Redensarten Lexikon
Judas
Der biblische Judas Iskarioth aus der Leidensgeschichte Jesu (Mt 26,25; 48f.) ist mit den Begriffen ›Judaskuß‹ und ›Judaslohn‹ sprichwörtlich geworden. Einen Judas nennt man danach einen falschen, verräterischen Menschen. Der ›Judaskuß‹ ist schon früh literarisch belegt. In Wolframs ›Parzival‹ heißt es (321,10):
ime gruoz er mînen herren sluoc
ein kus den Judas teilte,
im solhen willen veilte
und in der ›Zimmerischen Chronik‹ (IV,326): »Sie gab mir zu letst ain Judaskuß, als die frawen sein gewon«, d.h. sie verriet ihren Gatten an mich, ihren Liebsten, indem sie mich küßte.
Ein Brauch ist das ›Judasjagen‹, die lärmende Jagd der Gassenbuben in der Osternacht, eigentlich hinter dem Judas des Passionsspiels herjagen; daher die Redensart: ›Wie's Judasjagen‹; vgl. ›Wie's Teufelhaschen‹. Ähnlich das ›Judasverbrennen‹: ›Der Judas wurde verbrannt‹ sagt man elsässisch beim Verbrennen alter Meßgewänder, Chorröcke und dergleichen
Die vor allem im Schrifttum des 16. und 17. Jahrhunderts sehr häufige sprichwörtliche Redensart Den armen Judas singen (auch Einem den Judas singen)
bedeutet soviel wie: einen höhnisch schelten, verspotten, jemandem die Hölle heiß machen. Den armen Judas singen müssen: in Armut, Not, Elend, in einen Zustand geraten, in dem man Klagelieder anstimmt. Zwei Belege enthält allein das Faustbuch von 1587: »Es ist hie zu sehen des Gottlosen Fausti Hertz und Opinion, da der Teufel jhm, wie man sagt, den armen Judas sang, wie er in der Hell seyn muste«; und: »Als nu der Geist Fausto den armen Judas genugsam gesungen, ist er wiederum verschwunden, und den Faustum allein gantz melancholisch und verwirrt gelassen«. Die Wendung ›den armen Judas singen‹ bezieht sich auf ein einst wirklich gesungenes Lied:
O du armer Judas, Was hast du getan,
Dass du deinen herren
also verraten hast?
Darumb so mustu leiden Hellische pein,
Lucifers geselle Mustu ewig sein. Kyrieeleison.
Es handelt sich um die Übersetzung der Schlußstrophe eines lateinischen Osterhymnus:
O tu miser Juda, quid fecisti,
quod tu nostrum dominum tradidisti?
ideo in inferno cruciaberis,
Lucifero cum socius sociaberis.
Die deutsche Übersetzung und parodistische Umbildungen des Liedes zu satirischen Zwecken erfreuten sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts mehrere Jahrhunderte lang größter Beliebtheit. Der ›Arme Judas‹ (wobei ›arm‹ ebenso gebraucht wird wie in ›Armer Teufel‹, ›Armer Sünder‹) kommt zwar schon in verschiedenen hochmittelalterlichen Belegen vor, aber noch ohne Bezug zu einem Lied. Den frühesten Beleg für das Lied bietet ein historischer Anlaß: Als Kaiser Maximilian am 26. Mai 1490 zu Schiff auf der Donau an der mit Zuschauern dichtbesetzten Mauer der widerspenstigen Stadt Regensburg vorbeifuhr, verhöhnte er die Regensburger wegen ihres Abfalls vom Kaiser dadurch, daß er seine Musiker das Lied ›O du armer Judas, was hast du getan‹, ›carmen illud maledictionis‹, aufspielen ließ. Schon dieser Beleg bezeugt das Judaslied als eine Satire. In der Reformationszeit wurde es dann vorwiegend in parodistisch-satirischer Absicht häufig wiederholt und oft auch auf andere Personen umgedichtet, z.B. ›Ach du armer MURNarr, Was hastu getan ...‹, und zu zahlreichen politischen Liedern bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges diente diese ursprünglich geistliche Strophe, so daß bald ›einem den Judas singen‹ den Sinn erhielt: ihm seine Treulosigkeit höhnend vorhalten. In einem Spottgedicht auf Friedrich von der Pfalz als (Winter-) König von Böhmen heißt es: »Den armen Judas mußt du singen gar bald, mein lieber Fritz«. Das Judaslied hat sich im Kinderbrauch regional noch bis zur Gegenwart erhalten (z.B. als Drohvers im Heischebrauch). Vgl. ›Einem den Görgen singen‹, ›Placebo singen‹.
