Redensarten Lexikon
Feige
Einem die Feige(n) weisen (zeigen): ihn höhnisch zurückweisen, ihn derb verspotten. Unter der Feige ist in dieser Redensart die geballte Faust zu verstehen, aus der der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger – gelegentlich auch beidhändig – dem verachteten Feinde entgegengestreckt wurde. Diese im ganzen Abendland bekannte Handgebärde wird eindrucksvoll in einer Federzeichnung Albrecht Dürers von 1494 dargestellt, die sich in der Albertina in Wien befindet.    Schon bei Aristophanes (5. Jahrhundert v. Chr.) stand der Name ›Feige‹ (sukon) symbolisch sowohl für die weiblichen als auch die männlichen Geschlechtsteile und sukologetín (Feigen lesen) sinngemäß für den Koitus. Die redensartliche Geste, die mit der Hand die Form der Frucht, bzw. eigentlich die der Vulva nachahmt und zugleich auch die Verschränkung der Geschlechtsteile beim Geschlechtsakt andeutet, wirkt durch ihre absichtliche Obszönität in hohem Maße beleidigend.
   Aus der griechischen Antike ist über das Zeigen der Feige als Spottgebärde jedoch noch nichts bekannt. Auch die von der Forschung für die Römerzeit gelegentlich herangezogene Stelle von Sueton über Kaiser Caligula (37-41 n. Chr.), der sie zur Demütigung des von ihm als Weichling verspotteten Cassius Chaerea verwendet haben soll, spricht nur von einer nicht näher beschriebenen obszönen Geste: »... modo ex aliqua causa agenti gratias osculandam manum offerre formatam commotamque in obscaenum modum« (Sueton, Caligula, 56) und ist deshalb als Beleg für die ›Feige‹ zu vage. Besonders viele Belege für das Weisen der Feige (›far la fica‹, mittellateinisch ›facere ficum / ficham‹) sind dagegen seit dem 13. Jahrhundert aus Italien überliefert. Dante gibt an mehreren Stellen seiner Werke über die Anwendungsweise dieser Geste Auskunft, gegen die sogar Verbote erlassen werden mußten, weil sie als äußerst grobe Beleidigung galt. Die redensartliche Wendung, die eng mit der Gebärde verbunden ist, erscheint auch in anderen europäischen Ländern, z.B. in Spanien (›dar figas‹), Portugal (›dar huma figa‹), Frankreich (›faire la figue‹) und in Holland (›iemand de vijg geven‹). In England heißt die Geste ›give the fig‹.
   Ebenso ist die Feige als Hohn- und Spottgebärde bei den Slawen, in Nordafrika und Kleinasien bekannt; bei den Ostjuden ist sie Zeichen der Geringschätzung oder Abweisung: zur Bekräftigung wird die Feige oft auch bespuckt und dann vorgestreckt. Es heißt dann, man habe ›a bespigene Fag‹ (eine bespuckte Feige) gezeigt.
   Die erste Nachricht für das Weisen der Feige in Deutschland findet sich in der Chronik des Heinrich von Erfurt (1. Hälfte des 14. Jahrhunderts) für das Jahr 1178: »Ab antiquissimis temporibus probrosum fuit digitum alicui per modum ficus ostendere«. Im Mittelhochdeutschen ist der Ausdruck ›die vîgen bieten‹ bezeugt. Jedoch ist noch im 16. Jahrhundert die Herkunft der Geste aus den romanischen Ländern bekannt, wie aus einer Stelle in Thomas Murners ›Gäuchmatt‹ (102) hervorgeht.

   Wo ich ein klagt der narrheit an,
   der wolts für ein groß eren han,
   und bot mir ein welsche Figen dran.

