Redensarten Lexikon
Mantel
Den Mantel nach dem Wind kehren (oder hängen): nicht nach festen Grundsätzen handeln, charakterlos, wetterwendisch sein; eigentlich: sich in die Umstände schicken wie ein Wanderer, der auf der Landstraße bei stürmischem Wetter den Mantel immer nach der Seite hängen muß, aus der der Wind kommt. Ursprünglich hatte die Wendung keinen tadelnden Nebensinn, sondern bedeutete nur: sich in die Verhältnisse schicken, ›Sich nach der Decke strecken‹, Decke; so als Lebensweisheit in einem der Sprüche Spervogels (›Minnesangs Frühling‹ 22,25):
   Man sol den mantel kêren, als daz weter gât,

oder in Gottfrieds von Straßburg ›Tristan‹ (V. 10430f.):

   Man sol den mantel kêren,
   als ie die winde sint gewant.

Diese Frühbelege, aber auch noch spätere Zeugnisse beweisen, daß unsere Redensart sich erst aus einem vollen Sprichwort verkürzt hat. In dem satirisch-didaktischen Epos ›Der Ring‹ des Heinrich von Wittenweiler heißt es (V. 4514ff.):

   Besich, in welhem zeit du pist,
   Dar zuo, wie daz weter ist,
   Daz du deinen mantel gschwind
   Mugest keren gen dem wind!

In Freidanks ›Bescheidenheit‹ (115,2) findet sich die Variante:

   Ein man den nüschel (Mantelspange) kêret,
   Als in daz weter lêret.

Tunnicius bucht 1513 die Redensart in niederdeutscher Form (Nr. 707): ›Men mot de hoiken (Mantel) na dem winde hangen‹. Schon frühneuhochdeutsch nimmt die Redensart den Sinn der Charakterlosigkeit an; so heißt im ›Reinke de Vos‹ von 1498 ein Großer am päpstlichen Hofe ›Wendhoyke‹; Luther schreibt (Erlanger Ausgabe Band 60, S. 308): »Bauchdiener hängen den Mantel, nachdem der Wind wehet«. Hans Sachs hat die Redensart ebenfalls häufig gebraucht, z.B. in den ›drei wachsenden Dingen‹:

   Wer der armut entpfind,
   Der henck den mantel nach dem Wind,
   Und treib allen Überfluß aus,
   Halt nach seinem vermügen haus.

Und in dem Schwank ›Der Pfennig ist der beste Freund‹:

   Wer sein gelt also prauchen thut
   Zur noturft aus ainfalting mut,
   Dem selben gar selten zurint;
   Er henckt den mantel nach dem wint,
   Lest sich begnügen, was er hab,
   Und dankt got deglich seiner hab.

In Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 83 ›Hans im Glück‹ findet sich das Lied eines Scherenschleifers:

   Ich schleife die Schere und drehe geschwind
   Und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.

Der Reim ist alt und findet sich schon auf einem Kupferstich von Israel von Meckenem im 15. Jahrhundert, wo verschiedene Sprichwörter durch handwerkliche Verrichtungen veranschaulicht werden. Der Sichelschmied z.B. sagt: »Das Recht kann ich krumm machen, drum trag ich rot Scharlachen«; ein Werkzeugmacher: »Meine Dinge mach ich recht und schlecht, drum bleibe ich ein armer Knecht«, und der Scherenschleifer: »Ich schleif, ich wend und kehr mein Mäntelchen nach dem Wind«. In der niederländisch-flämischen Redensarten-Malerei ist unsere Redensart von Bruegel bis zu den späteren Bilderbogen immer wieder dargestellt worden. Sprichwörter und Redensarten scheinen nur dem deutschen, französischen und niederländischen Sprachbereich anzugehören. Zwar schreibt schon Plautus »Utcumque est ventus, exim velum vortitur«, aber mittelalterliche und moderne Tradition sagen ›Mantel‹ statt ›segel‹; vgl. französisch ›retourner sa veste‹ (wörtlich: seine Jacke umkrempeln): seine Einstellung ändern.
   Den Mantel auf beiden Schultern tragen: mit jedem gut auskommen, sich von vornherein auf alle Möglichkeiten gefaßt machen, sich überallhin gut zu stellen wissen, friedliche Absichten zeigen. Diese Redensart ist schon sehr alt und beruht auf der Rechtsformel ›den Mantel schultern‹, wie sie etwa um 1220 im Sachsenspiegel auftaucht; auch ältere schwedische und friesische Rechtstermini kennen den geschulterten Mantel als Zeichen der Waffenlosigkeit. Im Mantel den Kopf verhüllen bedeutet jedoch das Gegenteil der vorherigen Redensart; hier wird Unheil signalisiert oder die unredliche Absicht eines Menschen beschrieben.
   Etwas mit dem Mantel der (christlichen) (Nächsten)Liebe bedecken: über einen Fehler, eine Schwäche oder eine nicht ganz saubere Sache schweigen; so tun, als ob man sie nicht bemerke; sie der Vergangenheit anheimgeben, um den, der sie verschuldet hat, nicht in Verlegenheit oder in Ungelegenheiten zu bringen. Friedrich von Logau (1604-1655) sagt in einem Epigramm:

   Nenne mir den weiten Mantel, drunter alles sich verstecket;
   Liebe tut's, die alle Mängel gerne hüllt und fleißig
   decket,

und Samuel von Butschky 1677 im ›Pathmos‹ (88): »Christus deckt die Sünden mit dem Mantel seiner Gerechtigkeit zu«. Das Bild von dem das Unrecht verhüllenden Mantel findet sich schon in Hugos von Trimberg Lehrgedicht ›Der Renner‹ (V. 3307ff.):

   kappen und swestermentellin
   (Mantel einer geistlichen Frau)
   bedeckent manec untaetelin.

