Redensarten Lexikon
lügen
Seit alters wird lügen gern durch einen Zusatz verstärkt; so besonders in den redensartlichen Vergleichen Wie ein Lügenmeister, wie eine Leichenrede, wie ein Zahnreißer; vgl. französisch ›mentir comme un arracheur de dents‹ (lügen wie ein Zähneausreißer). Am bekanntesten und verbreitetsten ist Lügen, daß sich die Balken biegen. Häufig gehen die redensartlichen Vergleiche von der Vorstellung aus, daß Lügen eine Last sind, wie z.B. in der Wendung: »Er log ihr einen ganzen Lastwagen voll« in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹. Diese Vorstellung liegt auch unserer Redensart zugrunde. Sie findet sich schon um 1500 bei dem Prediger Geiler von Kaysersberg; Thomas Murner sagt 1512 in der ›Schelmenzunft‹ (15,14): »lügen, daß die Balken krachen«; vgl. auch Hans Sachsens Schwank vom ›Lügenberg‹ und von der ›Lügenbrücke‹. Stärker noch drückt sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Johann Fischart in ›Sankt Dominici Leben‹ aus: Da lügt ein Schneidergeselle, »daß die Werkstatt kracht«; die Sterndeuter in ›Aller Praktik Großmutter‹ lügen, »daß die Himmel krachen«.    Abraham a Sancta Clara kennt außer der Form ›lügen, daß sich die Balken biegen‹ noch die Varianten: »Lügen, daß sich die Bäum möchten biegen«;
»Wann zu einer jeden Lug allzeit solte bey dem Verkauffen sich ein Baum Biegen, so wurde in kurtzer Zeit ein gantzer Wald bucklet«; »Lügen so sehr, daß sich der Thurn zu Cölln möcht auff die andere Seiten biegen« (›Judas‹ I, 354); »erstlich hat er stark gelogen, daß sich fast der Himmel gebogen« (›Narren- Nest‹ II,39).
   Einen ganzen Strauß derartiger Ausdrücke bietet die kräftige Sprache des Schweizer Reformationsdichters Nikolaus Manuel. Einem alten Kriegsmann legt er den Reim in den Mund:

   Ich mag ouch wol nüt destminder kriegen
   Und schweren, daß sich der himmel möcht biegen.

Ein andermal wirft er den Papisten vor:

   Sie stond am kanzel ietz und liegend,
   Daß sich ganze wend und bollwerk biegend.

Einen Bettler läßt er von dem Ablaßkrämer sagen:

   Da treibt er wunder abentür mit liegen;
   Ich dacht ein wil, der kilchturm sött sich biegen.

Als Luthers Gegenspieler Joh. Eck von der Badener Disputation zurückgekehrt ist, weiß er von ihm zu dichten:

   Er log, wie man für's wetter lüt,
   Und schampt sich minder dann nüt.
Diese Satire schließt gar mit dem burlesken Witz:

   Do Egg und sin gsell Faber log,
   Daß sich der berg Runzefal bog!

In den heutigen Mundarten haben sich derartige Nebenformen zum Teil bis heute erhalten, z.B. siebenbürgisch ›E lecht, dat sich de Ierd (Erde) bigt‹; ähnlich schon in dem Gedicht ›Des Teufels Netz‹ aus dem 15. Jahrhundert: »Der ander lügt, das sich der boden under in bügt«. Auf die sich biegenden Balken spielt man schwäbisch an, wenn man bei einer offenkundigen Lüge sagt: ›Joo, i han dea Durchzugsbalka schau lang im Aug. I moa, er häb se a bisle boga‹. Mit einem Blick an die Balkendecke warnt man den, der in Gegenwart Unmündiger Unpassendes sagen will: ›Seid still, 's sind so viel Balken da‹.
   Verbreitet ist auch Dem Teufel ein Ohr ablügen ( Teufel); ferner Das Blaue vom Himmel herunterlügen ( blau); Einem die Hucke (oder die Haut) vollügen; Nach Strich und Faden lügen ( Strich).
   Jünger ist die Redensart Wie gedruckt lügen (z.B. bei Chamisso belegt), ein böser Vorwurf des Volksmundes gegen Bücher und Zeitungen. Schon bei Johann Fischart (›Aller Praktik Großmutter‹,1623, S. 546) heißt es: »Die Lügen ist getruckt, darumb ist sie geschmuckt«. Eine Erweiterung brachten die bekannten Worte Bismarcks aus der Sitzung des preußischen Herrenhauses vom 13. Febr. 1869: »Es wird vielleicht auch dahin kommen, zu sagen: er lügt wie telegraphiert« (›Reden‹, IV. 144).
   ›Dann war's gelogen‹ heißt es immer dann, wenn jemand vergessen hat, was er sagen wollte.

• C. MÜLLER-FRAUREUTH: Die deutsche Lügendichtung bis auf Münchhausen (Halle 1881, Neudruck Hildesheim 1965); A. RÜSTOW: Der Lügner (Diss. Erlangen) (Leipzig 1910); P. SARTORI: Artikel ›Lüge, lügen‹, in: Handbuch des Aberglaubens V, Spalte 1450-1453; H. WEINRICH: Linguistik oder Lüge (Heidelberg 1966).
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