Redensarten Lexikon
Geige
Nach jemandes Geige tanzen müssen: nach seinem Wink handeln, stammt vom Tanzboden: wie die Geiger den Takt streichen, so müssen sich die tanzenden Paare drehen (vgl. Pfeife). Als der französische König Ludwig XIV. mit den Türken gemeinsame Sache gegen das Deutsche Reich machte, ließ ihn ein Spottvers zum Sultan sagen:
   Drum wünsch' ich dir, daß dein Gewalt
   Noch höher solle steigen;
   Singst du den Baß, so sing ich Alt,
   Tanzen nach einer Geigen.

In der Reformationszeit wurden die Altgläubigen mit dem Vorwurf verspottet, sie tanzten nach der römischen Geigen: sie seien Diener des Papstes.
   Die alte Geige war früher sprichwörtlich für ›das alte Lied, die alte Leier‹: immer die gleiche Geige spielen: ohne Phantasie und Abwechslung das gleiche vorbringen; schon bei Luther: »es ist die selbe geige, darauf er immer fiddelt«. Vgl. französisch ›jouer toujours le même refrain‹ (wörtlich: immer denselben Kehrreim spielen). Jünger ist die Redensart die erste Geige spielen: der geistige Mittelpunkt eines Kreises, die leitende Kraft eines Unternehmens sein, den Ton angeben; vgl. englisch ›to play first fiddle‹ und französisch ›donner le ton‹. Die Wendung ist mit der Ausbildung des Streichquartetts im 17. und 18. Jahrhundert aufgekommen: hier hat der Spieler der ersten Geige zugleich die wichtigste, schwerste und schönste Aufgabe, und die drei Mitspielenden haben sich vor allem nach ihm zu richten. Ebenso Alles soll nach seiner Geige stimmen (tanzen). Tatsächlich unterrichtete zur Zeit des Sonnenkönigs der Tanzmeister die Höflinge im Tanzen, indem er den Rhythmus auf seiner ›Pochette‹ angab, einer kleinen, engbrüstigen Vorläuferin unserer Geigen, die er in der Tasche (französisch ›poche‹) bei sich führte. Zur gleichen Zeit machte die Geigen-›familie‹ (Violine, Bratsche, Cello) jene Entwicklung durch, die sie an die Spitze aller Streichinstrumente brachte. Geigen und Tanzen gehören in der Volkssprache zusammen. Diese Zusammengehörigkeit stellt ein thüringisches Sprüchlein fest: ›In Isenach kann me alles gemach, kann me gefiedel und gedaanz‹. Voll Bitterkeit heißt es aber auch: ›Was die Fürsten geigen, das müssen die Untertanen tanzen‹.
   Unter der Bezeichnung Geige war früher auch ein Schandinstrument bekannt, das aus einem geigenförmigen flachen Holz mit Ausschnitten bestand, in welche Kopf und Hände der Delinquenten gesteckt wurden. Diese Art der Bestrafung, die besonders für liederliche Frauen üblich war, spiegelt sich in einigen heute ausgestorbenen Redewendungen.
   Schon im 15. Jahrhundert ist im übertragenen Sinne die Redewendung bezeugt: seine Geige an einen henken: ihn zum Gespött machen; später: in der Geigen rumführen, die Geige tragen: öffentlich gestraft werden.
   Er liegt (bleibt) immer auf einer Geige: er kommt von seinem Lieblingsthema nicht weg; ebenso Er geigt (klimpert, raspelt) immerzu auf einer Saiten. Entsprechend Es ist die alte Geige: es ist die alte Leier, Das alte Lied, Leier, Lied. Vgl. französisch ›Il serine toujours le même refrain‹ (wörtlich: Er pfeift immer dasselbe Lied).
   Zur Abkehr von solchem Einerlei wird sprichwörtlich gemahnt: ›Man muß eine andere Geige nehmen, wenn man die erste nicht gern hört‹. Ähnlich in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹ (Buch III, Kapitel 24): »Heimlich aber befahl er ihr, sie sollte nur bei ihrer alten Geigen bleiben«.
   Spaßhaft heißt es von einem Hungerleider in einem redensartlichen Vergleich Der ist voll wie die Geigen, die an den Wänden hängen.
   Geige ist in alten Sprichwörtern und Redensarten manchmal ein verhüllendes Wort für die Frau, z.B. Er weiß mit der Geige umzugehen, wenn er sie am (unterm) Arm hat; man muß spielen, wie die Geige will; eine kleine Geige ist mit einem Fiedelbogen nicht zufrieden; du fiedelst auf fremder Geigen Fiedel, fix, Violine.
   Das spielt keine Geige: keine Rolle. Der Himmel hängt voller Geigen Himmel.
   Ferner Baßgeige.

• M. WILLBERG: Die Musik im Sprachgebrauch, in Sprichwörtern, in Redensarten, im Schrifttum, in: Die Muttersprache (1963), S. 201ff.; L. RÖHRICH: Gebärde – Metapher – Parodie (Düsseldorf 1967), S. 55; W. DEUTSCH und G. HAID (Hrsg.): Die Geige in der europäischen Volksmusik (= Schriften zur Volksmusik 3) (Wien 1975).}

Geige als Ehrenstrafe. Die Folter- und Marterwerkzeuge des Nationalmuseums zu München in ihrer Anwendung. Aus: B. Emil König: Ausgeburten des Menschenwahns im Spiegel der Hexenprozesse und der Auto da fé's, Berlin-Schöneberg 1930, S. 16f..
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