Redensarten Lexikon
Eiertanz
Einen wahren Eiertanz aufführen: in einer schwierigen Situation vorsichtig taktieren, sich sehr umständlich und gewunden ausdrücken; vgl. französisch ›marcher sur des œufs‹ (wörtlich: auf Eiern gehen): eine Sache vorsichtig anfassen, aus Angst, man könnte etwas verderben.    Die bisherige Forschung hat die Redensart lediglich als Hinweis dafür betrachtet, »daß ein Eiertanz früher allgemein bekannt gewesen sein muß«. Doch schon K.M. Klier (1934) fand es »merkwürdig«, daß in der »umfangreichen deutschen Tanz- und Volkstanzliteratur keine einzige Andeutung über den Eiertanz« vorkommt und wir »allein bei J.W. Goethe« einen Eiertanz sowie eine Beschreibung davon finden. Als Belege dazu steuerte Klier selbst den Hinweis auf zwei niederländische Bilder bei: ein Ölgemälde von Pieter Aertsz (1557) und einen Kupferstich von Johannes de Bry (1611), die Leopold Schmidt 1947 durch die Veröffentlichung einer zeitgenössischen Beschreibung dieses Eiertanzes ergänzte. Es ist dies die in München 1617 erschienene, von Joachim Meichel ins Deutsche übertragene lateinische Predigtsammlung des bayrischen Hofpredigers Hieremias Drexel ›Himmel / Die Ewig Bleibstatt / aller Seeligen etc.‹, worin er ganze Abschnitte des 1615 in Löwen erschienenen »Lob des Eies« (›Ovi encomium, quo summum et unicum naturae miraculum describitur‹) des niederländischen Humanisten Eurycius Puteanus (van der Putten, geb. 1574) aufgenommen hat: »In Niderland pflegt man den Ayrtantz also zu halten: Knaben oder Maydlein tantzt jedliches auff gewisse manier bsonder und allein umb das Ay herumb, welches auff dem boden ligt mit einer hiltzenen Schüssel bedeckt, dise Schüssel rücken sie underm herumbtantzen mit Füssen vom Ay hinweg und treibens Tantzweiss umb das Ay herumb. Nochdem sie alles, was zum Tantz gehörig gethon, decken sie das Ay widerumb darmit zu. Wer es bricht oder beschädiget, muß zur straff das zerbrochene Ay essen«. L. Schmidt sieht den Eiertanz im größeren Zusammenhang der »Ei- Symbolik«: das zunächst verborgene Ei muß »entdeckt« werden, und stuft den Tanz im Bereich des Jahresbrauchtums ein. Örtlich hält er ihn für »niederländisch-engbegrenzt«. Vgl. auch die Darstellungen von Pieter Bruegel, Franz Huys und in der Kathedrale von Aarschot. seiner Meinung nach ist aber genau dies jener Eiertanz, »der eigentlich gemeint ist, wenn man redensartlich davon spricht«. Denn – betont er – »der rein artistische, den etwa Goethe im ›Wilhelm Meister‹ beschrieb, war und ist immer schautanzgut der fahrenden Künstler und der Zigeuner gewesen und hätte im Volkstanz kaum besonderen Widerhall gefunden«.
   Die Beleglage bestätigt, was schon Klier auffiel: Wir finden vor Goethe keine deutsche Erwähnung irgendeines Eiertanzes. Das Wort ›Eiertanz‹ oder etwa der Ausdruck ›Auf Eiern tanzen‹ o.ä. findet sich weder in Caspar Stielers ›Teutschem Sprachschatz‹ (1691) noch beispielsweise in Adelungs umfangreichem Wörterbuch (1793 bzw. 1801). Dafür aber taucht die Formulierung ›den Eiertanz tanzen‹ 1795 bei Goethe (›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹) gleich wiederholt auf: »sie (Mignon) weigerte den Eiertanz zu tanzen« (2,4) und »Der Alte sollte verschiedene Lieder (...) singen, und Mignon darauf den Eiertanz tanzen« (3, 6). Diesen Eiertanz beschreibt Goethe so (2,8): »Künstlich abgemessen schritt sie (Mignon) nunmehr auf dem Teppich hin und her, und legte in gewissen Maßen die Eier aus einander (...) sie verband sich die Augen (...) und fing (...) ihre Bewegungen an, indem sie Tact und Melodie mit dem Schlage der Castagnetten begleitete. Behende, leicht, rasch führte sie den Tanz. Sie trat so scharf und so sicher zwischen die Eier hinein, bei den Eiern nieder, daß man jeden Augenblick dachte, sie müsse eins zertreten oder bei schnellen Wendungen das andere fortschleudern. Mit nichten!«
   Grimms ›Deutsches Wörterbuch‹ bezieht sich 1862 ausdrücklich auf Goethe und gibt für ›Eiertanz‹ an: »mit verbundenen Augen zwischen Eiern«. Im selben Jahr erwähnt Albert Czerwinski in seiner ›Geschichte der Tanzkunst‹ (Leipzig 1862, Neudruck 1975) den »bekannten Eier- und Strohtanz«, den »die Mädchen im südlichen Deutschland auf Kirmes- und Vogelschießfesten produciren«, ohne jedoch diesen Eiertanz näher zu beschreiben. Gemeinsam ist all diesen Belegen, daß sie das Wort ›Eiertanz‹ als Bezeichnung für einen konkreten Tanz verwenden: es findet sich in ihnen kein Anhaltspunkt für eine übertragene, bildliche Bedeutung
   1863 erschien in der ›Frankfurter Latern‹ unter dem Titel ›Politischer Eiertanz‹ eine Karikatur über Bismarck, der als Ballerina gekleidet, mit tief gesenkten oder sogar geschlossenen Augen zwischen auf dem Boden liegenden Eiern, die mit ›Verfassung‹, ›Gesetz‹ etc. beschriftet sind, Castagnetten schlagend hindurchtanzt. In dem darunter stehenden Gedicht wird die bildliche Bedeutung des Ausdrucks erklärt:

   Und den politischen Eiertanz
   Hält Bismarck sehr von Nöthen,
   Er glaubt, sie blieben alle ganz
   Und keines ging zertreten,
   Zertreten, nein! wie Ihr ja seht,
   Dieweil er jedes – Recht – umgeht.

