Redensarten Lexikon
Hahnrei
Ein Hahnrei sein, auch: Hahnreifedern tragen: ein betrogener Ehemann sein, Hörner tragen, Horn. Vgl. französisch ›suivre la bannière de Vulcain‹ (veraltet).    Der Ausdruck erschien schon 1279 im ›Hapsalschen Stadtrecht‹: »... des wyffes echte mann hefft de gewalth, wath he den hanreyge don wyl« und ist verschieden gedeutet worden. Richter-Weise glaubt an einen Zusammenhang des Wortes mit ›Reihen‹ oder ›Reigen‹ und meint, daß ein Hahnrei den Reigen der Hähne mitmache, die als geile Vögel das Sinnbild unzüchtiger Menschen abgäben. Die von ihm angeführten literarischen Belege stützen diese Theorie, z.B. nennt Herzog Heinrich Julius von Braunschweig in seiner Komödie ›Weiberlist einer Ehebrecherin‹ den genarrten Ehemann ›Gallichorea‹, und Pistorius erläutert in seinem ›Thesaurus paroem.‹ 5, 396: »Hahnrey est vocabulum ratione originis mere germanicum, quod a voce Hahn et reye hoc est chorea, Tanz descendit«. Auch eine Stelle in Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ ist in dieser Weise zu deuten: »wer lyden mag, daz man in goich oder man in die schouch im seich oder setzet hörner uf die oren, der hat ein reygen mit den doren«. Dagegen hat Dunger (›Germania‹ 29,59f.) auf den Brauch hingewiesen, jungen Hähnen, wenn sie zu Kapaunen gemacht wurden, die unten abgeschnittenen Sporen in den Kamm zu setzen. Sie wuchsen dort fest, bildeten eine Art von Hörnern und dienten zur Unterscheidung von Hähnen und Kapaunen in einer größeren Hühnerschar. Kluge schließt sich dieser Deutung an und kann sie durch die Etymologie des Wortes bestätigen: im 15. Jahrhundert ist für das Mittelniederdeutsche ›hanerei‹ und ›hanreyge‹ bezeugt, das im 16. Jahrhundert von Niedersachsen aus als ›hanrey‹ und ›hanreh‹ ins Frühneuhochdeutsche gedrungen ist. Die Ausgangsbedeutung ist verschnittener Hahn, Kapaun.
   In der Volksetymologie wird jedoch Hahnrei mit ›Hahnreiter‹ verbunden, wie auch Bildbelege erweisen, z.B. ein Kupferstich von 1650 stellt einen gehörnten und mit Hahnenfedern versehenen Mann dar, der auf einem Hahn reitet. Er macht zudem noch die Gebärde der gehörnten Hand, obgleich diese eigentlich ihm selbst gelten sollte; › Hahn‹ ist schließlich auch ein Vulgärausdruck für Penis. Das Motiv des Reiters auf einem Hahn dient im Märchen ›Hans mein Igel‹ (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 108) der Verkörperung zauberischer Kräfte.
   Die Kriegsmünze der Grafen von Solms (1627) zeigte einen Reiter auf einem Hahn. Der Volksmund brachte dies in Verbindung mit der lateinischen Inschrift, die das Wort ›vicarius‹ in abgekürzter Form als ›vic‹ zeigt, und nannte die Geldstücke ›Fickmünzen‹ oder ›Hahnreitaler‹. Eigentlich bezieht sich der Name in Anspielung auf das Wort »vicarius« in der Umschrift darauf, daß Solms seine Stellung als Kommandant von Wolfenbüttel dazu benutzte, das Tafelgeschirr des Herzogs Friedrich von Braunschweig- Wolfenbüttel in eben jene Taler umzumünzen. Gold und Silber können wohl schon eine »Liebste« sein oder ersetzen und der Braunschweiger Herzog mag Solms deswegen mehr gehaßt haben, als wenn dieser seiner Frau zu nahe getreten wäre.