• Lit.: CREIZENACH: Judas Iscariot in Sage und Legende des Mittelalter, in: Paul und Braunes Beiträge 2 (1876), S. 185f.; ERK-BÖHME III, 670, Nr. 1963f.; R. HILDEBRAND: Materialien zur Geschichte des deutschen Volksliedes I, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht, Ergänzungsheft 5 zu Band 14 (1900), S. 63ff.; A. Taylor: ›O du armer Judas‹, in: The Journal of English and Germanic Philology 19 (1920), S. 318-339; A. WREDE: Artikel ›Judas Ischarioth‹, in: Handbuch des Aberglaubens IV, Spalte 800-808; K. LUTHI: Judas Iskarioth in der Geschichte der Auslegung von der Reformation bis zur Gegenwart (1955); Religion in Geschichte und Gegenwart 3. Auflage III, Spalte 965f., Artikel ›Judas‹ v. E. FASCHER; G. GROBER- GLÜCK: Motive und Motivationen in Redensarten und Meinungen (Marburg 1974), § 73ff., besonders S. 102; P. DINZELBACHER: Judastraditionen (= Raabser Märchen-Reihe 2) (Wien 1977), besonders S. 12ff. (Judas in der Sprache); W. BUCHNER: Feldforschungsnotiz zum Judasbrennen, in: Österrische Zeitschrift für Volkskunde. 80 (1977), S. 229-231; E. Harvolk: Judaskuß und Judaslohn, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (1985), S. 89.
ime gruoz er mînen herren sluoc
ein kus den Judas teilte,
im solhen willen veilte
und in der ›Zimmerischen Chronik‹ (IV,326): »Sie gab mir zu letst ain Judaskuß, als die frawen sein gewon«, d.h. sie verriet ihren Gatten an mich, ihren Liebsten, indem sie mich küßte.
Ein Brauch ist das ›Judasjagen‹, die lärmende Jagd der Gassenbuben in der Osternacht, eigentlich hinter dem Judas des Passionsspiels herjagen; daher die Redensart: ›Wie's Judasjagen‹; vgl. ›Wie's Teufelhaschen‹. Ähnlich das ›Judasverbrennen‹: ›Der Judas wurde verbrannt‹ sagt man elsässisch beim Verbrennen alter Meßgewänder, Chorröcke und dergleichen
Die vor allem im Schrifttum des 16. und 17. Jahrhunderts sehr häufige sprichwörtliche Redensart Den armen Judas singen (auch Einem den Judas singen)
bedeutet soviel wie: einen höhnisch schelten, verspotten, jemandem die Hölle heiß machen. Den armen Judas singen müssen: in Armut, Not, Elend, in einen Zustand geraten, in dem man Klagelieder anstimmt. Zwei Belege enthält allein das Faustbuch von 1587: »Es ist hie zu sehen des Gottlosen Fausti Hertz und Opinion, da der Teufel jhm, wie man sagt, den armen Judas sang, wie er in der Hell seyn muste«; und: »Als nu der Geist Fausto den armen Judas genugsam gesungen, ist er wiederum verschwunden, und den Faustum allein gantz melancholisch und verwirrt gelassen«. Die Wendung ›den armen Judas singen‹ bezieht sich auf ein einst wirklich gesungenes Lied:
O du armer Judas, Was hast du getan,
Dass du deinen herren
also verraten hast?