   Die Übereinstimmung dieser Zeichnung mit Mignons Eiertanz bei Goethe, einschließlich der Castagnetten, ist augenfällig. Die an Goethe anklingende Wendung »Zertreten, nein!« verstärkt diesen Eindruck zusätzlich. Zwei Jahre später verwendet die ›Berliner Zeitung‹ (1865) den Ausdruck in der von Goethe vorgegebenen sprachlichen Formulierung ›den Eiertanz tanzen‹: »Das neue Cabinet soll den Eiertanz tanzen; soviel wie möglich neben der Verfassung regieren, aber diese so wenig wie möglich verletzen«, wobei der gemeinte übertragene Sinn sich ebenfalls aus dem weiteren Text erhellt. Trotzdem kennt z.B. Sanders' Wörterbuch im selben Jahr ›Eiertanz‹ noch bloß in der konkreten Bedeutung als einen dem Flaschentanz ähnlicher Tanz, und selbst Wanders große Sprichwortsammlung enthält die Redensart vom Eiertanz weder unter ›Ei / Eier-‹ (1867) noch unter ›Tanz / tanzen‹ (1876). Erst 1880 führt Wander in seinem Nachtragsband die Redensart auf: »Eiertanz. Den Eiertanz tanzen. Sich geschickt zwischen zwei Gegensätzen halten, ohne direct einen zu verletzen«.
   1899 gebraucht ›Die Neue Zeit‹, eine von Klaus Kautsky redigierte sozialdemokratische Wochenschrift in Stuttgart, die Redensart bereits in der heute üblichen Form ›Eiertanz aufführen‹ und zitiert sogar den Begriff – angeblich von Friedrich Naumann – »Eiertanzrede«, der nun als Beleg für die endgültige Loslösung und Verselbständigung der übertragenen Bedeutung des Ausdrucks von dem ursprünglichen Wortsinn angesehen werden kann.
   Die Tatsache, daß die landschaftlichen Sammlungen wie auch die niederländischen Wörterbücher (›een eierdans uitvoeren‹) – das Wort ›Eiertanz‹ noch immer überhaupt nicht oder erst in neuerer Zeit verzeichnen, bestärkt den Eindruck, daß die Redensart nicht von dem »altertümlichen« niederländischen Eiertanz herstammt, der im Umtanzen eines einzigen Eies bestand. Der Entstehungsort der Redensart dürfte deshalb wohl in journalistisch-politischen Kreisen zu suchen sein.
   Eine mundartlich auch verbreitete Form von Eiertanz gebraucht dagegen die Schriftstellerin Luise Rinser: »ich werde auf Eiern tanzen« in der Bedeutung von ›ich werde sehr vorsichtig sein‹. Diese Form begegnet uns auch in dem Sprichwort ›Auf Eiern tanzen und mit Weibern umgehen, muß gelernt werden sieben Jahre und einen Tag‹ (schon bei Simrock 1846, dann im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm 1867).
   E. Bornemann (1971) verzeichnet ›Eiertanz‹ in der Bedeutung von Koitus, wobei ›Eier‹ für Hoden stehen ( Ei): »Schließlich ist aber noch auf eine Art des Eiertanzes aufmerksam zu machen, bei der die Eier selber tanzen müssen, wie die beim (Oster-) Eierwerfen gesungenen Lieder ausweisen (...)
   Häle Bumeranze,
   Die Aier misse danze!
   Schmeiße mer zu houch,
   Krie'n die Aier e Loch.«


• O. LADENDORF: Schlagwörterstudien, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht, 24 (1910), S.473-481; K.M. KLIER: De Eierdans, in: De Volksdansmare (Oosterbeek) 2 (1934), S. 117-119; ders.: Der Eiertanz, in: Deutsche Volkskunde 2 (1940), S. 86ff.; H.V.D. AU: Das Volkstanzgut im Elsaß, in: Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 15 (1941), S. 14-25; DERS.: Zum Eiertanz, in: Das Deutsches Volkslied 45 (1943), S. 14f.; L. SCHMIDT: Der Eiertanz und seine Ausführung, in: Volkslied – Volkstanz – Volksmusik 48 (Wien 1947), S. 26-28; H.M. ENZENSBERGER: Journalismus als Eiertanz, in: ders., Einzelheiten I (Frankfurt/M. 1962); V. NEWALL: An Egg at Easter (London 1971); K. GÖBEL: Das Summenformel-Spiel. Zur Stellung eines Wettspiels zwischen Osterbrauch und Rechenbuchillustration (Kulturgeschichtliche Forschungen 8) (München 1987).}

Einen wahren Eiertanz aufführen. Detail aus einem Kupferstich von J.B. Vrints nach de Vos.

Einen politischen Eiertanz aufführen. Karikatur auf Bismarck.
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