Redensarten Lexikon
Dach
Im Mittelalter war das Abdecken des Daches eine strafrechtliche Maßnahme gegen Friedlose. Den Verbrecher durfte kein Dach mehr schützen, bevor er sich dem Richter gestellt hatte. Nach Ablauf der Frist für die freiwillige Herausgabe eines Verbrechers zogen die Gerichtsdiener aus, stiegen dem Hausbesitzer, der ihn trotz Androhung einer Strafe beherbergt hatte, aufs Dach, deckten es ab und ließen den Himmel ins Haus hinein, denn ›vogelfrei‹ sollte der Verbrecher von nun an sein. Das gab der Obrigkeit das Recht, ihn im Haus zu verhaften, da ihn nun kein Dach mehr schützte. Aus diesem Bereich stammen verschiedene Sprichwörter und Redensarten wie: Jemandem das Dach abdecken, Kein Dach mehr über dem Kopf haben: heimatlos, schutzlos, ungeborgen sein. Einem aufs Dach steigen (kommen): ihn schelten oder strafen.
Aus der Hauszerstörung als strafrechtlicher Maßnahme gegen Friedlose und Geächtete hat sich das Dachabdecken als selbständige Strafe (Ehrenstrafe, Hänselbrauch) entwickelt. Die volkstümliche Gerichtsbarkeit wandte diese Strafe bei sittenwidrigem Verhalten in der Ehe an, besonders dann, wenn sich ein Mann von seiner Frau schlagen ließ.
Auch andere Vergehen wurden mit dieser Art der ›Partialwüstung‹ bestraft; z.B. autorisiert die Coutume von Paris 1317 den Herrn, das Haus des Schuldners abzudecken, wenn ihm bestimmte Abgaben nicht entrichtet worden sind. 1269 wird zur Beschleunigung der Papstwahl das Haus in Viterbo, in dem das Konklave stattfand, seines Daches beraubt.
Als unter dem Druck der Landesherrschaft die volkstümliche Gerichtsbarkeit mehr und mehr zurückgedrängt wurde, sank diese ›Volksjustiz‹ zur Tätigkeit von ›Winkelgerichten‹ ab. Aber noch im Jahre 1768/69 wurde eine ähnliche Maßnahme im Fürstentum Fulda »durch sämtliche in fürstl. Livrei stehende Bedienten«, also wohl mit Duldung der Obrigkeit, durchgeführt. In Blankenburg in Thüringen war es das Stadtgericht selbst, das den geschlagenen Mann bestrafte: Er muß »die beiden Stadtknechte mit wullen Gewand kleiden oder da er's nicht vermag, mit Gefängnis oder sonsten willkürlich gestrafft, und ihme hierüber das Dach auf seinem Hauße abgehoben werden« (Walch: Vermischte Beyträge zu dem deutschen Recht V, [Jena 1775], 88).
Der Rechtsbrauch des Dachabdeckens ist in Rheinhessen bis ins 17. Jahrhundert geübt und erst um 1670 von den Landesherrn unterdrückt worden. Er wurde von einer Fastnachtsgesellschaft, dem Bubenheimer Geckengericht, ausgeübt, über das wir verschiedene Darstellungen besitzen. Die älteste stammt von einem bekannten Gießener Professor, dem Historiker und Juristen Immanuel Weber (1659-1726): »Dieses Geckengericht war nach vormahligen gebrauch eine Versammlung vieler Gecken, bestehend aus ihrem General, Amtleüten, Berichtschreibern und Zusammenlauff des losen Gesindels, welche zu Fastnachts Zeiten sich auf einen gewißen tag an dem ort, so ihnen von ihrem general angewiessen worden, versamleten, und dasjenige, was ihnen befohlen worden, ausrichteten. Nichts aber ist so scharff gestraffet worden, als wann ein Mann sich von seiner Frau schlagen laßen; welches folgender gestalten zugieng. Es erschien der General mit andern freywilligen zu Pferd, die Gecken aber öffters bey 2-300 aus den benachbarten Dörfern, mit papiernen Krägen, höltzernen Degen, Sägen, Axt, und beulen, vermummten gesichter und andern narrischen Aufzügen, ... es wurde ihnen alsdann vorgehalten, wie dieser oder jener von seiner Frau sey geschlagen worden. Der Geckensfiscal klagte den Mann ordentlich an, und damit ihm nicht zuviel geschehe, wurden die