Redensarten Lexikon
Eselsbrücke
Einem eine Eselsbrücke bauen: einem mit erheblichen Hilfsmitteln eine Aufgabe erleichtern. In Österreich versteht man aber unter Eselsbrücke den Lehrsatz des Pythagoras, in gleicher Bedeutung gebraucht der Schwabe Justinus Kerner das Wort: »Mein Bruder Carl mühte sich ab, mir Unterricht in der Mathematik zu geben; aber er konnte mich nicht weiter, als zur sogenannten Eselsbrücke, dem pythagoräischen Lehrsatze bringen« (Bilderbuch [1849], S. 285); vgl. französisch ›Pontaux-anes‹, in der gleichen Bedeutung.    Die Redensart an der Eselsbrücke stehen bleiben bedeutet demnach: bei der ersten Schwierigkeit versagen, sich nicht weiterwagen. In diesem Sinne, englisch: ›He knows the operation ... to be the pons asinorum of incompetent workmen‹ oder ›This bridge was the pons asinorum of the French which [the] English never suffered them to cross‹: unüberwindliches Hindernis.
   Die Eselsbrücke treten: gegen die eigene Unwissenheit ankämpfen. schon 1735 schrieb J. Chr. Günther (›Gedichte‹, 462) von einem »Schulfuchs, der die Eselsbrücke tritt«. In C.F. Haubers ›Chrestomathia‹ (Tübingen 1820, S. 1 95) wird ›pons asini‹ als Name für den fünften Lehrsatz des Euklid aus dem ›Euclides reformatus‹ des Ang. de Marchetti angeführt, neben einem anderen ebenso bezeichnenden Namen: ›fuga miserorum‹. Die Namen werden aus den Schwierigkeiten erklärt, die der Beweis gerade dieses Satzes den Anfängern machen soll. In der Mathematik also wird ein Lehrsatz, der dem minder begabten Schüler die ersten ernstlichen Schwierigkeiten bereitet, sei es nun Euklid oder Pythagoras, ›pons asini‹ genannt.
   Der Schulausdruck ist zweifellos aus einer Vorstellung der mittelalterlichen volkstümlichen Zoologie abzuleiten, die ihrerseits auf Plinius zurückgeht. Plinius behauptet, daß der Esel keine Brücke überschreite, durch deren Belag er das Wasser sehen könne: »nec pontes transeunt per raritatem eorum translucentibus fluviis« (›Naturalis historia‹ 8,68). Diese Erzählung wurde dann immer wieder übernommen. So heißt es in Konrad von Megenbergs ›Buch der Natur‹ (120,33): »So der esel über ain pruk schol gen, siht er dann in daz wazzer durch die pruk, er get nicht leiht hin über«. Und Gesner schreibt in seinem Tierbuch von 1582: »Wo er über brugk gon sol, die luck und durchsichtig, also, dasz das wasser darunder hinfliessend gesehen werden mag, das ist müy, sol man jn darüber nötigen« (41b). Es ist nur eine vermeintliche Gefahr, die den Esel abschreckt, also ein Zeichen von Dummheit, daß der Esel nicht über eine solche Brücke geht. So erklärt sich leicht, wie ›pons asini‹ zu der Bedeutung kommt, die in der Anwendung auf den fünften Lehrsatz des Euklid hervortritt: Schwierigkeit, nicht für den Einsichtigen, nur für den Dummen.
   Die lebendige Anschauung, die im Mittelalter mit der Vorstellung der Eselsbrücke verbunden war, ging der Neuzeit verloren; die alte sinnvolle Beziehung auf die Natur des Tieres machte unbestimmten Vorstellungen Platz. Wenn jemand heute bei dem Gebrauch des Wortes ›Eselsbrücke‹ im Sinne von ›Hilfsmittel für Dumme, Träge‹ sich überhaupt etwas Bestimmtes vorstellt, so wird er sich eine Brücke denken, die gerade für einen Esel paßt, d.h. bequem ist, also genau das Gegenteil der Vorstellung, die der ursprünglichen Anwendung zugrunde lag. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verbindet die Schülersprache mit dem Begriff Eselsbrücke daher die Vorstellung einer Gedächtnisstütze. Darunter fällt der hübsche Merkvers für die lateinischen Wiederholungszahlen (semel, bis, ter, quater): ›In die Semmel biß der Kater, einmal, zweimal, dreimal, viermal.‹
   Im Rheinland nennen die Schüler unerlaubte Hilfsmittel, vor allem heimliche Übersetzungen fremdsprachlicher Texte ›pons‹ und bilden dazu ein Verbum ›ponzen‹; vgl. französisch ›pomper‹ (Schülersprache) und ›pompe‹ (Pons). Daß mit ›pons‹ der ›pons asini‹ gemeint ist, unterliegt keinem Zweifel. Da wir es hier mit einem Ausdruck der Schule zu tun haben, und zwar der gelehrten Schule, finden wir die Eselsbrücke auch im Redensarten-Gut anderer europäischer Völker wieder. Vgl. niederländisch ›Het is eene ezelsbrug‹. Die Bedeutung ›bequemes Hilfsmittel für Dumme und Träge‹ fehlt allerdings im Englischen, Französischen und Spanischen; sie ist ja auch nicht ursprünglich, wie wir festgestellt haben. Im Französischen vollzieht sich eine Umbildung: Das Schwierige, weil es eben nur für Dumme schwierig ist, wird zu etwas Leichtem, Bequemem.
   Hart und unangenehm kann es werden, eine gegenständliche »Eselsbrücke für langweilige Besuche und schlechte Menschen« zu eskamotieren. So in L. Tiecks (1773-1853) Novelle ›Des Lebens Überfluß‹, deren bedürfnisloser Held – in Abwesenheit seines Vermieters – notgedrungen die hölzerne Treppe im Innern des Hauses nach und nach abbricht und verheizt.

• R. MEISSNER: Eselsbrücke, in: Zeitschrift des Vereins für rheinisch und westfälische Volkskunde 14 (1917), S. 145ff.; H. KÜPPER: Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache. II (Stuttgart 1983), S. 760f.
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