Redensarten Lexikon
Keuschheit
Sie ist keusch wie eine Braut: sie ist rein, noch unberührt. Das heute unzeitgemäße und altertümlich klingende Wort ›keusch‹ geht auf althochdeutsch ›kuski‹ und mittelhochdeutsch ›kiusche‹ zurück in den Bedeutung: sittlich, züchtig, schamhaft, enthaltsam, maßvoll in sinnlicher Beziehung und in allgemeinerem Sinne: sanftmütig, tugendhaft, vernünftig handelnd, seine Triebe zähmend, der sittlichen Normen und der christlichen Lehre bewußt. Durch die Auslegung »Was ist das?« zum 6. Gebot in Luthers ›Kathechismus‹ (1529), die noch immer den Konfirmanden vermittelt wird, nach der wir »keusch und züchtig leben« sollen, tradiert sich der Ausdruck weiterhin. Er wird jedoch gern in Frage gestellt, denn es heißt auch spottend und verächtlich: Sie ist sehr keusch, denn es begehrt sie keiner, vgl. schon lateinisch ›Casta quam nemo rogavit‹.    Die redensartlichen Vergleiche: So keusch wie Joseph und eine keusche Susanna sein sind biblischer Herkunft, Joseph, Susanna. Keuschheit im Sinne von Reinheit, Unberührtheit, Sittsamkeit und sexueller Enthaltsamkeit galt in vergangenen Jahrhunderten als höchste Tugend eines Mädchens und einer Frau. Vgl. die Sprichwörter: ›Keuschheit ist die schönste Tugend‹, ›... ist des Weibes Kron‹, ›... geht über Schönheit‹. Häufig trifft die Feststellung zu: ›Keuschheit und Schönheit wohnen selten beieinander‹. Trotzdem hieß es sprichwörtlich:

   Keuschheit zu aller Frist
   Die beste Morgengabe ist.

Angelus Silesius preist die Keuschheit sogar mehrfach in seiner Dichtung und findet folgenden Vergleich:

   Die Keuschheit ist bei Gott
   so kräftig, wert und rein,
   als tausend Lilien
   für eine Tulpe sein
   (›Cherubinischer Wandermann‹, II: Gott liebt die Keuschheit sehr).

Von einer Frau mit lockerem Lebenswandel sagt man: Sie hat die Keuschheit an den Nagel gehängt; vgl. französisch ›C'est une Vestale de marais‹ oder: Sie will Keuschheit von den Huren lernen.
   Einen Keuschheitsgürtel tragen (müssen): gewaltsam am Geschlechtsverkehr gehindert werden. Ein von den Frauen um den Unterleib getragener Metallgürtel, auch ›Florentiner-Gürtel‹ oder›Venus-Gürtel‹ genannt, der ein Schloß besaß, sollte während der Abwesenheit des Ehemannes, der den Schlüssel mitnahm, einen Ehebruch unmöglich werden lassen. Solche Gürtel sollen angeblich seit den Kreuzzügen in Gebrauch gewesen sein, vor allem bei den Florentinerinnen. Sie wurden seit dem 15. Jahrhundert beschrieben und in Holzschnitten und Kupferstichen später auch dargestellt. Originale befinden sich in Privatsammlungen und Museen, z.B. im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und im Bayerischen Nationalmuseum in München.

• G. JUNGBAUER: Artikel ›Gürtel‹, in: Handbuch des Aberglaubens III, Spalte 1217; E.J. DINGWALL: The girdle of chastity: a medico-historical study (London 1931); Religion in Geschichte und Gegenwart III, Spalte 1257-1261; A. ROUSSELLE: Der Ursprung der Keuschheit (Stuttgart 1989).}

Keuschheitsgürtel. Vorderseite eines Keuschheitsgürtels mit Sündenfall-Darstellung, deutsch, 16. Jahrhundert, Eisen geschmiedet, gepunzt und ziseliert. Aus: D.M. Klinger: Erotische Kunst in Europa, 1500 bis ca. 1935, Bd. I: 1500-1800, Nürnberg 1982, S. 58, Abbildung 17.
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