Redensarten Lexikon
Kalb
Mit fremdem Kalbe pflügen: andere für sich etwas tun lassen, sich zunutze machen, was ein anderer gefunden hat, sich mit fremden Federn schmücken. Die Redensart ist biblischen Ursprungs. Im Buch der Richter wird in Kapitel 14 Simsons Rätsel durch eine List gelöst, worauf Simson in Vers 18 sagt: »Wenn ihr nicht hättet mit meinem Kalb gepflügt, ihr hättet mein Rätsel nicht getroffen«. Entsprechend englisch ›to plough with another man's heifer‹; französisch ›labourer avec la génisse d'autrui‹ (veraltet); niederländisch ›met een ander mans kalf ploegen‹. Ebenfalls biblisch ist Das goldene Kalb anbeten: nur auf Reichtum aussein, geldgierig sein; entsprechend französisch ›adorer le veau d'or‹; englisch ›to worship the molten (golden) calf‹; niederländisch ›het gouden kalf aanbidden‹. Der Tanz ums goldene Kalb: alles, was der Mensch um des Reichtums willen tut (oder auch: infolge seines Reichtums). Ex 32 wird berichtet von dem goldenen Kalb, das die Juden am Fuß des Berges Sinai anbeteten. Die Hauptsache dieses Kultes war nicht das Gold, sondern das Tier. In den sprichwörtlichen Redensarten liegt die Hauptbetonung auf ›golden‹ mit der Bedeutung der abgöttischen Liebe zu Geld und Gut. Ein ›goldenes Kalb‹ kann in der gegenwärtigen Umgangssprache auch die heiratsfähige Tochter aus reichem Hause meinen.    Kalb Moses: ungeschickter, dummer Mensch; wieder unter Bezug auf Ex 32ff.; aber auch auf Num 12,3: »Mose war sehr sanftmütig«.
   Das fette Kalb schlachten: bei einer festlichen Gelegenheit einen besonderen Leckerbissen bereitstellen. Die Redensart kommt vom biblischen Gleichnis vom verlorenen Sohn, Lk 15,23-27; entsprechend französisch: ›tuer le veau gras‹; englisch ›to kill the fatted calf‹; niederländisch ›het gemeste kalf slachten‹.
   Das Kalb ins Auge schlagen: Unwillen, Anstoß erregen. Die Redensart ist schon seit dem 16. Jahrhundert bezeugt, z.B. bei Hans Sachs: »Wer hat das kalb ins aug geschlagen?« 1629 erschien eine Streitschrift unter dem Titel ›Wer hat das Kalb ins Aug geschlagen d.i. ob die Augsburgischen Convessionsverwandten Prediger oder die Jesuiten den Religionsfrieden umbstürzen‹. 1672 bei Grimmelshausen in dem Novellenzyklus ›Vogelnest‹ (hg. von Scholte, S. 33): »Soltest du dich nun auch unterstehen, diesen wie die vorige Freier zu verhindern, so wirst du das Kalb ins Aug schlagen«. Rudolf Hildebrand meint im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm (Bd: S, Spalte 52), der Ausdruck stamme »wohl von besonders ungebärdigem Tun des Kalbs in diesem Falle«. Vielleicht ist aber auch an den Metzger gedacht, der das Kalb mit einem ungeschickten Schlag ins Auge trifft, statt es gleich zu töten. Die Redensart ist auch in den Mundarten weit verbreitet, z.B. obersächsisch ›das Kalb ins Auge treffen‹, einen wunden Punkt treffen; mecklenburgisch ›dat Kalw int Og steken (stechen)‹; schleswig-holsteinisch ›he sloog dat Kalf dat Oog ut‹, er verdarb die Sache, die Stimmung; schwäbisch ›'s Kälble ins Aug schlage‹; elsässisch ›im Kälwel ins Aug schaun‹, ohne Absicht etwas sagen, das jemanden beleidigen kann.
   Augen machen (glotzen, gucken, stieren) wie ein (ab-)gestochenes Kalb: vor Verwunderung große, blöde Augen machen. Schon 1588 bei Johann Fischart in der Satire ›Bienenkorb‹ (174a): »Warumb der Pfaff alsdan (wenn er während der Messe aufs Knie fällt) so jämerlich und barmherzig anfangt auszusehen wie ein gestochen kalb«.
   Ein Kalb anbinden (abbinden, machen, setzen): sich erbrechen. Die Redensart meint entweder, daß Kälber übermäßig trinken, bis ihnen der Trank aus Maul und Nase läuft, oder sie beruht auf der Schallnachahmung der Würgelaute beim Erbrechen.
   Das Kalb beim Schwanze nehmen: eine Sache verkehrt anfangen; ähnlich: ›Den Brunnen zudecken, nachdem das Kalb darin ertrunken ist‹, eine Redensart, die P. Bruegel d.Ä. in seinem Redensarten-Bild realisiert hat und die auch im Niedrländischen noch heute lebendig ist: ›as het kalf verdronken is, dempt men de put‹; Brunnen. In anderen Sprachen braucht man hierzu andere Bilder, z.B. lateinisch ›clipeum post vulnera sumere‹ (zum Schild greifen, nachdem man bereits verwundet ist); englisch ›when the steed is stolen, the stable door is locked‹; französisch ›fermer l'écurie quand les chevaux se sont échappes‹.
   Das Kalb (Kälbchen) austreiben: ausgelassen sein, sich austoben, wie ein Kalb, das man auf die Weide treibt, wo es seine Sprünge machen kann. Elsässisch ›s Kalb ablosse‹, lärmen, Zoten reißen. Der Schlesier Wenzel Scherffer schreibt 1640 in seiner Dichtung ›Der Grobianer‹ (S. 105):

