Redensarten Lexikon
Hasel
In die Haseln (Haselnüsse) gehen: sein Liebchen aufsuchen, heimlichen Umgang pflegen, verbotene Liebe genießen. Der Haselstrauch und die Haselnuß besitzen erotische Bedeutung. Sie gelten als Symbole der Lebenskraft und der Fruchtbarkeit, wahrscheinlich deshalb, weil der Strauch zäh und kräftig ist, bereits im Vorfrühling blüht und sehr viele Früchte hervorbringt, die sich oft gepaart vorfinden. Das Haseldickicht wird außerdem als ein geheimnisvoller Ort der Kinderherkunft angesehen, die Haselstaude selbst spielt im Volksglauben als Kinderbaum eine Rolle. Die seit dem 16. Jahrhundert bezeugte Redensart ist als metaphorische Anspielung auf unerlaubte voreheliche Geschlechtsverbindung zu verstehen, denn in der Umgangssprache werden direkte Bezeichnungen für sexuelle Vorgänge und Schwangerschaft meistens vermieden. Man umschreibt sie durch verhüllende sprachliche Bilder, wie dies vorzugsweise im Volkslied und ganz besonders häufig im Liebeslied zu beobachten ist. Die Redensart ist also gleichbedeutend wie die im Lied bevorzugten Metaphern: ›Brombeeren pflücken‹, vgl. französisch ›aller aux fraises‹ (in die Erdbeeren gehen), in derselben Bedeutung, ›Gras (Korn) schneiden‹, ›Ins Heu fahren‹ und ›Rosen brechen‹. sie begegnet selbst auch im Lied, z.B. als Aufforderung an das Mädchen:
   Ei, du lewi Dordee-Lies,
   Geh mit mir in die Haselniß

oder es heißt von einem Mädchen, das sich heimlich mit dem Geliebten treffen will:

   Es geht ein Mädel Haselnuß klaub'n
   Frühmorgens in dem Taue.

Noch versteckter ist die Anspielung in einem Volkslied (Nr. 74 B, Str. 8) aus Uhlands Sammlung:

   Sein Pferdlein das tet im strauchen
   Wol über ein Haselstauden.

Auch andere Wendungen mit der Haselnuß besitzen eine übertragene Bedeutung, so meint z.B. die einfache Feststellung: Es gibt in diesem Jahr viele Haselnüsse, daß viele uneheliche Kinder geboren werden, und die bairische Redensart ›Die Haselnüsse sind heuer geraten‹ bedeutet ebenfalls: in diesem Jahr gibt es viele schwangere Mädchen. Wander (II, Spalte 378f.) vermutet, daß die Redensarten auf den verbotenen Umgang anspielen wollen, der hinter den schützenden Büschen unbeobachtet stattfindet, oder daß die heranwachsenden unehelichen Kinder mit den wild wachsenden Früchten der Haselnußsträucher verglichen werden sollen. Wahrscheinlicher ist jedoch der Bezug zur allgemeinen Fruchtbarkeit und zur frühen Blüte der Hasel, womit die vorzeitige und unerlaubte sexuelle Beziehung und die voreheliche Schwangerschaft verglichen werden. Auch das Sprichwort ›Wenn es über die kahlen Haselstauden donnert, gibt es viele gefallene Jungfrauen‹ gehört in diesen Sinnzusammenhang, wobei noch eine Verstärkung durch die Vorstellung vom fruchtbarmachenden Gewitter hinzukommt. Außerdem wurden die Haselstauden zum Liebes- und Eheorakel benutzt, sie wurden z.B. in der Mettennacht geschüttelt. Vgl. auch die (veraltete) französische Wendung ›année de noisettes, année d'enfants‹ und den alten und weitverbreiteten Hochzeitsbrauch, den Neuvermählten Haselnüsse zu schenken als Zeichen guter Vorbedeutung für Liebe und große Nachkommenschaft. Allgemein galten auch Haselnüsse als Geschenk zu Weihnachten und Neujahr als Zeichen der Liebe. Voraussetzung für die Entwicklung zum erotischen Symbol ist wohl auch die hodenähnliche Gestalt der paarigen Haselnüsse.
   Die Wendung Aus einer Haselstaude entsprungen sein diente zum Vorwurf unehelicher und niedriger Geburt. sie wurde als große Beleidigung aufgefaßt, gegen die man sich zu verwahren hatte. So heißt es z.B. in Christian Reuters ›Schelmuffsky‹ (1,50): »ich müste noch weit was Vornehmers sein, denn meine Augen die hätten mich schon verrathen, dasz ich aus keiner Haselstaude entsprungen wäre«. Die erotische Bedeutung der Hasel erklärt auch ihre Funktion als warnender Baum in der Volksballade. In Volksliedern begegnen Zwiegespräche eines Mädchens mit der ›Frau Hasel (Haselin)‹, die mit den folgenden Versen eröffnet werden:

   Nun grüß dich Gott, Frau Haselin!
   Von was bist du so grüne?

