Redensarten Lexikon
Kind
Das Kind beim (rechten) Namen nennen: eine Sache unverblümt bezeichnen, seine Meinung unbeschönigt äußern; ähnlich die französische Redensart ›appeler un chat un chat‹ (Boileau, Satiren I,52); ebenso italienisch ›chiamare la gatta gatta‹ (= die Katze eine Katze nennen). Im Deutschen taucht die Redensart erst im 17. Jahrhundert auf, so 1643 bei Moscherosch in den ›Gesichten Philanders von Sittewald‹ (1. Teil, 8. Gesicht): »Nimmermehr aber kann etwas Redliches sein, wo man sogar hinder dem Berge haldet, wann man Brei im Mund hat und dem Kind nicht will den rechten Namen geben«. Recht geläufig wurde die Redensart erst durch Goethes ›Faust‹ (I, V. 589): »Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?« Eine genaue Erklärung des Ursprungs dieser Redensart fehlt noch. Lieb Kind bei jemand sein: in großer Gunst bei ihm stehen; schon in mittelhochdeutscher Zeit und bei Luther geläufig; früher auch: Gut Kind sein und, von einem allgemein Beliebten: Jedermanns Kind sein. Dazu ferner: Sich bei jemandem lieb Kind machen: sich bei ihm einschmeicheln; eigentlich: es erreichen, daß man mit ›liebes Kind‹ angeredet wird.
Ein Kind des Todes sein: dem Tod verfallen sein. Die Redensart ist biblischen Ursprungs; 1 Sam 26,16 heißt es: »So wahr der Herr lebt, ihr seid Kinder des Todes, daß ihr euren Herrn, den Gesalbten des Herrn, nicht behütet habt« (vgl. 2 Sam 12,5).
Nach Lk 9,55 »Welches Geistes Kinder ihr seid?« sagt man Wes Geistes Kind.
Kind Gottes ist eine freundliche Anrede, die gern auch auf die Einfältigkeit des Angeredeten gemünzt wird; sie betrifft eigentlich die Vaterschaft Gottes und die Gotteskindschaft aller Christen. Die Wendung wird seit dem 19. Jahrhundert in verweltlichter Bedeutung gebraucht; modern oft erweitert zu ›Kind Gottes in der Hutschachtel‹.
Mit Kind und Kegel: mit der ganzen Familie; vgl. französisch ›avec armes et bagages‹ (mit Waffen und Gepäck). Eigentlich meint die stabreimende Formel: mit ehelichen und unehelichen Kindern, denn ›Kegel‹ wird in einem Vokabular von 1482 als ›uneheliches Kind‹ erklärt. Die Formel ›kint und kekel‹ ist am frühesten in Breslau 1422 bezeugt, dagegen kommt ›kindes kegel‹ schon im 13. Jahrhundert vor:
irdenke, wie ich bî kome,
dîns kindes kekel sal iz vrome (›nutzen‹).
Noch nicht sicher erklärt ist aber die Bedeutung ›uneheliches Kind‹ für›Kegel‹, das zunächst ›Pfahl‹, ›Pflock‹, dann den Kegel im Spiel bedeutet; denn um das gleiche Wort Kegel handelt es sich in der Redensart wohl sicher. Rudolf Much hat darauf hingewiesen, daß Kegel auch ›Knüppel‹, ›Stock‹ bedeute (elsässisch wird ein Taugenichts ein ›grober, fauler Kegel‹ genannt, und einen ähnlichen Bedeutungswandel erlebten ›Bengel‹ und ›Stift‹). Kegel sei also zunächst eine verächtliche Bezeichnung für ›Kind‹, woraus eine für ›uneheliches Kind‹ hervorgegangen sei. Alfred Götze knüpft an die mittelhochdeutsche Bedeutung ›Eiszapfen‹ für Kegel an; in dem altschwäbischen Schwank ›Modus Liebinc‹ erzählt die untreue Frau, sie habe, während ihr Mann verreist war, Schnee gegessen und davon sei ihr das Kind gewachsen; so sei aus ›Eiszapfen‹ die Bedeutung ›Bastard‹ entstanden. Diese zweite Erklärung hat aber weniger Wahrscheinlichkeit für sich, vgl. niederländisch ›kind noch kraai hebben‹, keine Blutsverwandten haben, für niemand zu sorgen haben; französisch ›n'avoir ni enfants ni suivants‹ (veraltet); englisch ›to have nor chick nor child‹.
