Redensarten Lexikon
Löwe
Sich in die Höhle des Löwen wagen: mutig dem Stärkeren entgegentreten. Die Redensart bezieht sich auf die 246. Fabel (Mot. 644, I) des Aesop (um 550 v. Chr.). Der Fuchs antwortet dem in der Höhle krank liegenden Löwen auf dessen Frage, warum er nicht nähertrete: ›Ich träte schon ein, wenn ich nicht sähe, daß so viele Spuren hinein-, keine aber herausführt‹. Horaz überträgt die Antwort ins Latein: »Quia me vestigia terrent omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum«, woraus sich das geflügelte Wort ›Vestigia terrent‹ (die Spuren schrecken) entwickelt hat. Vgl. die bildliche Darstellung der Fabel in Steinhöwels ›Aesop‹. Desgleichen Aarne-Thompson 50 und 51. Den Löwenanteil bekommen; vgl. französisch ›recevoir la part du lion‹; bzw. Sich den Löwenanteil nehmen: den größten Teil bekommen; vgl. französisch ›se réserver la part du lion‹. Die Redensart geht auf Aesops 260. Fabel zurück: ›Der Löwe, der Esel und der Fuchs‹. Die Fabel (Aarne-Thompson 51), die auch von Luther in seine Fabelsammlung aufgenommen wurde, berichtet, daß der Löwe bei einer gemeinsamen Jagd mit dem Esel und dem Fuchs sich die ganze Beute aneignete. Auf Grund dieser Fabel nannte der Rechtsgelehrte C. Cassius Longinus (1. Jahrhundert n. Chr.) einen Vertrag, wonach der eine Teilnehmer allen Nutzen zieht, der andere allen Nachteil trägt, eine ›societas leonina‹ (eine Vereinbarung nach dem Muster des Löwen). Nach V.B. Dröscher ist die Realität noch eindrucksvoller: denn die oft gefährliche Aufgabe, für das Futter des Rudels zu sorgen, obliegt den Löwinnen. Die Löwen selbst schauen nur zu, bis die Beute erledigt ist, beanspruchen aber dann das Recht des Stärkeren gegenüber der abgekämpften Löwin, d.h., sie bemächtigen sich der Beute und fressen, bis sie satt sind – oft die ganze Beute.    Auch der Ausdruck Der Esel in der Löwenhaut für einen Feigling, der den Mutigen spielt, geht auf eine Fabel zurück ( Esel).
   Ein Löwenmaul und ein Hasenherz haben: große Worte im Munde führen, dabei aber feige sein. Sebastian Franck (I,5 1): »Er hat ein lewen maul vnd ein hasen hertz«. In Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ (56,24ff.) heißt es von Xerxes:

   Er greiff Athenas grüslich an
   glich wie der löw angrifft eyn hun.
   Vnd floch doch als die hasen thun.

Den Hund vor dem Löwen schlagen Hund.
   Die Klaue des Löwen erkennen lassen: die Könnerschaft (des Genies) deutet sich bereits an, z.B. bei noch unbekannten Künstlern (Dichtern). Lateinisch: ›ex unguine leonem‹. Der Löwe des Tages sein: im Mittelpunkt des Tagesinteresses stehen. Die Redensart ist gegen 1830 aufgekommen und dem Englischen nachgebildet. Englisch ›lion of the day‹ ist zu der Bedeutung ›(Tages-)Berühmtheit‹ dadurch gekommen, daß im Londoner Tower in früherer Zeit Löwen gehalten wurden, zu denen man Besucher als zu einer besonderen Sehenswürdigkeit führte.
   Der redensartliche Vergleich Umhergehen wie ein brüllender Löwe ist eine biblische Wendung: 1 Petr 5,8 heißt es: »Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge«; vgl. französisch ›se promener comme un lion en cage‹ (wörtlich: umhergehen wie ein Löwe im Käfig): vor lauter Wut umhergehen.
   ›Gut gebrüllt, Löwe‹ ist ein Zitat aus Shakespeares ›Sommernachtstraum‹, das gerne als Zustimmungsformel verwendet wird.

• K GORSKI: Die Fabel vom Löwenanteil in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Diss. Rostock 1892); O. KELLER: Die antike Tierwelt, Band 1 (Leipzig 1909), S. 24-60; A. SMITH: ›Meine Truppen haben wie Löwen gefochten‹, in: Moderna Sprak 14 (1920), S. 200-203; H. BÄCHTOLD-STÄUBLI: Artikel ›Löwe‹, in: Handbuch des Aberglaubens V, Spalte 1432-1436; V.B. DRÖSCHER: Mich laust der Affe (1981), S. 109-112.
Sich (nicht) in die Höhle des Löwen wagen. Steinhöwel: Esopus, Die XII. Fabel ›von dem alten loewe vn den fuchssen‹.

Sich (nicht) in die Höhle des Löwen wagen. Französische Federlithographie von Honoré Daumier, in: LE CHARIVARI, vom 21.IX.1834. Aus: H. Daumier; Bd. I, S. 95 (D 207).
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