Redensarten Lexikon
Faden
Auf antike Wurzeln zurück geht die Redensart: Es hängt an einem (seidenen) Faden: die Lage ist kritisch, bedrohlich oder lebensgefährlich, griechisch ek trixos krematai, lateinisch z.B. bei Ennius (Fragm. 109): »Tota Etruria fillo pendebit«; vgl. französisch ›ne tenir qu'à un fil‹; englisch ›to hang by a (thin) thread‹; niederländisch ›aan een zijden draad hangen‹. Doch braucht unsere Redensart nicht notwendigerweise auf die antike Erzählung vom Damoklesschwert zurückzugehen, denn noch heute ist bei uns in vielen Volkssagen von dem ›Mühlstein am (seidenen) Faden‹ die Rede. Ebensogut kann hier die Vorstellung vom Lebensfaden mit hineinspielen, die ebenfalls schon dem griechischen wie auch dem germanischen Altertum bekannt ist: die Schicksalsgöttinnen spannen jedem Menschen seinen Lebensfaden und schnitten ihn bei seinem Tode durch (›Einem den Lebensfaden abschneiden‹; vgl. die Vorstellung vom ›Lebenslicht‹). Dasselbe Bild wird beibehalten in niederländisch ›iemands levensdraad afsnijden‹, französisch ›couper (trancher) le fil de la vie à quelqu'un‹ (nur gehobene Sprache), englisch ›to cut the thread of a person's life‹. Ausgeschmückt begegnet uns das Bild bei Wilhelm Busch:
   In der Wolke sitzt die schwarze
   Parze mit der Nasenwarze,
   Und sie zwickt und schneidet, schnapp!!
   Knopp sein Lebensbändel ab.

Im Volksglauben ist die Vorstellung des Lebensfadens ziemlich selten erhalten; die Redensart wurzelt mehr in der gebildeten Schicht als im Volk. In Schnabels ›Insel Felsenburg‹ heißt es: »ich wuste gewiß, dasz mein Leben an einem seidenen Faden hinge«.
   Die Redensart vom roten Faden, der sich durch alle Ausführungen eines Redners hindurchzieht und den eigentlichen Grundgedanken meint, der alles zusammenhält, ist dagegen nicht volkstümlichen Ursprungs, sondern ein viel gebrauchtes und deshalb anonym gewordenes Zitat aus Goethes ›Wahlverwandtschaften‹ (2. Teil, Kapitel 2). Bevor Goethe sie dort zum ersten Mal anwendet, muß er einen Hinweis auf ihre Herkunft einfügen: »Wir hören von einer besonderen Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören. Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet«. Der hier geschilderte Brauch besteht tatsächlich seit 1776 in Englands Flotte. Goethe zitiert den ›roten Faden‹ noch einmal in den ›Wahlverwandtschaften‹ (2,4) zur Einleitung eines Stücks von Ottiliens Tagebuch: »Manches Eigene von innigstem Bezug wird an dem roten Faden wohl zu erkennen sein«. Vgl. französisch ›fil conducteur‹: Leitfaden.
   Zahlreiche Redensarten sind von der Tätigkeit des Spinnens oder Webens abgeleitet: seinen Faden spinnen: auf seine Weise dahinleben; vgl. französisch ›faire sa pelote‹ (wörtlich: sein Knäuel bilden), im Sinne von Geld auf zum Teil unehrliche Art anhäufen; einen guten Faden spinnen: eine Sache gut ins Werk setzen; Was spinnt denn der für einen Faden?: Wie führt er sein Leben? Die beiden spinnen keinen guten Faden zusammen: sie vertragen sich schlecht; es geht zu Faden: es geht tüchtig und fleißig voran, auch: es geht heiß her bei einem Streite, es geht hoch her bei einem Fest; die Wendung stammt vom Webstuhl, ebenso wie die folgende: zu Faden schlagen; sie bedeutet ursprünglich die Kette einrichten. Beim Schneider bedeutet die gleiche Wendung: ein Kleidungsstück zunächst mit Heftfäden grob zusammenheften; daher auch ihre übertragenene Anwendung im Sinne von.: etwas im Groben fertigmachen; den Faden haben: auf dem richtigen Wege sein, den Faden verlieren: aus dem Konzept kommen, vgl. französisch ›perdre le fil‹, verbunden mit Goethes ›rotem Faden‹ auch: den roten Faden verlieren, dagegen: den roten Faden wiederfinden: zum eigentlichen Thema zurückckommen, ähnlich den Faden wieder aufnehmen, vgl. französisch ›reprendre le fil‹, den verlorenen Faden wieder anspinnen. Der Faden ist (ab)gerissen: es tritt eine plötzliche Gesprächspause ein.
   Keinen trockenen Faden am Leibe haben: durch und durch naß sein; vgl. französisch ›être trempé jusqq'aux os‹ (wörtlich: bis auf die Knochen durchnäßt sein).
   Einen nach Strich und Faden durchhauen: ihn tüchtig, gründlich verprügeln. Keinen guten Faden an etwas lassen: nur Schlechtes von etwas sagen. Die beiden letzten Redensarten stammen aus der Zunftsprache der Weber: der Meister hatte das Meisterstück des Gesellen ›nach Strich und Faden‹ zu prüfen, d.h. woraus und wie es gewebt war; fiel das Urteil hart aus, so ließ er ›keinen guten Faden‹ an dem Stoff, d.h. er fand den Faden nicht gut genug.
   ›Fadenscheinig‹ ist eigentlich ein abgenutzter Wollstoff, an dem man die einzelnen Fäden erkennen kann, nicht vor dem 19. Jahrhunderts übertragen: fadenscheinige Gründe: Grunde, die nicht viel taugen, eine fadenscheinige Täuschung: eine Täuschung, die offen zutage liegt, eine Ausrede, die leicht zu durchschauen ist; vgl. französisch ›C'est cousu de fil blanc‹
(Es ist mit weißem Faden genäht).
   ›Fadengerade‹ heißt eine grundehrliche und offenherzige Natur, die so gerade vorwärts handelt und so gerade herausredet wie ein straff gespannter Faden.
   Die Redensart Alle Fäden (fest) in der Hand haben stammt wohl vom Marionettentheater.
   Da beißt keine Maus einen Faden ab Maus.

• G. RAUTER: ›Der rote Faden‹, in: Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins 17 (1902), S. 103-105; W. ALY: Artikel ›Lebensfaden‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens V, Spalte 965-967; R.W. BREDNICH: Volksglaube und Volkserzählungen von den Schicksalsfrauen (Folklore Fellows Communications 193) (Helsinki 1964); Strafjustiz in alter Zeit (Rothenburg 1980), S. 311-312; K. RANKE: Artikel ›Ariadne- Faden‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 773-774; M. BELGRADER: Artikel ›Faden‹, in: Enzyklopädie des Märchens IV, Spalte 781-785.}

Einen (Keinen guten) Faden zusammen spinnen (›De ene rokkent wat de andere spint‹). Detail aus dem Sprichwörterbild von P. Bruegel, 1559.
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