Von Berlin ist die umgangssprachliche Redensart ausgegangen: Wir werden das Kind schon (richtig schaukeln: wir werden die Sache schon fertigbringen. Die Redensart ist ursprünglich wohl als ermunternde Redewendung an eine Mutter gerichtet, die mit dem Hinweis auf ihr Wiegenkind das Haus nicht verlassen mag (20. Jahrhundert). Gleichbedeutend sind die Redensarten ›Wir werden den Zaun schon pinseln‹, ›Wir werden das Schwein schon töten‹, wiewohl es im bildlichen Gebrauch weder um Zaun noch um Kind, noch um Schwein geht.
Das Kind im Manne sagt man, wenn ein Mann zu spielen anfängt. Die Redensart beruht auf einem Zitat aus Friedrich Nietzsches ›Also sprach Zarathustra‹ (Leipzig 1883):
Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen,
Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne!
Unter Berufung auf das Nietzsche-Wort widmete auch Christian Morgenstern (1871-1914) seine ›Galgenlieder‹ »dem Kinde im Manne« (Büchmann).
Ein gebranntes Kind sein: schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben; vgl. das Sprichwort ›Gebranntes Kind scheut das Feuer‹: aus Schaden wird man klug.
Das Kind muß einen Namen haben: die Sache muß irgendeine Bezeichnung, ein Firmenschild, Etikett usw. haben, wenn auch nur in verhüllender oder entstellter Absicht; die Redensart bezieht sich auf die Notwendigkeit der Namengebung, weil ohne einen Namen das Kind bürgerlich-rechtlich undenkbar ist.
Du bist verrückt, mein Kind stammt aus der Operette ›Fatinitza‹ von Franz von Suppé (1820-95), wo es heißt:
Du bist verrückt, mein Kind,
Du mußt nach Berlin.
Wie sag' ich's meinem Kinde?: wie sage ich es am geschicktesten, insbesondere bei peinlichen Nachrichten. Die Redensart bezieht sich ursprünglich auf die geschlechtliche Aufklärung, dann übertragen auf jede Mitteilung einer heiklen oder unangenehmen Sache (20. Jahrhundert), ⇨ Klapperstorch.
›Was is mich das mit dich, mein Kind?‹ (Stettin); sehr häufig und vielseitig angewandte Redensart ganz oder halb scherzhafter Verwunderung, Warnung, Besorgnis.
Wie das niederdeutsche ›mi‹, ›di‹ Akkusativ und Dativ ist, so hat die Mundart der pommerischen Städte, besonders Stettins, für beide Fälle nur mich und dich. Die Redensart ist eigentlich nur der Anfang eines Neckspruchs, mit dem z.B. ein Betrübter gehänselt wird: »Was is mich das mit dich, mein Kind? Du ißt mich nich, du trinkst mich nich, du stippst mich in den Kaffee nich; du bist mich doch nicht krank?«
Das Kind an die Brust nehmen: aus der Flasche trinken; soldatensprachlich seit dem 1. Weltkrieg. Ein Kind von Lumpen (Puppenlappen) kriegen: sich sehr wundern; sich sehr ärgern. Mit der Redensart war ursprünglich wohl eine aus Lumpen hergestellte Schandpuppe gemeint, die vor das Haus oder Fenster einer liederlichen weiblichen Person gestellt wurde.
Dasitzen wie das Kind vorm (beim) Dreck: hilflos sein. Gemeint ist der Gesichtsausdruck eines Kindes, dem bei der Verrichtung der Notdurft ein Mißgeschick unterlaufen ist (um 1900). Ähnlich: Drankommen wie's Kind an den Dreck: im Handumdrehen, ohne zu wissen, wie.
Das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Redensart wird bereits unter ⇨ Bad abgehandelt. Doch liegt mittlerweile eine Monographie von W. Mieder vor, deren hauptsächliche Ergebnisse referiert werden sollen. Mieder weist zahlreiche weitere Belege nach, außer Murner und Luther noch Sebastian Franck, Ehr. Egenolf, Jörg Wickram, Joh. Nas.
Sowohl durch das polemische Schrifttum der Reformation und Gegenreformation wie durch die Aufnahme in die Sprichwörterlexikographie des 16. Jahrhunderts kam die Redensart in aller Munde. Im 17. Jahrhundert wird die Reihe der Belege durch Eucharius Eyering, Friedrich Petri, Georg Henisch, Christoph Lehmann, Justus Georg Schottelius, Joh. Gg. Seybold fortgesetzt.