Zeugen ordentlich verhöret, und da alles richtig gefunden, schritten sie doch nicht gleich zur Exekution, sondern zogen ordentlich zum 1. und 2. mahl vor das Dorf, worin der von seinem weibe geschlagne mann wohnte, und kundigten ihm an, er solle sich mit ihnen abfinden, und ihnen zum abstand herausgeben, that er es nicht, so geschahe im dritten aufzug die Execution sodass sie ins Dorf einzogen an des Mannes hauß die Först einzuhauen; da sie dann die 3. oberste latten und die Ziegel herunter warfen, und solches in ihr protokoll einschrieben. Von allem diesem unheil sich zu retten, hatte der Mann kein Mittel, als die gemelte vier ohm wein; nur allein die Frau konnte das hauß und den wein salvieren, wan sie nehmlich sich gantz nackend ausgezogen und so nackend auf den Gipfel des Hauses gestiegen, ein glaß wein ausgetrunken, und zwischen die beine hinab geworfen, wie man dan einige Exempel solcher heroischen Weiber aufweisen kan. Dieses Gericht, deßen Anfang unbekant, hat gedauret bis in die Regierung Churfürst Caroli Ludovici ohngefehr umbs Jahr 1667 oder 68, da die Gecken einen Churpfältzischen Fauth und Zölner die Förste einhauen wollen, weil er sich von seinem Weibe schlagen lassen«.
Eine zweite Nachricht über das Bubenheimer Geckengericht finden wir im ›Journal von und für Deutschland‹ von 1787: »Es ist ein alter Gebrauch hierumb in der Nachbahrschaft, falß etwa eine Frauw ihren Mann schlagen sollte, alle des Fleckens oder Dorffs, worin das Factum geschehen, angrentzende gemärker sichs annehmen, doch würdt die sach uff den letzten Fastnachtstag oder Eschermittwoch als ein recht Faßnachtspiehl versparet, da dann alle Gemärker ... dan also baldt sich alle sambt vor des geschlagenen mans Hauß versamlen, das Haus umbringen, undt fallß der Mann sich mit ihnen nicht vergleichet undt abfindet, schlagen sie Leitern ahn, steigen auf das Dach, hauwen ihme die Fürst ein undt reißen das Dach biß uff die vierte Latt von oben ahn ab, vergleicht er sich aber, so ziehen sie wieder ohne Verletzung des Haußes ab, falß aber der Beweiss nicht kann geführet werden, müssen sie ohnverrichteter sach wieder abziehen«.
Aus Süddeutschland und der Schweiz ist das Dachabdecken namentlich in den Rechten der Zähringerstädte bezeugt. Während das Stadtrecht von Freiburg i. Br. von 1120 gegen den flüchtigen Totschläger die Hauswüstung vorsieht, kennen seine Tochterrechte außer Bern für diesen Fall nur noch das Dachabdecken. In Kinderliedern des Heischebrauchs leben diese Rechtsbräuche noch als Reliktformen fort. So zogen z.B. in Läufelfingen zur Fastnachtszeit die Knaben maskiert herum und forderten im Heischelied die Gabe mit der Drohung:
Wenn der is aber nüt weit geh,
So weimerech Küh und Kalber neh,
Mer weinech s'Hus abdecke,
Mer weinech uferwecke!
Die Drohung mit nächtlicher Dachabdeckung erscheint auf den ersten Blick kindlich phantasievolle Übertreibung. Aber es liegt hier der Niederschlag eines alten und ernsthaften Gewaltbrauches vor. Was die Knaben noch um 1850 in Läufelfingen scherzweise sangen, ereignete sich mehr als 300 Jahre früher wirklich im gleichen Baselbiet, nämlich in Liestal, wo in den Jahren kurz vor 1500 einem Schultheiß des Städtleins das Dach abgedeckt wurde.
Gleiche Herkunft verraten auch die Redensarten Einem auf dem Dache sein (sitzen): ihn bedrängen, ihn scharf beaufsichtigen; Einem zu Dache wollen: ihm etwas anhaben wollen; Jemandem recht zu Dache gehen: einen Streit mit ihm anfangen; Einem ins Dach reiten: ihm Vorwürfe machen. Jemandem den roten Hahn aufs Dach setzen: sein Haus in Brand stecken (⇨ Hahn).