   Es sol doch allezeit der Lust
   ein Merkmal bleiben
   zu sehn, wie gestern aus das Kalb
   man konnte treiben.

In neuerer Sprache heißt es dafür auch einfach (herum-)kalbern, kalbern: sich albern, mutwillig, kindisch benehmen, wie ein junger, unerfahrener Mensch auch als Kalb bezeichnet wird. Obersächsisch ›Er ist noch Kalbfleisch‹, er ist noch unerfahren, kindisch; ähnlich schon bei Luther: »Ihr habt noch viel Kalbfleisch«; westfälisch ›et is noch en hopen Kalfflusk darann‹. Picander (Christian Friedrich Henrici) sagt 1737 zu einem Freunde:

   Du weißt, wo wir beysammen saßen,
   Wie wir dasselbe mal gehaust
   Da wir noch liebes Kalbfleisch aßen
   Und manches Gläschen Wein geschmaust.

Bei Sebastian Brant (›Narrenschiff‹, Einleitung): »uf kalbsfüß gehen« = Narreteien treiben.
   ›Dem kälbert der Sägbock auf der Bühne‹ sagt man schwäbisch von einem, der stets unverdientes Glück hat, ohne daß er viel dazu tut, also von einem Glückspilz. Der drastische Vergleich enthält eine mehrfache Hyperbolik: Der Sägbock kann aus mehreren Gründen nicht kälbern, d.h. Junge bekommen: 1. ist er ein Ding aus Holz, und 2. könnte das männliche Tier, der Bock, ohnehin keine Jungen zur Welt bringen, und 3., ein Ziegenbock auch keine Kälber. Dazu steht 4. das Ding noch auf der ›Bühne‹, d.h. auf dem Dachboden, den man normalerweise gar nicht im Blick hat. Varianten sind besonders im schwäbisch-alemannischen Raum häufig: ›De riche Litt kelbret d'Holzschlegel hinderm Ofe‹ -›Wem's Glück will, dem kälwert d'r Holzschläjel (Dreschflegel) uf d'r Biehn‹ – ›Wer's Glück hat, dem kelbert am End no der Ochs‹ – ›Bei de Richa kelbret de Misthufe, be de Noatega (Notleidenden) verrecket d' Kelber‹ – ›Dem kälbert noch der Spaltstock‹.
   Das Kalb verkaufen, ehe es geboren ist: etwas Voreiliges tun. Einem ein Kalb aufbinden: Einen Bären aufbinden Bär.
   Das Kalb durchs Wasser ziehen: sein Glück machen, seinen Wohlstand begründen, literarisch bei Gottfried Keller im ›Grünen Heinrich‹ (IV. Teil,16. Kapitel): »Als aber das Kalb durch den Bach gezogen, das Gedeihen begründet ...«
   ›Unschuldig wie ein neugeborenes Kalb‹: redensartlicher Vergleich, der auf die Naivität eines (jungen) Menschen anspielt.
   ›Wer als Kalb in d'Fremde gaht, kommt als Rind hei‹. Mit diesem Sprichwort wird verdeutlicht, daß ein junger Mensch trotz einer Reise nichts dazugelernt hat, daß er sich in seinem Wesen nicht verändern konnte, daß er seiner Art treugeblieben ist.

• A. WIRTH: Artikel ›Kalb‹, in: Handbuch des Aberglaubens IV, Spalte 910-921; J. HAHN Das ›Goldene Kalb‹. Die Jahwe-Verehrung bei Stierbildern in der Geschichte Israels (Frankfurt/M.- Bern 1981); H. RIES: Zwischen Hausse und Baisse. Börse und Geld in der Karikatur, hg. H. Guratzsch (Stuttgart 1987), S. 230, 235.}

Der Tanz um das goldene Kalb. Holzschnitt, Brant: Narrenschiff, 1494, zum Kapitel ›Von dantzen‹.

Der Tanz um das goldene Kalb. J.J. Grandville: Der Triumph des Goldenen Kalbes, Holzstich in der deutschen Ausgabe von ›Un autre monde‹, Leipzig 1847. Hamburg, Sammlung Horst Misch-
   ke. Aus: Ries, Hans: Zwischen Hausse und Baisse. Börse und Geld in der Karikatur, herausgegeben von Herwig Guratzsch, Stuttgart 1987, Katalog zur Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover, 1. November – 20. Dezember 1987, S. 229, Abbildung 156.
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