Redensarten Lexikon
Lilie
Dastehen wie eine geknickte Lilie: traurig sein, den Kopf hängen lassen, äußerst betrübt sein, keine Hoffnung mehr besitzen. Bei den Römern war die Lilie ein Sinnbild der Hoffnung und der Juno geweiht; bei uns und besonders im christlichen Bereich gilt sie als Zeichen der Reinheit und Unschuld, aber auch als sichtbarer Beweis göttlicher Gnade und Vergebung, wenn sie auf Gräbern erblüht. Die Lilie wird deshalb auch in der christlichen Kunst häufig als Attribut der Jungfrau Maria und vieler Heiliger und Märtyrer dargestellt. Die ›geknickte Lilie‹, die ihre stolze Haltung verloren hat, ist später zum Bild für die    verletzte Unschuld geworden. Die Redensart ist wahrscheinlich eine Umbildung zu einem oft zitierten Vers von Schiller. In seinem Gedicht ›Die Kindsmörderin‹ (in der›Anthologie auf das Jahr 1782‹) lautet die Frage der Verurteilten: »Henker, kannst du keine Lilie knicken?« Nach Mt 6,28 zitiert man ›Die Lilien auf dem Felde‹. Die Lilien im Garten sind verwelkt: die Unschuld ist verlorengegangen. Die Wendung dient als euphemistische Umschreibung für die verlorene Ehre eines Mädchens. Die blühende Lilie dagegen gilt auch bei Schiller noch als Symbol der Ehrenhaftigkeit. Seine Kindsmörderin bittet:

   Weinet um mich, die ihr nie gefallen.
   Denen noch der Unschuld Liljen blühn.

Wegen ihrer Schönheit, ihres stolzen Wuchses und ihrer reinen weißen Farbe wurde die Lilie neben der Rose häufig in der Dichtung und im Volkslied besungen und im sprachlichen Vergleich verwendet. Bereits bei Otfried von Weißenburg (1,16,23) heißt es:

   thaz kint uuuahs untar mannon,
   sô lilia untar thornon.

Besonders die Schönheit der Frau wurde wiederholt mit der Lilie verglichen. In mittelhochdeutscher Zeit war dies ein beliebtes dichterisches Bild. So wird z.B. im ›Erec‹ (337) eine schöne Frau mit folgenden Versen geschildert:

   ir lîp schein durch ir salwe wat
   alsam diu lilje, dâ sî stât
   under swarzen dornen wîz.

Im Volkslied erscheint die Lilie als häufigste Grabesblume. Wohl am bekanntesten bis heute ist das Lied ›Drei Lilien, die pflanzt' ich auf mein Grab‹. Außerdem ist die Verbindung von ›Rosen und Lilien‹ häufig im Volkslied und bis heute in der Dichtung üblich.
   Einem die Lilie anheften (anhängen): einen Verurteilten brandmarken. Die Redensart bezieht sich auf einen Brauch in Frankreich: den Missetätern wurde eine Lilie aufgebrannt, brandmarken.
   Die Lilie war die Wappenblume der Bourbonen. Frankreich hieß früher ›das Reich der Lilien‹ und der französische König ›Fürst der Lilien‹.
   Auf den Lilien sitzen: eine Stelle in den oberen Gerichtshöfen Frankreichs haben. Die Wendung weist auf die Sitze in den französischen Gerichtssälen, die mit Lilien ausgeschlagen waren.

• GEIGER: Artikel ›Grabblumen‹, in: Handbuch des Aberglaubens III, Spalte 1103ff.; H. MARZELL: Artikel ›Lilie‹, in: Handbuch des Aberglaubens V, Spalte 1300ff.; E.K. BLÜMML: Die Lilie als Grabespflanze, in: Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte, Band 6 (1906), S. 409ff. und Band 7 (1907), S. 161ff.; L. WEISER- AALL: Erlebnisgrundlagen der Volksüberlieferung und Dichtung. Der Liebestod, in: Schweizer Archiv für Volkskunde 44 (1947). S. 117-140; L. VARGYAS: Researches into the Mediaeval History of Folk Ballad (Budapest 1967), S. 112ff; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, III (Bonn – Bad Godesberg 1978), S. 1150-1158; G. MEINEL: Artikel ›Grabpflanzen‹, in: Enzyklopädie des Märchens VI, Spalte 72-78.}

Weiße Lilie als Attribut der Jungfrau Maria. Carlo Dolci: Die hl. Jungfrau mit dem Jesuskind. München, Pinakothek (Herder-Bildarchiv).
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