Im Corpus iuris canonici, Decretum Gratiani, Kapitel 8,96 wird berichtet, der römische Kaiser Konstantin (306-337), der das Christentum zur Staatsreligion erhob, habe gesagt: »Wahrscheinlich, wenn ich mit eigenen Augen einen Priester Gottes oder jemanden im Mönchsgewand hätte sündigen sehen, so würde ich meinen Mantel abnehmen und ihn bedecken, damit er von niemand gesehen würde«. In den Spr 10,12 heißt es: »Haß erregt Hader; aber Liebe deckt zu alle Übertretungen«; ähnlich im 1 Petr 4,8: »Die Liebe decket auch der Sünden Menge«. In der heutigen Form stammt die Redensart jedenfalls aus geistlichem Munde, wo sie oft in salbungsvollem Ton ernst gemeint ausgesprochen worden sein wird, was den ironischen Sinn, den wir heute gewöhnlich mit ihr verbinden, mit hervorgerufen haben mag.
   Die nahe verwandten Ausdrücke Bemänteln, Einer Sache ein Mäntelchen umhängen in dem Sinne von ›beschönigen‹ brauchen selbstverständlich weder aus dem jüdischen noch dem klassischen Altertum abgeleitet zu werden; sie enthalten ein Bild, wie es jede Sprache immer wieder aus sich zu erzeugen imstande ist. So sagt Schiller in der ›Jungfrau von Orleans‹ (II, 1):

   Der Aberglaube ist ein schlechter Mantel
   Für Eure Feigheit.

Bismarck sprach einmal (›Reden‹ IX, 429) von dem »Mantel der gekränkten Unschuld, in dem man sich einhüllt, wenn man sachlich nichts zu sagen weiß«, und wiederholte: »die Triftigkeit seiner sachlichen Gründe mit dem Mantel der sittlichen Entrüstung, des persönlichen Gekränktseins zudecken« (›Reden‹ IX,433). Im altdeutschen Rechtsleben hat der Mantel eine wichtige Rolle gespielt. Vor der Ehe geborene Kinder wurden dadurch legitimiert, daß die Frau sie bei der Trauung unter ihren Mantel nahm (›Mantelkinder‹, lateinisch ›filii mantellati‹, französisch ›enfants mis sous le drap‹). Auch als Sinnbild des Schutzes galt der Mantel; in der Wartburgsage flüchtet der Minnesänger Heinrich von Ofterdingen unter den Mantel der Landgräfin. Ebenso bedeuten die Worte Wolframs im ›Parzival‹ (88,7f.):

   Dô diu botschaft was vernomn,
   Kaylet, der ê was komn,
   saz ter küngln undr ir mantels ort

keine Vertraulichkeit, sondern die Bitte um Schutz. An die Stelle des Mantels tritt dann der Schleier, so wenn in dem mittelhochdeutschen Heldenepos ›Rosengarten‹ erzählt wird, daß Kriemhild den Siegfried mit ihrem Schleier deckte, als er von Dietrich besiegt wurde. Erinnert sei auch an die spätmittelalterlichen Schutzmantelmadonnen, Darstellungen der Madonna, wie sie mit einem mächtig ausgebreiteten Mantel alle diejenigen schützt, die bei ihr Zuflucht gesucht haben. Im Zusammenhang mit unserer Redensart hat man auch an die Tracht der Femrichter erinnert: »Sie sollen Mäntelein auf ihren Schultern haben. Diese bedeuten die warme Liebe, recht zu richten, die sie haben sollen; denn so wie der Mantel alle andere Kleider oder den Leib bedecket, also soll ihre Liebe die Gerechtigkeit bedecken. Sie sollen auch darum die Mäntel auf den Schultern haben, damit sie dem Guten Liebe beweisen, wie der Vater dem Kinde« (Th. Berck: Geschichte der westfälischen Femgerichte, Bremen 1815, S. 32). Es fehlt bei dieser Erklärung der Redensart allerdings der Sinnbezug zur ›Bemäntelung‹ begangenen Unrechts.
   Den blauen Mantel umhängen blau.
   Im Schwäbischen: ›Der hat sein Mantel z'lang mache lasse‹ bedeutet, daß eine Person zu großartig aufgetreten ist, zu sehr angegeben hat.

• A. FINK: Mantel,in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte III, Spalte 251-254; M. DE MEYER: ›De Blauwe Huyk‹, in: Proverbium 16 (1971), S. 564-575; O. HOLZAPFEL: Den Mantel auf beiden Schultern tragen, in: Proverbium Paratum 1 (1980), S. 45-47.}

Seinen Mantel nach dem Wind hängen. Detail aus einem Bilderbogen aus Ost-Flandern, um 1700.

Seinen Mantel nach dem Wind hängen. Kupfer von Israel van Meckenem, 15. Jahrhundert, Wien, K.u.K. Kupferstichsammlung, B 222.

Mantel der Nächstenliebe – ›Schutzmantelmadonna‹. Schutzmantelmadonna, 15. Jahrhundert Dom in Fulda.
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Ansicht: Mantel