen. Detail eines Altargemäldes: ›Verspottung Christi‹.
Sein Maul in den Himmel stoßen. Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512.
Darob het der jung man ein grawen
Und meulet sich ob seiner frawen.
Ähnlich ›Sich vermaulen‹, ein halb mucksiges, halb naseweises Dagegenreden, Sichverteidigen.
Ein Maul anhängen: frech widersprechen. Das Maul hängen lassen: mürrisch, mißvergnügt sein; aus ›melancholisch‹ hat die Volksetymologie Maulhängolisch, Maulhenkolisch gemacht (so schon bei Johann Fischart). Das Bild wäre von alten Pferden entlehnt, hat man gemeint mit Berufung auf den Satz in Pestalozzis ›Lienhard und Gertrud‹: »Er hängt die Oberlippe wie eine alte Stute«. Aber dieser Übertragung bedarf es nicht; mürrische Menschen lassen wirklich den Mund hängen (oder Ziehen ein schiefes Maul). Schon in der Namenlosen Sammlung von 1532 heißt es unter Nr. 301: »Sihe wie henckt er das Maul. Mault sich«. Dazu die Erklärung: »Sihe wie ist der so zornig, die da zürnen, sehen sawr, vnd lassen das maul mit den lippen lang heraußhangen«. Ähnlich Agricola, Nr. 323. Auch in der ›Zimmerischen Chronik‹ (IV, 14): »Damit macht er das meniglich ... das maul hanckte«. In Ifflands ›Jägern‹ von 1785 heißt es (I,1): »Hängt das Maul, so tief Ihr wollt – hier kann ich es nicht aushalten«.
Maul und Nase aufsperren: dumme Verwunderung äußern. Bei höchstem Erstaunen öffnen wir unwillkürlich gleichsam alle Sinne, als ob wir sie alle zu Hilfe nehmen wollten bei dem Erfassen eines merkwürdigen Anblicks, einer verblüffenden Geschichte.
Der offenstehende Mund erklärt sich dabei so, daß man sich äußern möchte, aber vor Erstaunen kein Wort hervorbringt. Schon der Prediger Geiler von Kaysersberg (1445-1510) rechnet die unter die Narren », die mit dem Kopff und Maul hören; denn es sein etlich also geartet, daß sie nicht hören können, wenn sie nicht das Maul aufsperren und gaffen, gleichwie ein Esel, der Distel frißt«; vgl. französisch: ›rester bouche bée‹ (wörtlich: mit offenem Mund dastehen); ähnlich Die Maulsperre haben (kriegen): vor Staunen sprachlos sein, ⇨ Maulaffe
Ein ungewaschenes Maul nennt man einen Mund, aus dem nur unnützes Gewäsch, schmutzige oder freche Reden kommen. Die Vorstellung ist sehr alt und früher offenbar weniger anstößig gewesen als jetzt, sogar die höfische Dichtung des 13. Jahrhunderts verschmäht sie nicht. Die rechte Waschung für den Mund sind Gebete; Murner predigt in der ›Narrenbeschwörung‹ (47,12):
Das mul solt ir mit beten weschen!
Von besonders frechen Schnäbeln sagt Murner in der ›Schelmenzunft‹, daß sie Das Maul in den Himmel stoßen, wenn sie Gottes Regiment tadeln, wobei er auf den alten Glauben von den Schnabelmenschen anspielt:
Man sagt myr das in alten zeyten
Warendt der schneblechten leyten
Ich kanß nit für eyn wunder han
Man findt wol ietz eyn schnebler man
Der mit seym maul erreichen kan
Den hymmel vnd all sternen dran.
Das Maul ausleeren nennt es der Bayer, wenn einer alles Böse, was er über jemanden oder eine Sache zu wissen glaubt, vorbringt. Das Maul nach etwas spitzen (und doch nicht pfeifen): auf etwas begierig sein; nach der Mundhaltung, die man einnimmt, wenn Einem das Maul nach etwas wässert; Grimmelshausen sagt dafür im ›Simplicissimus‹ (II, 102): »mir die Zähne wässerig zu machen«.
Einem etwas ins Maul schmieren: es ihm so leicht und angenehm wie möglich beibringen; eigentlich von einer Speise gesagt, die der andere nicht von selber essen will, wie der Lehrer erst ›vorkaut‹, was die Schüler verdauen sollen. Geläufig ist auch: Einem das Maul schmieren, Einem ums Maul gehen: ihm schöne Worte geben, Versprechungen machen, die nicht gehalten werden; vgl. Luther (›Tischreden‹,1577, Bl. 362a): »Einem das Maul schmieren, ohne ihm etwas zu geben«. So auch 1529 bei Joh. Agricola (Nr. 692): »Er schmirbt yhm das Maul, und gibt yhm ein dreck drein. Das ist, er betrügt yhn«, ⇨ Honig. Einem das Maul stopfen: ihn zum Schweigen bringen, um nicht weiter von ihm belästigt zu werden.