   Auf den Menschen übertragen bezeichnete der Ausdruck ›Hahnrei‹ zuerst wohl auch den Ehebrecher, den Betrüger, und erst später überwog anscheinend die Bedeutung als ›Betrogener‹ und diente dann zur Schelte für den in sexueller Hinsicht untüchtigen Ehemann, der von seiner Frau wie ein Kastrat behandelt und deshalb verspottet und betrogen wird. Ähnlich heißt der Gatte einer untreuen Frau im Französischen ›bélier‹ = Widder (verschnittener Schafbock) oder ›cerf‹ = Gehörnter (eigentlich Hirsch).
   Der zweite Wortteil von Hahnrei muß also Kastrat bedeuten und hat nichts mit Reigen zu tun. Dies läßt sich über das ostfriesische ›hanrune‹ = Kapaun, betrogener Ehemann klären. So sagt man dort z.B. von einem Ehemann mit vielen Kindern, dessen Vaterschaft fraglich ist, er sei ›'n Hahnrun mit niuggen Sjuken‹. Im Niederländischen bedeutet ›ruin‹ das verschnittene Pferd. Daraus sind in den niederdeutschen Mundarten Formen mit ›öi‹ und entrundete Wortteile wie ›-rein‹ entstanden, die das verschnittene männliche Tier und den untüchtigen Ehemann bezeichnen.
   Einen zum Hahnrei machen; vgl. französisch ›faire quelqu'un cocu‹ oder ›cocufier quelqu'un‹; Einem Hahnreifedern aufsetzen: ihn betrügen; Ehebruch verüben.
   Auf die komische Situation des betrogenen Ehemannes nimmt spöttischen Bezug die holsteinische Redensart ›dor hört Hahndreihs Geduld to‹: dazu gehört große Geduld. Der ›gute Mann‹, der von seiner Frau betrogen wird, dieses Faktum aber nicht abstellt oder ahndet, so daß der Betrug zum Dauerzustand wird, der aller Welt bekannt ist, war nicht nur Zweifeln an seiner Potenz, sondern auch dem Spott über intellektuelle Schwächen ausgesetzt. Schon Sebastian Brant verspottete in seinem ›Narrenschiff‹ die Torheit des ›nachsichtigen‹ Gatten, und auch der niederländische Maler Georg Hoefnagel (16. Jahrhundert) hielt den Typus des narrenhaft ›geduldigen‹ Hahnreis in Bild und Vers fest ( Horn).
   Im Sinne von ›betrügen‹ wird der Ausdruck in der holsteinischen redensartlichen Abweisung gebraucht: ›Schît över de Tung un mak dinen Ars tôm Hândrei‹. Synonyme sind unter anderem Gauch, Kuckuck, Siemann, Pantoffelheld, Kuckuck, Siemann, Pantoffel.

• H. DUNGER: ›Hörner aufsetzen‹ und ›Hahnrei‹, in: Germania 29 (1884), S. 59f.; J. BOLTE: Der Hahnrei, in: Zeitschrift für Volkskunde 19 (1909), S. 63, 82; RICHTER-WEISE: Deutsche Redensarten (Leipzig 1910); L. RÖHRICH: Gebärdensprache und Sprachgebärde, S. 121-149; M. DELTGEN: Der Hahnrei (Diss. Köln 1966); E. FRENZEL: Motive der Weltliteratur (Stuttgart 1976), S. 313-329; E. MOSER-RATH: Lustige Gesellschaft (Stuttgart 1984), S. 123ff.; W. WUNDERLICH: Artikel ›Hahnrei, Hahnreiter‹, in: Enzyklopädie des Märchens VI, Spalte 378-383.}

Hahnrei. Kupferstich um 1640, Satirisches Blatt auf die Untreue der Frauen. Der betrogene Ehemann muß auf einem Hahn reiten. Seine Kennzeichen sind die Brille, durch die er nichts sieht bzw. nichts sehen will, die Eselsohren und die Hörner. Sein Weib tröstet ihn und er sich selbst, daß er nicht der einzige Mann ist, dem es so geht, und reiht sich willig in das Regiment der Hahnreye ein, dessen Fahnen die obengenannten Attribute tragen. Aus: Wäscher: Flugblatt, S. 88.
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