Ähnlich in Johannes Paulis ›Schimpf und Ernst‹ (1552): »Vnnd zeiget jhr die feigen, nach gewonheyt der walchen, da sie den Daumen durch zwen finger stossen, das heysst ein feyg«.
   In der deutschen Literatur wird seit dem ausgehenden Mittelalter die Feige als Hohn-, Wut- und Spottgebärde dann erwähnt, wenn das ungehörige Benehmen pöbelhafter, ungebildeter Personen charakterisiert werden soll, besonders in Schwänken, Landsknecht- und Landstörzerbeschreibungen, bei Schilderungen des ländlichen Treibens, aber auch im Volkslied. Eine Fülle von weiteren Belegen für Gebärde und Redensart bieten die Fastnachtsspiele, Schriften von Luther, Sebastian Franck, Johann Fischart, Hans Sachs und Grimmelshausen. Die bildliche Darstellung der Geste erfolgte im späten Mittelalter vor allem bei der Verspottung Christi nach der Dornenkrönung. Der Wortgebrauch ist heute noch spürbar in mundartlichen Versionen wie ›einem den Daumen stecken‹ oder österreichisch ›Ja Feign!‹, ein Zuruf, der einer höhnischen, herausfordernden Verneinung und Abweisung gleichkommt.
   Nicht einmal eine Feige wert sein oder keine Feige um etwas geben: nichts wert, völlig bedeutungslos sein; nicht das Geringste für etwas (jemanden) geben wollen. Diese Redensarten sind eine Umschreibung für nichts und drücken den höchsten Grad von Verachtung und Geringschätzung aus. Vgl. englisch ›I don't care a fig for it‹. Shakespeare brauchte die Wendung häufig, z.B. in ›Wives of Windsor‹ sagt Merry: »A fico for the phrase«.
   Eine Feige machen: im verborgenen, meist heimlich in der Tasche oder unter der Schürze, eine abwehrende Geste gegen den bösen Blick und schadenbringende Dämonen machen. Die älteste bis jetzt mit Sicherheit festgestellte literarische Quelle aus der Antike für den Gebrauch der Feigengeste stellt sie als Mittel zur Abwehr von Geistern vor. Dies ist die Stelle in Ovids (gestorben um 17 n. Chr.) ›Fasti‹ (5, 433f.): »signaque dat digitis medio cum pollice iunctis, occurrat tacito ne levis umbra sibi« (... und er macht ein Zeichen dadurch, daß er seinen Daumen mitten durch die anderen Finger [der Faust] hindurchsteckt, damit sich ihm in seinem Schweigen kein leichter Schatten in den Weg stellt). Dieser allerdings noch nicht als Feige benannte Fingerzauber wird sonst in der Antike nicht erwähnt, und ob es sich auf den zeitgenössischen bildlichen Darstellungen um die Feige oder um die Faust handelt, kann nicht entschieden werden, da Details wie der Daumen meist nicht mehr klar sichtbar sind. Eine der Feige ähnliche Figur empfiehlt schon der Talmud (vor 500 n. Chr.) gegen den bösen Blick und die Feige selbst wird dann im ›Sefer chassidim des Juda hechassid‹ (um 1200) erwähnt.
   Sonst finden sich im abendländischen Schrifttum erst spät weitere Nachrichten über die Feige als apotropäische Geste. In Giovanni Battista Basiles Märchensammlung ›Pentamerone‹ (1674) heißt es in der 5. Ekloge von ›Terpsichore‹:

   Frate, le voglio fare
   Na bella fico sotto a lo mantiello,
   Azzo che lo mal 'nocchio no la pozza.

