Redensarten Lexikon
Federlesen
Nicht viel Federlesens machen: nicht viel Umstände machen; ähnlich gebraucht wie die Wendungen ›Kurzen Prozeß machen‹, ›Kurze fünfzehn machen‹, ›Kurze Geschäfte machen‹, niederländisch ›korte metten machen‹.    Schon im Mittelalter galt es als niedrige und kriecherische Schmeichelei, Höhergestellten die Federchen von den Kleidern zu lesen, die ihnen angeflogen waren. Daher die ältere Redensart einem die Federn lesen (oder klauben): ihm schmeicheln, ihm gefällig sein; z.B. bei Luther: »ein ubertreter und schalksheilige kan fedder lesen und ohren krawen, reden und thun was man gern höret«. Dazu die Spott- und Schimpfworte spätmittelhochdeutsch vederkluben = heucheln; frühneuhochdeutsch Federklauber, Pflaumenstreicher = schmeichler, Heuchler. Im 15. Jahrhundert heißt es in einem Fastnachtsspiel: »Du Federklauber, Orenkrauer«; bei Sebastian Franck (I, 236a) »Liebkoser vnnd fäederleser, die jren herren die oren melckend, lupffend vnd vnder alle ellenbogen küßlin schübend«; Geiler von Kaysersberg zählt auf: »adulatores nominan tur multis nominibus: Den falwen hengst streichen: kutzen streicher: kreidenstreicher: federleser: schmeichler«. In einem Holzschnitt von Hans Weiditz finden wir alle für die Schmeichler sprichwörtlich gewordenen Tätigkeiten zusammen abgebildet. Der Patrizier, der sich selbst beurteilt nach dem, was andere ihm sagen, steht selbstbewußt in der Mitte des Bildes. Die goldene Kette um seine Schultern ist sehr dick, der Rosenkranz, der seine Frömmigkeit dartun soll, ist riesig. Vor ihm steht der junge Mann, der ihm ›das Hälmchen streicht‹, ihm also ›Honig ums Maul schmiert‹, der eine große Zahl von Insekten anlockt, d.h. von weiteren Schmarotzern, die seinen Kopf umschwirren. Links neben dem umschwärmten Würdenträger sehen wir einen Mann, der, sich in tiefem Bückling niederbeugend, mit seiner Linken dem Patrizier den Rücken streichelt und mit der Rechten Federn von dem Boden liest. Es ist der sprichwörtliche ›Faltenstreicher‹ und ›Federleser‹ (vgl. Fraenger: Altdeutsches Bilderbuch, S. 113).
   Später sah man dann das Federlesen als närrische Tätigkeit an, z.B. heißt es bei Geiler in den Predigten über Sebastian Brants ›Narrenschiff‹: »Wann der Narr neben ir sitzet, so lieset er ir helmle oder federlin ab«. An seinem Rock kein Fläumchen oder Fäserchen zu dulden, war ein Zeichen übertriebener und lächerlicher Sauberkeit; Federlesen erhält also den Sinn von ›unnützer Zeitverschwendung‹, was zum heutigen Sinn der Redensart führt: nicht viel Umstände machen. Schon in der ›Flöhhatz‹ Johann Fischarts ist sie 1577 belegt: »Vnd machen nicht vil federlesens«.
   Der nach viel berechtigte Genetiv tritt verschiedentlich auch auf, wo er überflüssig ist, z.B. in den Gedichten A.F.E. Langbeins (Band 2, 1813, S. 86): »Was macht ihr nun so lange Federlesens?« oder in Thomas Manns Roman ›Lotte in Weimar‹ (Frankfurt/M. 1947, S. 168): »... von nüchtern resolutem Verstande, der kein Federlesens machte«.
   Richtig dagegen bei Goethe im ›Westöstlichen Diwan‹: »Nicht so vieles Federlesen!« Mundartlich erscheint das Wort auch mit Bedeutungswandel, z.B. mecklenburgisch ›Met em is keen got Fedderläsen‹, mit ihm ist nicht zu spaßen. Im allgemeinen tritt die Redensart jedenfalls nur in der verneinenden Form ›Nicht viel Federlesen(s)‹ auf, so auch in Schillers ›Fiesko‹ (V, 10). Vgl. auch Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 5 und Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 27.

• A. KUNTZEMÜLLER: Zur Geschichte des substantivierten Infinitivs im Neuhochdeutsch, in: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 4 (1903), S. 58-94; ANONYMUS: ›Nicht viel Federlesens machen‹, in: Sprachpflege 10 (1961), S. 91.}

Federn lesen – Honig ums Maul schmieren. Holzschnitt des Petrarca-Meisters, Augsburg 1532, aus: Walter Scheidig: Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters, Berlin 1955.
Federnstreicher. Detail aus einem Bilderbogen aus Antwerpen, aus: L'imagerie populaire des Pays- Bas.
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