Redensarten Lexikon
Kastanie
Die Kastanien (für jemanden) aus dem Feuer holen: einem anderen zuliebe etwas Gefährliches ausführen, sich für einen anderen die Finger verbrennen; vgl. französisch ›tirer les marrons du feu‹; englisch ›to make a cat's paw of‹. Die Redensart stammt aus einer Tierfabel, die besonders durch La Fontaines Gestaltung bekannt geworden ist. Der früheste Beleg der Fabel findet sich in dem zuerst 1584 erschienenen ersten Buche der Serées von Guillaume Bouchet. Der Verfasser läßt einen Teilnehmer der 8. Serée so herzlich lachen, daß er daran zu sterben fürchtet »aussi bien que le Cardinalin, voyant un Singe qui s'aidait de la patte d'un chat pour tirer des chastaignes du feu« (›Les Sérees‹, éd. C.E. Roybet, Paris,1873f., II,108). Woher Bouchet Kenntnis von dieser so kurz ausgezogenen Schnurre gehabt hat, ist nicht festzustellen; vielleicht hat er sie nur erzählen hören. Vier Jahre später aber sind die ›Dies caniculares‹ von Simon Majoli erschienen, und darin ist sie ausführlich berichtet (Ausgabe Frankfurt 1642, S. 100): Die Kämmerlinge von Papst Julius II. pflegten sich in der Wartezeit, bis ihr Gebieter zu Bette ging, Kastanien zu braten. Als sie nun einmal aus irgendeinen Grunde weggegangen waren, wollte sich ein Affe, der am Hofe gehalten wurde, an den Kastanien gütlich tun.Eingedenk aber, daß die Hofleute die Kastanien mit einem Eisen oder einem Holz aus der Asche nahmen, dachte er bei sich, da ihm kein solches Werkzeug zur Verfügung stand, einen bewundernswerten Rat aus. Mit der einen Hand nahm er eine Katze und preßte sie an seine Brust, mit der andern nahm er ihre rechte Pfote und benützte den Teil vom Ellbogen bis herunter zu den Krallen, um damit anstatt des Holzes die Kastanien herauszuscharren. Auf das Geschrei der Katze eilten die Diener herbei, und jeder gab dem Affen von seinem Anteil. schon drei Jahre nach dem Erscheinen von Majolis Buch verzeichnet John Florio als sprichwörtlich die Wendung ›Fare come la nostra cimia, che levava le castagne dal fuoco con la zampa del gatto‹. In der deutschen Sprache taucht die Fabel zum erstenmal auf in einem sehr seltenen Buch, dem ›Theatrum morum‹, das der berühmte Kupferstecher Aegidius Sadeler 1608 in Prag hat erscheinen lassen. Unter der Nr. 218 heißt es unter der Überschrift ›Vom Affen und der Katz‹:

   Ein Weib im Asschen Kesten bradt,
   Welche ein Aff geschmecket hadt;
   Gedacht: Wie thet ich diesen Dingen
   Die Kesten aus dem Fewr zubringen?
   Nimpt gleich darauff ein junge Katzen,
   Greifft in die Asch mit ihren Tatzen.
   Sie schrie, biß er sie springen lies,
   Weil die Glüt brennet ihre Füß.
   Also schickt manch starker Man
   Ein schwachen in Gefahr voran.
   Es muß mancher gepeinigt sein,
   Nur daß die andern frölich sein.

Als nächste deutsche Niederschrift ist Christoph Lehmanns ›Florilegium‹ zu nennen: »Es tragen sich offt Händel zu, daß mans muß machen wie jener Aff, der gern Kesten auß der Pfann überm fewr hett gessen; der erwischt ein Katz, und mit derselben Pfoten bracht er die Kesten herauß«.
   Neben dieser Tradition läuft noch eine zweite, jüngere Überlieferung, wo an die Stelle der Gewalt die Klugheit und List tritt. Höhepunkt dieser Überlieferung ist La Fontaines Fabel (IX. 17): ›Le singe et le Chat‹: Durch Überredung gelingt es dem schlauen Bertrand, den fast ebenso schlauen Raton dazu zu bringen, daß er ihm die Kastanien mit vorsichtigen Pfoten aus der Asche spielt, und als die Magd kommt, da ist es Raton, der keinen Grund mehr hat, zufrieden zu sein. Er wird das Opfer des durchtriebenen Gesellen. Diese Auffassung, wo der Affe nicht zwingt, sondern schmeichelt, überlistet, befiehlt, findet sich lange vor La Fontaine aber auch schon in Lehmanns ›Florilegium‹: ›Herren stellen offt ein Diener an, wie der Aff die Katz, daß sie mit der Pfoden die gebratene Keste außm Fewer muß scharren; drumb mag der Diener wol auff Vortel gedencken‹.
   In einem Volkslied, wohl noch aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (v. Ditfurth, Historische Volkslieder, 1877, S. 309) heißt es:

   aus dem Feuer, dir aufzuwarten,
   die Kastanien gar noch hol.

Lessing, der den Diener seines ›Jungen Gelehrten‹ zu Lisette sagen läßt: »Ja, ja mein Äffchen, ich merk' es schon; du willst die Kastanien aus der Asche haben, und brauchst Katzenpfoten dazu« (III, 1), hat sowohl Lehmann als auch Molière und La Fontaine gekannt. Goethe, bei dem Faust zu Mephistopheles sagt:

   Behandelst mich, daß ich, wie jene Katze,
   Dir die Kastanien aus dem Feuer kratze,

hat wohl nur von La Fontaine und Molière gewußt, Bismarck sagt einmal: »Wenn aber andere Leute sich dazu hergeben, die Kastanien für sie aus dem Feuer zu holen, warum soll man ihnen das nicht gern überlassen?«
   Daß man in Deutschland schon im hohen Mittelalter Kastanien im Feuer briet, lehrt ein redensartlicher Vergleich Wolframs von Eschenbach im ›Parzival‹ (378, 15ff.):

   da erhal (erscholl) manc rîchiu tjoste guot (kräftiger Zusammenstoß),
   als (als ob) der würfe in grôze gluot ganze castane.


• A. WESSELSKI: Der Affe, die Katze und die Kastanien, in: Erlesenes (Prag 1928), S. 108-114; L. RÖHRICH: Sprichwörtliche Redensarten aus Volkserzählungen, S. 269f.}

›Für einen anderen die Kastanien aus dem Feuer holen‹ – sich die Pfoten verbrennen. Aegidius Sadeler: Theatrum morum, Prag 1609: Vom Affen und der Katz.
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