Noch heute wird die Feigengeste in Italien, Spanien, Serbien, England und Schottland als übelabwehrend angesehen, in England gilt sie als besonders wirksam bei jeder Art von Zauberei. Hielt man in Deutschland eine Frau für eine Hexe und fürchtete man ihren bösen Blick oder das Beschreien der Kleinkinder, so wies man ihr die Feige.
   In China und Japan ist die Feigengeste als apotropäisches Mittel ebenfalls belegt. So macht z.B. eine Frau in Japan heimlich die Feige (menigiri) in ihrem Ärmel, um sich gegen eventuelle Übergriffe eines angetrunkenen Mannes zu schützen.
   Bei uns ist die Feige auch mit abergläubischen Redensarten verbunden. Wenn z.B. einem Kind ein Kleidungsstück am Körper genäht wird, sagt man: ›Mach eine Feige, damit ich dir nicht den Verstand vernähe!‹. Auch die bildliche Darstellung der Feige hatte beschützende Wirkung, davon zeugen die zahlreichen Amulettfunde, besonders aus Italien, wo dies wohl die beliebtesten Amulette gewesen sind. Sie wurden vor allem von verheirateten Frauen als Anhänger an Ketten gegen das Behextwerden getragen. Solche ›manufica‹ hießen in Deutschland auch ›Neidfeige‹ oder ›Verschreifeige‹, und ihre magische Gestalt galt außerdem für wichtig bei Gegenzauber und Besprechungen.
   Aus der Volkssprache selbst erfahren wir nichts darüber, wie die Anwendung der Feige als magisches Mittel verstanden wird. Hinsichtlich der verschiedenen Erklärungsversuche sei hier in Kürze insbesonders auf Rettenbeck (1951) S. 36ff. verwiesen.
   Die Feigengeste galt aber auch als Verständigungsmittel zwischen Mann und Frau hinsichtlich einer gewünschten geschlechtlichen Vereinigung, vor allem in Neapel. Das Feigenamulett als Anhänger dient auch in einem oberbairischen Brauch bei der Liebeswerbung zur Verständigung: der Bursche schickt dem Mädchen, das er liebt, einen Feigenanhänger als Angebinde und Anfrage, ob sie mit ihm eine Verbindung eingehen wolle. Nimmt sie die Werbung an, schickt sie ihm dafür ein silbernes Herz und trägt von da an die Feige des Bräutigams an ihrem Brustgeschnür. Gleichzeitig dient diese Feige als Schutzmittel gegen die Unfruchtbarkeit. Das methodische Problem bezüglich der Geschichte und Systematik dieser von Anfang an komplexen Gebärde liegt neben ihrer langen Überlieferung vor allem in ihrer offenkundigen Mehrdeutigkeit, bei der es schließlich immer wieder von der jeweiligen Gebrauchssituation abhängt, was sie bedeuten kann. Rettenbeck unterscheidet fünf verschiedene Gebrauchsbedeutungen der Feigengebärde: sie ist erstens die Darstellung von Gefühlsempfindungen wie Wut, Haß, Zorn, Unwillen. Die Feigengebärde ist durch den mit ihr verbundenen ekstatischen Zustand gleichzeitig ein Mittel des Fluches; zweitens ist sie der Ausdruck intentionaler Gefühle gegenüber einem anderen, den sie höhnen, verspotten, schmähen oder schelten will; drittens ist die Geste ein Mittel zweckhafter Verständigung, sie ist eine Antwort heischende Anfrage nach dem Einverständnis zur geschlechtlichen Vereinigung; viertens schützt sie als Aphrodisiakum vor bösen Einflüssen und dient bei Zauber und Gegenzauber; fünftens gewinnt die Geste feste Gestalt in der bildlichen Darstellung, die genauso wirksam wie sie selbst oder das bloße Wort und die Redensart ist.
   Der Ausdruck ›Feige‹ hat auch getrennt von der Gebärde in mundartlichen Wendungen Eingang gefunden. So sagt man in Moers: ›Dat het de Schmack verloren wie de Jong sin Feien‹. Ihren antiken symbolischen Sinn behielt die Feige auch in der deutschen Sprache und sie bedeutet derb ›Vagina‹ und übertragen ›Weibsbild‹ bzw. ›Prostituierte‹. ›Mit der Feig'n hausieren‹ ist die vulgäre Wiener Redensart für sich prostituieren und ›a Feig'n-Tandler‹ ist ein ›Schürzenjäger‹, ›Hurenbock‹. ›Die Feige andrehen‹ steht für Defloration und ›angedrehte Feige‹ für ein entjungfertes oder geschwängertes Mädchen. Eine ›dürre Feige‹ ist eine magere Frau.
   Der Handel bietet gerne gedörrte Feigen an, von denen man glaubte, daß sie als Aphrodisiakum »die Natur stärken«.
   Schon die Griechen und Römer bezeichneten mit ›Feige‹ auch Geschwüre, besonders an den Geschlechtsteilen und am After. Entsprechend hieß es mittelhochdeutsch ›daz vîc‹ und später dann auch Feigwarze.
• M. RACHEL: Einem die Feigen weisen, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 6 (1892), S. 53f.; R. SPRENGER: Einem die Feige zeigen, in: Zeitschrift für den Unterricht 7 (1893), S. 570; F.S. KRAUSS: Erotik und Skatologie im Zauberbann und Bannspruch, in: Anthropophyteia 4 (1907), S. 160-226; A. DE COCK: Faire la figue, in: Volkskunde 19 (1907/08), S. 138f.; S. SELIGMANN: Der böse Blick und Verwandtes, 2 Bände (Berlin 1910); AIGREMONT: Volkserotik und Pflanzenwelt I (Halle o.J.), S. 76ff.; E. VILLIERS: Amulette und Talismane und andere geheime Dinge. Bearb. von A.M. Pachinger (Berlin- München-Wien 1927); Jüdisches Lexikon, begründet von G. HERLITZ, II (Berlin 1927, Nachdr. Königstein/Ts. 1987), Spalte 612f.; MESCHKE: Artikel ›Feige‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens II, Spalte 1305-1310; H. VORWAHL: Zum Ursprung des ›Feigenblatts‹, in: Rheinisches Museum für Philologie N.F. 79 (1930), S. 319f.; L. RETTENBECK: ›Feige‹. Wort-Gebärde-Amulett (Diss. München 1951); L. Schmidt: Die volkstümlichen Grundlagen der Gebärdensprache, in: Beiträge zur sprachlichen Volksüberlieferung 2 (Berlin 1953), S. 233-249; V. BUCHHEIT: Feigensymbolik im antiken Epigramm, in: Rheinisches Museum für Philologie N.F. 103 (1960), S. 200-229; L. RÖHRICH: Gebärdensprache und Sprachgebärde, S. 129f., 143f.; O. GOETZ: Der Feigenbaum in der religiösen Kunst des Abendlandes
(Berlin 1965); L. HANSMANN und L. KRISS- RETTENBECK: Amulett und Talisman (München 1966); L. RÖHRICH: Gebärde – Metapher- Parodie, S. 19ff.; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Teil 3: Pflanzen (Bonn – Bad Godesberg 1978), S. 1070-1084; TH. HAUSSCHILD: Der böse Blick (Berlin 2, 1982).

Die Feige weisen. Handstudie von Albrecht Dürer, Federzeichnung 1494, Albertina, Wien.
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