Mieder beweist anhand dieser gehäuften Belege, daß die Redensart und nicht davon abgeleitete Sprichwörter (›Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten‹) die ausschlaggebende Grundform darstellt.
Er zeigt, daß neben dem Verb ›ausgießen‹ auch ›ausschütten‹ sehr gebräuchlich war.
Gottfr. Aug. Bürger liefert mit seinem Gedicht ›An Gökingk‹ (1778) die erste Variante mit dem Verb ›verschütten‹:
Nun, nun! Verschütt' Er nur nicht gar
Das Kindlein sammt dem Bade!
Das arme Kindlein das! Fürwahr!
Es wär' ja jammerschade.
An weiteren Belegautoren seien genannt: Goethe, Schiller, Lessing, Lenz, Gotthelf, Bismarck, Fontane, Thomas Mann.
Günter Grass in der ›Blechtrommel‹: »Mama konnte sehr lustig sein. Mama konnte sehr ängstlich sein. Mama konnte schnell vergessen. Mama hatte dennoch ein gutes Gedächtnis. Mama schüttete mich aus und saß dennoch mit mir in einem Bade. Mama ging mir manchmal verloren, aber ihr Finder ging mit ihr ...«
Weiter weist W. Mieder den mehr oder weniger abgewandelten oder erweiterten Gebrauch der Redensart in deutschen Sprichwortgedichten der Gegenwart nach sowie auch in Aphorismen und Sponti-Sprüchen: »Moral ist die Tendenz, das Bad mit dem Kinde auszuschütten« Karl Kraus, 1912). »Die mit dem Bade ausgeschütteten Kinder haben die Erde bevölkert« (Erwin Chargaff, 1952). ›Man soll die Kastanien nicht mit dem Feuer im Bade ausgießen‹, sagte Tante Klärchen, als sie meiner Mutter mein Zeugnis zeigte« (Curt Goetz 1964). »Ich habe das Kind mit dem Bade ausgeschüttet – da war der Ausguß verstopft, und ich mußte wieder mal auf die Handwerker warten« (Henning Venske 1972). »Man soll auch das Kind im Manne nicht mit dem Bade ausschütten« (Gerh. Uhlenbruck 1977). »Es ist nicht zu glauben, wieviel Kinder mit einer einzigen Badewanne ausgeschüttet werden« (Rob. Lembke, 1978). »Bevor du das Kind mit dem Bade ausschüttest, sieh nach, ob überhaupt eins drin ist« (anonym). Diese satirischen Texte lassen alle sprachspielerische Tendenzen erkennen. Die Redensart wird variiert, verdreht, entstellt, ironisiert, parodiert oder einfach in Frage gestellt. So wird sich das Sprachbild ›das Kind mit dem Bade ausschütten‹ zu immer neuen Funktionen im modernen Sprachgebrauch verwenden lassen.
Das macht der Liebe noch kein Kind: so weit ist es (sind wir) noch lange nicht; schwäbisch ›Des macht dr Liab no lang koi Kind‹, ⇨ Liebe. ›Kinder und Narren sagen die Wahrheit‹ ⇨ Narr.
• O. VON REINSBERG-DÜRINGSFELD: Das Kind im Sprichwort (Leipzig 1864); F. HOLTHAUSEN: ›Kegel und Verwandtes‹, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literatur 105 (1900), S. 365-366; A. DE COCK: ›Spreekwoorden en Zegswijzen, afkomstig van oude gebruiken en volkszeden: Vrijen en Trouwen, Kinderen en begraven‹, in: Volkskunde, 13 (1900-1901), S. 151-160, 183-186, 231-237; R. MUCH: Holz und Mensch, Wörter und Sachen Band 1 (1909), S. 39ff.; H. PLOß: Das Kind in Brauch und Sitte der Völker, 2 Bände (Leipzig 3. Auflage 1911, 1912); H. BOESCH: Kinderleben in der deutschen Vergangenheit, in: Die deutschen Stände in Einzeldarstellungen, Band 5 (Jena 2. Auflage 1924); N. DANE: ›The childhood shows the man‹, in: Classical Journal 42 (1946-1947), S. 281; H. KÜGLER: Berliner Kind – Spandauer Wind und die ›gute alte Zeit‹, in: Märkischer Wandergruß, Beiträge zur Landesgeschichte zum 60. Geburtstag von Martin Henning (Berlin 1951), S. 2-5; L. RÖHRICH: Erzählungen des späten Mittelalters, 1 (1962), S. 204-221, 294-299; L. SCHMIDT: Sprichwörtliche deutsche Redensarten, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde N.S. (1974), S. 103-104; W. MIEDER: ›Das Kind mit dem Bade ausschütten‹. Ursprung, Überlieferung und Verwendung einer deutschen Redensart (Ms. 1991); DERS.: Das Kind mit dem Bade ausschütten, in: Muttersprache 102 (1992); DERS.: To throw the Baby out with the Bathwater, in: Western Folklore 51 (1992).