(E.B. I, Nr. 174a). Der Haselstrauch warnt vor dem Verlust der Ehre. Dies geschieht besonders ausführlich in einer Variante des Liedes ›Mädchen und Hasel‹ aus Schlesien (vgl. E.B. I, Nr. 1746).
   Offenbar wurde die Schande eines gefallenen Mädchens beim Maibrauch, wenn ihr die Burschen Haselnußzweige vor das Fenster oder die Türe setzten, was sie dem allgemeinen Spott preisgab.
   Die Wendung Mit Haselruten ist gut schlagen weist auf eine Zauberpraktik, denn die Hasel spielt auch sonst als Zauberpflanze im Volksglauben und -brauch eine wichtige Rolle. so gelten die Haselruten als Lebens- und Wünschelruten, sie werden zum Schlagen beim Fruchtbarkeitszauber benutzt, z.B. bei einer bisher kinderlos gebliebenen Frau (Anhalt) oder auch beim ersten Viehaustrieb. Die zu Pulver verbrannte Haselrinde diente bereits im 15. Jahrhundert als Aphrodisiakum. Haselstöcke und -ruten besaßen aber auch apotropäische Eigenschaften, sie schützten z.B. vor Geistern, Hexen, Vampiren, vor Schlangen und Ungeziefer, aber auch bei Gefahren auf einer langen Wanderung und im Kriege und selbst vor Blitzschlag. Eine in Süddeutschland verbreitete Legende erzählt, daß Maria mit ihrem Kind Schutz bei einem Gewitter unter der Hasel gefunden habe. Tatsächlich wird die Hasel nie von einem Blitz getroffen, da sie anscheinend wegen ihrer glatten Rinde ein guter Elektrizitätsleiter ist. Auch im Märchen ist die Hasel Zauberpflanze und Grabesbaum (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 21: Aschenputtel), sie bietet Zuflucht, Hilfe und Zaubergaben; oft sind unter ihr Schätze verborgen.
   Verschiedene Redensarten verwenden die Haselnuß als Bild des Kleinen, Wertlosen und Nichtigen: Etwas ist keine gelöcherte (hohle) Haselnuß wert; Es bringt nur taube Haselnüsse; jemand ist eine Hohle (taube) Nuß, Nuß. Geiler von Kaysersberg braucht die Wendung noch ohne den heute üblichen und steigernden Zusatz ›hohl‹ oder ›taub‹: »ich geb dir nitt ein bon oder ein haselnusz umb ein sentenz und umb ein urteil« (›Marie Himelfahrt‹, 3a). Schiller dagegen schreibt in ›Kabale und Liebe‹ (I,2): »einem Liebhaber, der den Vater zu Hülfe ruft, trau'ich – erlauben Sie – keine hohle Haselnuß zu«.
   Euphemistische Umschreibungen für tüchtige Prügel sind bis heute in den Wendungen: Einen mit Haselsaft erquicken; Jemand mit Haselöl (Haselsalbe) einschmieren und besonders im Obersächsischen ›ein häselnes Frühstück kriegen‹, gebräuchlich.

• K. WEINHOLD: Über die Bedeutung des Haselstrauches im altgermanischen Kultus und Zauberwesen, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde,11 (1901); E.M. KRONFELD: Die Zauberhasel, in: Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft, 31 (1921), S. 249-271; Handbuch des Aberglaubens III, Spalte 1527ff., Artikel Hasel v. H. MARZELL: L. RÖHNCH: Gebärde- Metapher- Parodie (Düsseldorf 1967), S. 66; L. RÖHRICH: Liebesmetaphorik im Volkslied, in: Folklore International ... in honor of Wayland Debs Hand, ed. by D.K. Wilgus und Carol Sommer (Hatboro/Pennsylvania 1967), S. 187-200; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Band III (Bonn-Bad Godesberg 1978), S. 992-1006.
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