Redensarten Lexikon
Haupt- und Staatsaktion
Eine Haupt- und Staatsaktion aus etwas machen, auch verkürzt zu: Eine Staatsaktion daraus machen wollen: etwas künstlich hochspielen und dramatisieren, eine unwichtige Angelegenheit als brennendes Problem darstellen, seine persönlichen Belange überbewerten, etwas zu wichtig nehmen; vgl. französisch ›En faire une affaire d'Etat‹. Die Wendung begegnet auch häufig in negierter Form als Warnung: Nun mach nicht gleich (keine) eine Haupt- und Staatsaktion daraus! Der Ausdruck wurde als kritischer Terminus für die Stücke der deutschen Wanderbühne durch die polemischen Auseinandersetzungen Gottscheds und seiner Zeitgenossen geprägt. Er bezeichnet das unliterarische Schauspiel und stellt es in den Gegensatz zum Kunstdrama der Hofbühne. Die Schauspieler mußten sich um die Wende des 17. Jahrhunderts mit ihrem Repertoire ganz nach dem Geschmack des Publikums richten, der noch wenig entwickelt war. Sie nannten die Stücke ernsten Inhalts ›Haupt- Aktionen‹, denen dann die burlesken Nachspiele folgten. Wegen ihres politisch-historischen Inhalts wurden solche Spiele auch als ›Staatsaktionen‹ bezeichnet, oder beide Begriffe erschienen in einer Verbindung, die später zum literaturgeschichtlichen Terminus wurde. Im Zeitalter des Absolutismus wollte auch das Kleinbürgertum am höfischen Glanz etwas teilhaben, deshalb ließ es sich mit Vorliebe von den Wanderbühnen etwas vom Leben am Hof, von Festpomp und Kriegslärm, von Leidenschaft, Intrigen und Schicksalsschlägen der Großen in effektvoller Übersteigerung vorspielen. Stoffe aus Ereignisdramen waren für diesen Zweck am besten geeignet, aber auch italienische Opernstoffe wurden für die Wanderbühne umgestaltet, d.h. gekürzt, um die Handlung krasser zu gestalten und Gegensätze und Konflikte stärker hervorzuheben. Dem Schaubedürfnis kamen Effektszenen entgegen wie Triumphzüge, Siegesfeste, Krönungen, prunkvolle Hochzeiten und weihevolle Totenfeiern, das Schauerbedürfnis dagegen befriedigte man durch Szenen von Gericht, Hinrichtung, Mord und Selbstmord und durch die Darstellung von wilden Leidenschaften, Wahnsinn und Geisterspuk. Die Stoffe wurden also vom Kunstdrama übernommen: das eigentlich Unterscheidende und Trennende ist der Stil der Haupt- und Staatsaktion: die Prosa erscheint durch Floskeln, Wendungen in Kanzleideutsch, geblümten Ausdruck, aufdringliche Umschreibungen und Vergleiche, aber auch durch Fremdwörter, Witze, Zoten und resümierende Sprichwörter wirkungsvoll, doch für den Geschmack der Gebildeten unfein und übersteigert.• W. FLEMMING: Artikel ›Haupt- und Staatsaktion‹, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band 1 (Berlin 1958), S. 619-621.

Eine Haupt- und Staatsaktion aus etwas machen. Titelblatt einer Haupt- und Staatsaktion, Grätz 1722.
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