Ein Kind des Todes sein: dem Tod verfallen sein. Die Redensart ist biblischen Ursprungs; 1 Sam 26,16 heißt es: »So wahr der Herr lebt, ihr seid Kinder des Todes, daß ihr euren Herrn, den Gesalbten des Herrn, nicht behütet habt« (vgl. 2 Sam 12,5).
Nach Lk 9,55 »Welches Geistes Kinder ihr seid?« sagt man Wes Geistes Kind.
Kind Gottes ist eine freundliche Anrede, die gern auch auf die Einfältigkeit des Angeredeten gemünzt wird; sie betrifft eigentlich die Vaterschaft Gottes und die Gotteskindschaft aller Christen. Die Wendung wird seit dem 19. Jahrhundert in verweltlichter Bedeutung gebraucht; modern oft erweitert zu ›Kind Gottes in der Hutschachtel‹.
Mit Kind und Kegel: mit der ganzen Familie; vgl. französisch ›avec armes et bagages‹ (mit Waffen und Gepäck). Eigentlich meint die stabreimende Formel: mit ehelichen und unehelichen Kindern, denn ›Kegel‹ wird in einem Vokabular von 1482 als ›uneheliches Kind‹ erklärt. Die Formel ›kint und kekel‹ ist am frühesten in Breslau 1422 bezeugt, dagegen kommt ›kindes kegel‹ schon im 13. Jahrhundert vor:
irdenke, wie ich bî kome,
dîns kindes kekel sal iz vrome (›nutzen‹).
Noch nicht sicher erklärt ist aber die Bedeutung ›uneheliches Kind‹ für›Kegel‹, das zunächst ›Pfahl‹, ›Pflock‹, dann den Kegel im Spiel bedeutet; denn um das gleiche Wort Kegel handelt es sich in der Redensart wohl sicher. Rudolf Much hat darauf hingewiesen, daß Kegel auch ›Knüppel‹, ›Stock‹ bedeute (elsässisch wird ein Taugenichts ein ›grober, fauler Kegel‹ genannt, und einen ähnlichen Bedeutungswandel erlebten ›Bengel‹ und ›Stift‹). Kegel sei also zunächst eine verächtliche Bezeichnung für ›Kind‹, woraus eine für ›uneheliches Kind‹ hervorgegangen sei. Alfred Götze knüpft an die mittelhochdeutsche Bedeutung ›Eiszapfen‹ für Kegel an; in dem altschwäbischen Schwank ›Modus Liebinc‹ erzählt die untreue Frau, sie habe, während ihr Mann verreist war, Schnee gegessen und davon sei ihr das Kind gewachsen; so sei aus ›Eiszapfen‹ die Bedeutung ›Bastard‹ entstanden. Diese zweite Erklärung hat aber weniger Wahrscheinlichkeit für sich, vgl. niederländisch ›kind noch kraai hebben‹, keine Blutsverwandten haben, für niemand zu sorgen haben; französisch ›n'avoir ni enfants ni suivants‹ (veraltet); englisch ›to have nor chick nor child‹.
Von Berlin ist die umgangssprachliche Redensart ausgegangen: Wir werden das Kind schon (richtig schaukeln: wir werden die Sache schon fertigbringen. Die Redensart ist ursprünglich wohl als ermunternde Redewendung an eine Mutter gerichtet, die mit dem Hinweis auf ihr Wiegenkind das Haus nicht verlassen mag (20. Jahrhundert). Gleichbedeutend sind die Redensarten ›Wir werden den Zaun schon pinseln‹, ›Wir werden das Schwein schon töten‹, wiewohl es im bildlichen Gebrauch weder um Zaun noch um Kind, noch um Schwein geht.
