Redensarten Lexikon
Kirsche
Mit ihm ist nicht gut Kirschen essen: mit ihm ist nicht gut auszukommen; er ist ein unbequemer, unverträglicher, wohl auch: hochmütiger Mensch. Das der Redensart zugrunde liegende Bild ist zum Teil so abgeblaßt und unverständlich geworden, daß es auch auf Dinge übertragen werden kann (z.B. ›Mit dem kranken Knie ist nicht gut Kirschen essen‹). Die vollständige Form der warnenden Redensart, die heute aber weitgehend abhanden gekommen ist und    die man nur selten noch hört, wäre: ›Mit großen (hohen) Herren ist nicht gut Kirschen essen: sie schmeißen (spucken) einem die Kerne (Steine) ins Gesicht‹. Im Volksmund ist im allgemeinen nur die Kurzform der Warnung geläufig. Der Ursprung der Redensart fällt in eine Zeit, wo der Anbau der Kirsche noch auf die Klostergärten und die Baumgärten der vornehmen Herren beschränkt war; und so warnt die Redensart vor dem vertraulichen Verkehr mit den übermütigen, launenhaften Herren.
   In Steinbachs Wörterbuch von 1734 lautet die Wendung: »Es ist nicht gut mit großen Herren Kirschen essen, sie werfen einem die Kerne ins Gesichte«.
   In den älteren Belegen überwiegt jedoch das Werfen der Stiele (vielleicht weil man einst die Steine auch ohne weiteres mitgeschluckt hat). So heißt es schon in Ulrich Boners ›Edelstein‹ (um 1350):

   und ist nicht gut
   Mit herren kriesin essen,
   Sie hant sich des vermessen:
   Der sich da nicht huten wil,
   sie werfen im der kriesin stil
   In diu ougen.

Der gleiche Reim wil: stil findet sich auch noch in einem Fastnachtsspiel des 15. und in einem Volkslied des 16. Jahrhunderts; die Belege sind sämtlich oberdeutscher Herkunft. Wo aber der Reim aufgegeben wurde, konnte ein Mißverständnis aufkommen; wie bei Eucharius Eyering in seiner großen Sprichwörter- Sammlung ›Copia proverbiorum‹ von 1604 (III, S. 552), der, indem er ›die stil‹ als ›diestil‹ verlas, nun druckte:

   Grosser Herrn ist gut müssig gehen
   (d.i. aus dem Wege gehn),
   Dann sie werffen eim Distel unter Augen.

Der Beleg beweist zugleich, daß dem koburgischen Verfasser die Wendung offenbar noch nicht in mündlicher Überlieferung geläufig war, die sich vom Oberdeutschen offenbar erst langsam ausgebreitet hat. Bei G.A. Bürger heißt es:
   Mit Urian und grossen Herrn
   Ess' ich wohl keine Kirschen gern;
   Sie werfen einem, wie man spricht,
   Die Stiel' und Stein' ins Angesicht.

»Wie man spricht« bedeutet, daß Bürger noch die Vollform des Sprichworts gekannt hat. W. Spangenbergs Versen ist zu entnehmen, daß es sich wohl in erster Linie um Geiz gehandelt hat:

   mit herren ist bös kirschen essen
   wann sie die besten hand gefressen
   so werfen sie mit stielen dich.
   viel lieber will sie kaufen ich.
   (Mylii lustgarten, Straßburg 1621,412).

Ähnliches ist auch einer weiteren Belegstelle zu entnehmen:
   »Er wusste nicht, dass auch hier das Sprichwort gilt, es sei bös mit grossen Herren Kirschen essen, weil sie den Mitessern gerne Steine und Stiele ins Gesicht würfen, das Fleisch aber behielten« (J. Gotthelf, ›Uli der Knecht‹, (1850), c. 6, 2, 51).
   Auf einen (zwangsläufigen) Verzicht deutet dagegen eine andere Redensart, die im Märchen ihren Niederschlag gefunden hat: Die Kirschen hängen mir zu hoch (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 107), Trauben. Am verlockendsten waren und sind aber wohl immer die Kirschen in Nachbars Garten, wie sie auch in der Operette besungen werden. Dabei ist in erster Linie die Symbolbedeutung der Kirsche innerhalb der Sexualmetapher angesprochen. Früher war das Kirschenpflücken ein beliebtes Gesellschaftsspiel, bei dem ein Hölzchen (Gras- od. Strohhalm) mit den Lippen weitergegeben und bei jeder nächsten Runde etwas verkürzt erschien. War der Geschmack ›sauer‹, ging's weiter- ›süß‹ konnte den Nächsten »erlösen«.

• W. SIEBEN: Die Kirsche im Volksmund, in: Zeitschrift für rheinische und westfälische Volkskunde 9 (1912),S. 230-231; E. SCHRÖDER: Aus der Geschichte einer sprichwörtlichen Redensart, in: Hessische Blätter für Volkskunde 32 (1933), S. 94-97; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Band III (Bonn – Bad Godesberg 1978), S. 1049-1053; B. TOELKEN: Zum Begriff der Performanz im dynamischen Kontext der Volksüberlieferung, in: Zeitschrift für Volkskunde 77 (1981), S. 45-47.}

Mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen. Kupferstich aus: K. ter Laan: Nederlandse spreekwoorden /spreuken en zegswijzen, Amsterdam /Brussel 1979, Abbildung 24.

Mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen. Robert Högfeldt: Also geht es auf der Welt, Wien 1950.
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