Nach einer lateinischen Fabel des Phaedrus versucht ein Dieb dem kläffenden Hofhund ein Stück Brot anzubieten, um ihm das Maul zu stopfen, damit er nicht mehr belle (vgl. Singer I, 118, II, 43). Luther gebrauchte die kräftige Wendung öfters in seiner Bibelübersetzung: z.B. Ps 107,42: »Aller Bosheit wird das Maul gestopft werden«; Ps 63,12 steht: »Lügenmäuler stopfen«; Ps 40, 10 und Lk 11, 53: »Den Mund stopfen«. Geiler von Kaysersberg sagt: »Wenn du jedermanndes maul wöltest stopfen, würdest du fürwar nirgendt lumpen und scher wollen gnug bekommen mögen«. In Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ (41, 27f.) findet sich die Redensart angewandt auf die Klatschbasen und schwatzhaften Narren, denen es niemand recht machen kann:
Der muß mäl han, vil me dann vil,
wer yedems mul verstopfen wil.
In lateinischer Form auch bei Heinrich Bebel (Nr. 340): »Multa farina opus est, si quis omnium hominum ora occludere velit«. 1541 führt Sebastian Franck an (I, 85): »Der muß vil mel haben, der alle meuler wil verkleyben«. Bei Abraham a sancta Clara (›Judas‹ I,181) heißt es: »Es gibt wohl zu Zeiten einen schlechten Doctor, über den kein Patient thut klagen, denn er stopffet ihnen allen das Maul zu mit der Erden«.
›Nur so übers Maul raschwätze‹ sagt man im Schwäbischen, wenn man meint, es wird nur so dahergeredet, das Gesagte ist nicht allzu ernst zu nehmen.
Sehr drastisch ist die aus neuerer Umgangssprache bezeugte Redensart Dem sein Maul muß noch besonders totgeschlagen werden, wenn er mal stirbt, womit man einen boshaften Schwätzer brandmarkt. Ähnlich auch in den Mundarten, z.B. schwäbisch ›Bei dear muaß ma amaul d'Gosch oiges toatschlaga‹; ›wemma dear d'Gosch zuanäha, no tät se no zua de Nähta rausbäbbera‹; ›dia hot a Maul wie a Scheraschleifer‹.
Das Maul geht ihm wie geschmiert, Er läßt kein Spinnweb vor seinem Maul wachsen, Sein Maul geht ihm wie ein Schlachtschwert, wie ein Entenarsch, Er hat sein Maul nicht in der Hosentasche stecken. So schon bei Schuppius: »Wann Sie mich aber mit der Feder angreifen wollen, so will ich meine Feder und mein Maul nicht in die Hosentasche stecken, sondern mit Gottes Hülf sehen, daß ich Ihnen allein Mann's genug sei« (vgl. französisch ›Il ne met pas sa langue dans sa poche‹).
Dem Schweigsamen umgekehrt ist das Maul zugefroren oder er hat es gar zu Hause vergessen; vgl. französisch ›Il a oublié sa langue‹ (wörtlich: Er hat die Zunge vergessen); oder aber er sitzt still da und
Hält die Zunge im Maul.
Die Redensart Sich den Mund (das Maul) wischen hat mannigfachen Bedeutungswechsel erfahren. Ursprünglich wischt man sich das Maul (das Wort erscheint noch im 16. Jahrhundert in edlem Sinne), nachdem man eine Speise verzehrt, wie die Edelfrau und Vögtin in Hans Sachs' ›Edelfrau mit dem Aal‹ 39: »wischten darnach das maul paidsam«. Dann tut man in ironischem Sinne dasselbe, wenn man nichts davon bekommen hat, wenn man ohne Anteil geblieben ist. Sodann wird die Geste angewandt, um anzudeuten, daß man überhaupt keinen Anteil an etwas hat. In dieser Anwendung kann die Geste (und die aus ihr gewordene Redensart) auch auf Heuchelei zurückgehen. In diesem Falle stellt man sich unbeteiligt (wischt sich das Maul), obwohl man eigentlich recht stark beteiligt sein sollte. In älterer Zeit findet sich die Redensart gerade in diesem Sinne recht oft. In Hans Sachs' ›Krämer mit den Affen‹ (105) wischen die Spottvögel sich »den mund, drollen davon«, und in desselben Dichters ›Zwei Gesellen mit dem Bären‹ (117) wischt sich der Ausreißer ebenfalls »den mund und geht darfon«.
Der heutige Gebrauch der Redensart nähert sich mehr der ersten, ironischen Umdeutung, insofern als sie heute fast durchgehend in der Bedeutung verwandt wird, keinen Anteil an einer Sache erhalten zu haben, auf den man doch eigentlich ein Anrecht hatte oder zu haben vermeinte.
›Maul‹ als Bezeichnung für einen mißgebildeten Mund kommt in dem Sprichwort vor:
›Familie (Maul) Schiefeschnut
kriegt de Kerz' nit ut‹.
• ANONYM: Een muilband op een lampe, in: Biekorf 39 (1933), S. 94.}
Sein Maul aufreißen. Detail eines Altargemäldes: ›Verspottung Christi‹.
Sein Maul in den Himmel stoßen. Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512.