Redensarten Lexikon
Leine
Einen an der Leine haben: ihn in seiner Gewalt haben, ihn lenken können, wie man will, ihn unter Kontrolle halten, so wie der Herr seinen Hund an der Leine hat; vgl. niederländisch ›iemand aan het lijntje hebben (krijgen)‹, englisch ›to have a person on a string‹, französisch ›tenir quelqu'un en laisse‹. Umgekehrt kann man einem Die lange Leine lassen, d.h. ihm mehr oder weniger Bewegungsfreiheit zugestehen; niederdeutsch ›de Lîne hängen laten‹, schlaff und nachsichtig sein, eigentlich: den Pferden ihren Willen lassen. An einer Leine ziehen (vgl. ›An einem Strick, am selben Strang ziehen‹): gemeinsam eine Arbeit oder ein Unternehmen ausführen, gleiche Interessen haben, zusammenhalten. Von denen, welchen diese Zusammenarbeit nicht gelingt, sagt man ironisch: »Sie ziehen an einer Leine, aber an zwei Enden«.    Leine ziehen: sich davonmachen, ausreißen, verschwinden, auch: klein beigeben. Diese Redensart stammt wohl nicht vom Lenkseil des Tieres, weil hier die Leine ja nicht eigentlich zum Ziehen dient, geschweige denn gezogen wird. Leine bedeutet hier vielmehr das Schiffszugseil. Die Redensart ›Zieh Leine!‹ stellt also von Hause aus schiffahrtliches Sondergut dar. Sie entstammt der Zeit des alten Binnenschifffahrtbetriebes, wo noch die Fahrzeuge vom Ufer der Wasserstraße her (vom ›Leinpfad‹) getreidelt wurden. ›Leine ziehen‹ bedeutete für die Zugknechte soviel wie: dafür sorgen, daß man von der Stelle kommt. Ein Bild im Giltbuch der Passauer Schiffszieher aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts trägt als Befehl an den Zugknecht, der vor ein Seil gespannt ist, die Worte: ›Nu zeuch am Sail‹ (Die Miniatur ist wiedergegeben von K. Gröber in: Alte deutsche Zunftherrlichkeit, München 1936, S. 76.) Der reine Fachausdruck hat im Laufe der Zeit seinen alten Anschauungsgehalt mehr und mehr eingebüßt und ist heute vollkommen abgeblaßt. Er begegnet nur noch in der Befehlsform und besagt jetzt nichts anderes als schlechthin: ›Mach, daß du fortkommst‹ Die Redensart ist erhalten geblieben und allgemein verbreitet, obwohl für ihr Fortleben seit fast einem Jahrhundert die Voraussetzungen nicht mehr bestehen. Der Ausdruck ›Leine ziehen‹ hat in jüngerer Zeit zu einem scherzhaften Wortspiel Anlaß gegeben, in dem ebenfalls zugleich ein Deutungsversuch steckt: ›Wenn die Weiber waschen, müssen die Männer Leine ziehen‹. Um 1846 gab es in der Berliner Dirnensprache dieselbe Wendung ›Leine ziehen‹ = ›auf den Strich gehen‹, d.h. »sich behufs der Anlockung von Männern auf der Straße umhertreiben«.
   In wieder andere Zusammenhänge des mehrdeutigen Wortes Leine führen einige, nur regionale und mundartliche Redensarten. Im Rheinland ist bekannt: ›Op de Leine gohn‹, nichts zu essen haben. Hier wird die brotlose Kunst des Seiltänzers als Vergleich dienen. Ebenso heißt es von einem Stromer: ›Der loschiert op de Lein‹. ›Er geht über die Lein‹ heißt: er macht Bankerott, aber auch: er stirbt. ›Einen über die Leine springen lassen‹ sagt man von dem, der an seiner Arbeitsstelle entlassen wird.

• KLUGE: Rotwelsch (Straßburg 1901); H. BECKER: Schiffervolkskunde (Halle 1937), S. 51f.}

Jemanden an der Leine haben. Karikatur von Haitzinger, vom 6.XI.86. Aus: Badische Zeitung., vom 7.11.1986.
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