Darumb so mustu leiden Hellische pein,
Lucifers geselle Mustu ewig sein. Kyrieeleison.
Es handelt sich um die Übersetzung der Schlußstrophe eines lateinischen Osterhymnus:
O tu miser Juda, quid fecisti,
quod tu nostrum dominum tradidisti?
ideo in inferno cruciaberis,
Lucifero cum socius sociaberis.
Die deutsche Übersetzung und parodistische Umbildungen des Liedes zu satirischen Zwecken erfreuten sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts mehrere Jahrhunderte lang größter Beliebtheit. Der ›Arme Judas‹ (wobei ›arm‹ ebenso gebraucht wird wie in ›Armer Teufel‹, ›Armer Sünder‹) kommt zwar schon in verschiedenen hochmittelalterlichen Belegen vor, aber noch ohne Bezug zu einem Lied. Den frühesten Beleg für das Lied bietet ein historischer Anlaß: Als Kaiser Maximilian am 26. Mai 1490 zu Schiff auf der Donau an der mit Zuschauern dichtbesetzten Mauer der widerspenstigen Stadt Regensburg vorbeifuhr, verhöhnte er die Regensburger wegen ihres Abfalls vom Kaiser dadurch, daß er seine Musiker das Lied ›O du armer Judas, was hast du getan‹, ›carmen illud maledictionis‹, aufspielen ließ. Schon dieser Beleg bezeugt das Judaslied als eine Satire. In der Reformationszeit wurde es dann vorwiegend in parodistisch-satirischer Absicht häufig wiederholt und oft auch auf andere Personen umgedichtet, z.B. ›Ach du armer MURNarr, Was hastu getan ...‹, und zu zahlreichen politischen Liedern bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges diente diese ursprünglich geistliche Strophe, so daß bald ›einem den Judas singen‹ den Sinn erhielt: ihm seine Treulosigkeit höhnend vorhalten. In einem Spottgedicht auf Friedrich von der Pfalz als (Winter-) König von Böhmen heißt es: »Den armen Judas mußt du singen gar bald, mein lieber Fritz«. Das Judaslied hat sich im Kinderbrauch regional noch bis zur Gegenwart erhalten (z.B. als Drohvers im Heischebrauch). Vgl. ›Einem den Görgen singen‹, ›Placebo singen‹.
• Lit.: CREIZENACH: Judas Iscariot in Sage und Legende des Mittelalter, in: Paul und Braunes Beiträge 2 (1876), S. 185f.; ERK-BÖHME III, 670, Nr. 1963f.; R. HILDEBRAND: Materialien zur Geschichte des deutschen Volksliedes I, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht, Ergänzungsheft 5 zu Band 14 (1900), S. 63ff.; A. Taylor: ›O du armer Judas‹, in: The Journal of English and Germanic Philology 19 (1920), S. 318-339; A. WREDE: Artikel ›Judas Ischarioth‹, in: Handbuch des Aberglaubens IV, Spalte 800-808; K. LUTHI: Judas Iskarioth in der Geschichte der Auslegung von der Reformation bis zur Gegenwart (1955); Religion in Geschichte und Gegenwart 3. Auflage III, Spalte 965f., Artikel ›Judas‹ v. E. FASCHER; G. GROBER- GLÜCK: Motive und Motivationen in Redensarten und Meinungen (Marburg 1974), § 73ff., besonders S. 102; P. DINZELBACHER: Judastraditionen (= Raabser Märchen-Reihe 2) (Wien 1977), besonders S. 12ff. (Judas in der Sprache); W. BUCHNER: Feldforschungsnotiz zum Judasbrennen, in: Österrische Zeitschrift für Volkskunde. 80 (1977), S. 229-231; E. Harvolk: Judaskuß und Judaslohn, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (1985), S. 89.