Das Kind im Manne sagt man, wenn ein Mann zu spielen anfängt. Die Redensart beruht auf einem Zitat aus Friedrich Nietzsches ›Also sprach Zarathustra‹ (Leipzig 1883):
Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen,
Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne!
Unter Berufung auf das Nietzsche-Wort widmete auch Christian Morgenstern (1871-1914) seine ›Galgenlieder‹ »dem Kinde im Manne« (Büchmann).
Ein gebranntes Kind sein: schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben; vgl. das Sprichwort ›Gebranntes Kind scheut das Feuer‹: aus Schaden wird man klug.
Das Kind muß einen Namen haben: die Sache muß irgendeine Bezeichnung, ein Firmenschild, Etikett usw. haben, wenn auch nur in verhüllender oder entstellter Absicht; die Redensart bezieht sich auf die Notwendigkeit der Namengebung, weil ohne einen Namen das Kind bürgerlich-rechtlich undenkbar ist.
Du bist verrückt, mein Kind stammt aus der Operette ›Fatinitza‹ von Franz von Suppé (1820-95), wo es heißt:
Du bist verrückt, mein Kind,
Du mußt nach Berlin.
Wie sag' ich's meinem Kinde?: wie sage ich es am geschicktesten, insbesondere bei peinlichen Nachrichten. Die Redensart bezieht sich ursprünglich auf die geschlechtliche Aufklärung, dann übertragen auf jede Mitteilung einer heiklen oder unangenehmen Sache (20. Jahrhundert), ⇨ Klapperstorch.
›Was is mich das mit dich, mein Kind?‹ (Stettin); sehr häufig und vielseitig angewandte Redensart ganz oder halb scherzhafter Verwunderung, Warnung, Besorgnis.
Wie das niederdeutsche ›mi‹, ›di‹ Akkusativ und Dativ ist, so hat die Mundart der pommerischen Städte, besonders Stettins, für beide Fälle nur mich und dich. Die Redensart ist eigentlich nur der Anfang eines Neckspruchs, mit dem z.B. ein Betrübter gehänselt wird: »Was is mich das mit dich, mein Kind? Du ißt mich nich, du trinkst mich nich, du stippst mich in den Kaffee nich; du bist mich doch nicht krank?«
Das Kind an die Brust nehmen: aus der Flasche trinken; soldatensprachlich seit dem 1. Weltkrieg. Ein Kind von Lumpen (Puppenlappen) kriegen: sich sehr wundern; sich sehr ärgern. Mit der Redensart war ursprünglich wohl eine aus Lumpen hergestellte Schandpuppe gemeint, die vor das Haus oder Fenster einer liederlichen weiblichen Person gestellt wurde.
Dasitzen wie das Kind vorm (beim) Dreck: hilflos sein. Gemeint ist der Gesichtsausdruck eines Kindes, dem bei der Verrichtung der Notdurft ein Mißgeschick unterlaufen ist (um 1900). Ähnlich: Drankommen wie's Kind an den Dreck: im Handumdrehen, ohne zu wissen, wie.
Das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Redensart wird bereits unter ⇨ Bad abgehandelt. Doch liegt mittlerweile eine Monographie von W. Mieder vor, deren hauptsächliche Ergebnisse referiert werden sollen. Mieder weist zahlreiche weitere Belege nach, außer Murner und Luther noch Sebastian Franck, Ehr. Egenolf, Jörg Wickram, Joh. Nas.
Sowohl durch das polemische Schrifttum der Reformation und Gegenreformation wie durch die Aufnahme in die Sprichwörterlexikographie des 16. Jahrhunderts kam die Redensart in aller Munde. Im 17. Jahrhundert wird die Reihe der Belege durch Eucharius Eyering, Friedrich Petri, Georg Henisch, Christoph Lehmann, Justus Georg Schottelius, Joh. Gg. Seybold fortgesetzt.
Mieder beweist anhand dieser gehäuften Belege, daß die Redensart und nicht davon abgeleitete Sprichwörter (›Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten‹) die ausschlaggebende Grundform darstellt.
Er zeigt, daß neben dem Verb ›ausgießen‹ auch ›ausschütten‹ sehr gebräuchlich war.
Gottfr. Aug. Bürger liefert mit seinem Gedicht ›An Gökingk‹ (1778) die erste Variante mit dem Verb ›verschütten‹:
Nun, nun! Verschütt' Er nur nicht gar
Das Kindlein sammt dem Bade!
