Redensarten Lexikon
kalmäusern \(klamüsern\)
Die Feststellung Er ist ein Kalmäuser kann mehrere Bedeutung besitzen. Sie dient zur Charakterisierung eines Vielwissers, eines pedantischen Gelehrten, eines lichtscheuen Grüblers und Grillenfängers, kann aber auch den verschlagenen Schulmeister, einen verkommenen bettelnden Studenten in der Nebenbedeutung eines pfiffigen Schlaukopfes, einen Schmarotzer und den Geizhals meinen. Der Ausdruck ist im 16. Jahrhundert aufgekommen und bis heute in verschiedenen Schreibweisen gebräuchlich Neben ›Kalmauser‹, ›Kalmeiser‹, ›Kahlmäuser‹, ›Calmäuser‹ und ›Kalmüser‹ steht das Niederdeutsche ›Klamüser‹. Über die Herkunft des Wortes sind die Meinungen geteilt: Nach Adelung und Heyse soll es eine Zusammensetzung aus ›kalm‹ (= stille, ruhig) und ›Mäusen‹ sein und einen Menschen bezeichnen, ›der im stillen mause‹, der in Einsamkeit und im verborgenen fruchtlosen Grübeleien nachhänge. Kluge führt den 2. Wortbestandteil auf mittelhochdeutsch ›musen‹ (= in diebischer Absicht schleichen) zurück und vergleicht mit der Wortbildung von ›Duckmäuser‹. Grimm (Deutsches Wörterbuch V,72) vermutet hinter ›Kalmäuser‹ den ›kahlen Duckmäuser‹, im Sinne von armem Schlucker, Schmarotzer und Stubenhocker. Im ›Preußischen Hausfreund‹ (Berlin 1810, S. 427) stand sogar folgende Erklärung: »Das Wort Kalmäuser ist aus dem alten Scholmester (Schulmeister) mit Umwandlung des Schol in Kol und Kal, wie des Meister in Mäuser entstanden, ähnlich wie Duckmäuser aus Tücke und Meister«.    Da sich die Redensart vor allem auf einen Menschen bezieht, der Schwieriges herauszubringen sucht, der grübelt und über Zusammenhänge nachsinnt, der besondere geistige Fähigkeiten besitzt, ist auch an den Einfluß von lateinisch calamus (= Schreibrohr) zu denken. Das Schreibgerät wurde dann stellvertretend für den Schreiber genannt und schließlich zu einer Art Spottname für ihn. Johann Fischart brauchte den Ausdruck in solcher Weise in seinem ›Gargantua‹ (S. 255), wo es heißt: »solch Ding lehrnet man ohn den einörigen Dorfkalmäuser«. Er meinte damit den Dorfschulmeister, der oft der einzige im Dorfe war, der lesen und schreiben konnte. Da die Mißtrauischen glaubten, daß er dieses Wissen zu eigenem Vorteil anwende und manchmal zum Nachteile anderer mißbrauche, erhielt das Wort ›Kalmäuser‹ bald den Sinn von einem listenreichen, verschlagenen Mann, der immer einen Ausweg finden konnte. Ebenfalls in Fischarts ›Gargantua‹ (S. 31) ist das Wort in dieser Bedeutung überliefert: »Sind nicht ein gut theil Päpst Kalmäuser?«. Fischart bezeichnet aber auch den Schmarotzer damit: »Wappenbrieff usw. müssen Esellerisch jedem Kalmeuser, der das Grass durch den Zaun isst, für eine
   Löwenhaut dienen« (›Aller Praktik Großmutter‹, Kloster, VIII, 580).
   Daß ein Zusammenhang zwischen Kalmäuser und lateinisch calamus (= Kalmus) bestehen kann, zeigt eine berlinische Redensart: ›An den Kalmus piepen wir nich!‹, darauf fallen wir nicht herein, die das in Deutschland angebaute Schilfrohr Kalmus in übertragener Bedeutung für Schwindel verwendet.
   Möglich wäre aber auch die Herkunft des Wortes aus der Gaunersprache, wo es bis heute lebendig ist. Von der jiddischen Wurzel ›komaz‹ = nehmen und ›kamzon‹ = ein mit voller Hand Nehmender, Einsammler, Bettler, Schmarotzer, Geizhals wurde im Rotwelsch das Wort ›Kammesierer‹ = gelehrter Bettler, verkommener und verschlagener Student abgeleitet und wahrscheinlich unter lateinischem Einfluß von ›calamus‹ ›Kalmäuser‹ gebildet. In Berlin und Mitteldeutschland ist noch im 20. Jahrhundert ›calmüsern‹ = umhersuchen und ›ausklamüsern‹ = ausfindig machen in der Kundensprache üblich und in die Umgangssprache eingedrungen.
   Etwas ist eitel Kalmäuserei: es ist Pedanterie, Stubengelehrsamkeit, unbrauchbares Wissen, auch: Knauserei, Geiz.
   Er kalmausert: er ist ein einsamer Stubenhocker, ein Stubengelehrter und Federfuchser. Im Mansfeldischen meint die Wendung Jemand kalmüsert, daß er eifrig nachforscht. Hier zeigt sich eine deutliche Übereinstimmung mit der Gaunersprache (calmüsern = umhersuchen).
   Etwas ausklamüsern (herausklamiesern): etwas schwer zu Entdeckendes durch Pfiffigkeit und Nachdenken herausfinden, etwas Verborgenes nach langen Bemühungen ausfindig machen, vgl. oldenburgisch ›ûtkalmüseren‹.

• Deutsches Wörterbuch V, 70f.; WANDER II, Spalte 1117; S.A. WOLF: Wörterbuch des Rotwelschen (Mannheim 1956), S. 150, Nr. 2435.
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