Redensarten Lexikon
Gemüt
Die Wendung sich etwas zu Gemüte führen ist erstarrt. Die ältere Sprache kannte zahlreiche verbale Verbindungen mit ›zu Gemüte‹ wie: ›Es kommt, geht, steigt mir zu Gemüte‹, ›Ich ziehe, führe (mir) etwas zu Gemüte‹. Sich etwas zu Gemüte führen besagte: sich etwas zu Herzen nehmen, auch sich an etwas erinnern. Jetzt hält es sich fast nur noch in der scherzhaften Bedeutung: sich etwas zugute tun, vorwiegend im Hinblick auf Essen und Trinken. Adelung verzeichnet schon 1775 als niedrigen Scherz: »sich ein Stück Brot, eine Bouteille Wein zu Gemüte führen«.    Das schlägt einem aufs Gemüt: das geht einem nahe, drückt die Stimmung.
   Ein Gemüt wie ein Fleischerhund haben: seelisch unkompliziert, roh sein wie jemand, dem es genügt, wenn er seine Portion Fleisch verschlingen kann.
   Während in biblischen Zitaten das Gemüt weder mit ›Herz‹ noch mit ›Seele‹ gleichgesetzt wird, sondern als autonome Einheit für sich Erwähnung findet: »von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (Mt 22,37), wird es in späteren literarischen Zeugnissen mit dem Willen und Wollen eines Menschen verglichen:

   nach des gemüts sitten und gestalt,
   auch der leib sich sittet und halt,
   das gemüt ziecht wie es will den leib
   (J. Fischart: ›Podagrammisch Trostbüchlin‹ 10, 654);

›Besser blind an den Augen als blind am Gemüt‹ heißt es bei Chr. Lehmann im ›Politischen Blumen- Garten‹, 1662 (T. 1. Blind. Additio Nr. 5).
   Aus der Tiefe des Gemüts: seiner Intuition folgend, auch: ohne Vorlage, Konzept. So schon bei H. Heine in einem Bericht über die Pariser Gemäldeausstellung vom 7. Mai 1843: »Dem Kamele, welches sich auf dem Gemälde des Horaz Vernet befindet, sieht man es wohl an, daß der Maler es unmittelbar nach der Natur kopiert und nicht wie ein deutscher Maler aus der Tiefe seines Gemüts geschöpft hat«.
   Keine Gemütsregung zeigen: sich beherrschen, (seelisch und geistig) verhärtet sein, völlig unbewegt von Gefühlen sein. In aller Gemütsruhe etwas tun: ohne Hektik etwas erledigen. ›Ein gemütlicher Bürger sein‹: früher im Sinne von ›ruhig‹ gebraucht, heute mehr in der Bedeutung: ein bequemer Mensch sein. Ein Gemütsmensch sein: jemand, der herzensgut ist und sich nicht aus der Ruhe bringen läßt. ›Du bist ein Gemütsmensch‹ sagt man aber auch ironisch, wenn jemand, sich dumm stellend, (scheinbar) naiv ›unmögliche‹ Äußerungen von sich gibt. Gemütskrank sein: älterer Begriff für ›depressiv‹ sein, keine Freude mehr am Leben haben. Ein kindliches Gemüt haben: einfältig sein. Die Wendung wird heute meist im abwertenden Sinne von ›kindisch‹ gebraucht, während sie im 18. Jahrhundert – als das Gemüt noch die ihm gebührende, zuweilen auch etwas übertriebene Rolle im menschlichen Leben spielte – unter anderem bei Schiller noch in der ursprünglich positiven Bedeutung begegnet:

   Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
   Das übt in Einfalt ein kindlich Gemüt.
   (›Die Worte des Glaubens‹, 3. Strophe, in: Musenalmanach für das Jahr 1798).

Jemandes Gemütsruhe stören: ihn durcheinanderbringen, meist in böser Absicht, so daß der sprichwörtlich gewordene Satz angebracht wäre: ›Da hört (sich doch) die Gemütlichkeit auf!‹: Was zuviel ist, ist zuviel.
   In einer guten bzw. schlechten Gemütsverfassung sein: sich gut oder schlecht fühlen. Im 18./19. Jahrhundert war die ›Gemütsstimmung‹ dagegen von ausschlaggebender Bedeutung Sie war der Maßstab des Wohlbefindens, mit dem die ganze Skala der Gefühlswelt umschrieben wurde. So heißt es bei Kant (›Kritik der Urteilskraft‹ [1869], § 28): »... Hier scheint kein Gefühl der Erhabenheit unserer eigenen Natur, sondern vielmehr Unterwerfung, Niedergeschlagenheit, Gefühl der gänzlichen Ohnmacht die Gemütsstimmung zu sein«.
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