Das arme Kindlein das! Fürwahr!
Es wär' ja jammerschade.
An weiteren Belegautoren seien genannt: Goethe, Schiller, Lessing, Lenz, Gotthelf, Bismarck, Fontane, Thomas Mann.
Günter Grass in der ›Blechtrommel‹: »Mama konnte sehr lustig sein. Mama konnte sehr ängstlich sein. Mama konnte schnell vergessen. Mama hatte dennoch ein gutes Gedächtnis. Mama schüttete mich aus und saß dennoch mit mir in einem Bade. Mama ging mir manchmal verloren, aber ihr Finder ging mit ihr ...«
Weiter weist W. Mieder den mehr oder weniger abgewandelten oder erweiterten Gebrauch der Redensart in deutschen Sprichwortgedichten der Gegenwart nach sowie auch in Aphorismen und Sponti-Sprüchen: »Moral ist die Tendenz, das Bad mit dem Kinde auszuschütten« Karl Kraus, 1912). »Die mit dem Bade ausgeschütteten Kinder haben die Erde bevölkert« (Erwin Chargaff, 1952). ›Man soll die Kastanien nicht mit dem Feuer im Bade ausgießen‹, sagte Tante Klärchen, als sie meiner Mutter mein Zeugnis zeigte« (Curt Goetz 1964). »Ich habe das Kind mit dem Bade ausgeschüttet – da war der Ausguß verstopft, und ich mußte wieder mal auf die Handwerker warten« (Henning Venske 1972). »Man soll auch das Kind im Manne nicht mit dem Bade ausschütten« (Gerh. Uhlenbruck 1977). »Es ist nicht zu glauben, wieviel Kinder mit einer einzigen Badewanne ausgeschüttet werden« (Rob. Lembke, 1978). »Bevor du das Kind mit dem Bade ausschüttest, sieh nach, ob überhaupt eins drin ist« (anonym). Diese satirischen Texte lassen alle sprachspielerische Tendenzen erkennen. Die Redensart wird variiert, verdreht, entstellt, ironisiert, parodiert oder einfach in Frage gestellt. So wird sich das Sprachbild ›das Kind mit dem Bade ausschütten‹ zu immer neuen Funktionen im modernen Sprachgebrauch verwenden lassen.
Das macht der Liebe noch kein Kind: so weit ist es (sind wir) noch lange nicht; schwäbisch ›Des macht dr Liab no lang koi Kind‹, ⇨ Liebe. ›Kinder und Narren sagen die Wahrheit‹ ⇨ Narr.
• O. VON REINSBERG-DÜRINGSFELD: Das Kind im Sprichwort (Leipzig 1864); F. HOLTHAUSEN: ›Kegel und Verwandtes‹, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literatur 105 (1900), S. 365-366; A. DE COCK: ›Spreekwoorden en Zegswijzen, afkomstig van oude gebruiken en volkszeden: Vrijen en Trouwen, Kinderen en begraven‹, in: Volkskunde, 13 (1900-1901), S. 151-160, 183-186, 231-237; R. MUCH: Holz und Mensch, Wörter und Sachen Band 1 (1909), S. 39ff.; H. PLOß: Das Kind in Brauch und Sitte der Völker, 2 Bände (Leipzig 3. Auflage 1911, 1912); H. BOESCH: Kinderleben in der deutschen Vergangenheit, in: Die deutschen Stände in Einzeldarstellungen, Band 5 (Jena 2. Auflage 1924); N. DANE: ›The childhood shows the man‹, in: Classical Journal 42 (1946-1947), S. 281; H. KÜGLER: Berliner Kind – Spandauer Wind und die ›gute alte Zeit‹, in: Märkischer Wandergruß, Beiträge zur Landesgeschichte zum 60. Geburtstag von Martin Henning (Berlin 1951), S. 2-5; L. RÖHRICH: Erzählungen des späten Mittelalters, 1 (1962), S. 204-221, 294-299; L. SCHMIDT: Sprichwörtliche deutsche Redensarten, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde N.S. (1974), S. 103-104; W. MIEDER: ›Das Kind mit dem Bade ausschütten‹. Ursprung, Überlieferung und Verwendung einer deutschen Redensart (Ms. 1991); DERS.: Das Kind mit dem Bade ausschütten, in: Muttersprache 102 (1992); DERS.: To throw the Baby out with the Bathwater, in: Western Folklore 51 (1992).