Auf einem strohernen Dache fahren: hoffärtig, eitel und ehrgeizig sein, schon bei Sebastian Brant im ›Narrenschiff‹ (92) bezeugt. Die Bedeutung Dach = Kopf ist bereits mittelhochdeutsch (vgl. das ›Passional‹ 314,84: »diu hant da mite si sluoc ûf sîn dach«); noch heute gebraucht man Jemandem eine aufs Dach geben: ihm eine auf den Kopf schlagen; Eins aufs Dach bzw. auf den (Dach-)Schädel kriegen: gerügt werden, einen Schlag auf den Kopf bekommen; Auf das Dach halten: beim Schießen nach dem Kopfe zielen; im Siebenbürger-Sächsischen bedeutet ›af det Doach klôpen‹ eine Anspielung machen, vgl. ›Auf den Busch klopfen‹.
Etwas im Dach haben: angetrunken sein; Einen Dachschaden haben: nicht ganz bei Verstand sein, vgl. die bairische Wendung ›dem fehlt's im Dachstuhl‹, es fehlt ihm an Verstand; auch: ›Bei dem ist ein Dachziegel locker‹ (⇨ Schraube).
Elsässisch ›auf dem Dache sitzen‹, ärgerlich sein; ähnlich mecklenburgisch ›Dor ist glik Füer unner't Dak‹, er gerät leicht in Zorn (⇨ Oberstübchen). Etwas unter Dach bringen: ein Werk (z.B. einen Neubau) im Rohbau fertigstellen, wobei ein Rest von feinerer Arbeit noch zu tun bleibt; häufiger in der Form: Etwas unter Dach und Fach bringen: es in Sicherheit bringen, wobei ursprünglich an die Erntebergung gedacht ist; im niederdeutschen Bauernhaus wird der Zwischenraum zwischen zwei Ständerpaaren der Hauskonstruktion als ›Fach‹ bezeichnet. Ein Dach über dem Kopfe haben: geborgen sein; vgl. französisch ›avoir un toit au-dessus de la tête‹, ⇨ Kopf.
Mit jemandem unter einem Dache wohnen: im gleichen Haus leben.
Etwas auf den Dächern predigen: es laut und offen verkünden, eine Redensart biblischer Herkunft (vgl. Mt 10,27 oder Lk 12,3), die in gleicher Weise auch in anderen europäischen Sprachen gebräuchlich ist; vgl. französisch ›crier quelque chose sur tous les toits‹ (wörtlich: etwas über alle Dächer hinausschreien).
Die Spatzen pfeifen es von allen Dächern: es ist allgemein bekannt.
Unterm Dach juchhe!: unter dem Dach, in einer Mansarde. Die Redensart, die aus dem lustigen Lied ›Unterm Dach juchhe, da hat der Sperling seine Jungen‹ herrührt, vergleicht die Ersteigung einer Dachwohnung mit dem Erklimmen eines Berggipfels, von dem der Bergsteiger sich den unten Stehenden mit einem Jauchzer bemerkbar macht; ⇨ Charivari, ⇨ Dachdecker, ⇨ vogelfrei.
• J. GRIMM: Deutsche Rechtsaltertümer Band II (Leipzig 4. Auflage 1899), S. 319 ff.; J.R. DIETERICH: Eselritt und Dachabdecken, in: Hessische Blätter für Volkskunde I (1902), S. 87-112; H. SCHNEIDER: Dachabdecken, in: Hessische Blätter für Volkskunde 13 (1914), S. 121-123; P. SARTORI: Das Dach im Volksglauben, in: Zeitschrift für Volkskunde 25 (1915), S. 228 ff. L. FONCK: Das Abdecken des Daches, in: Biblica 6 (1925), S. 450-454; H. JAHNOW: Das Abdecken des Daches, in: Zeitschrift für neutest. Wiss. und d. Kunde des Urchristentums, 24 (1925), S. 155-158; L. WEISSER: Artikel ›Dach‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens II, Spalte 115-124; K. MEULI: Hauswüstung in Irland 1848, in: Schweizerische Volkskunde (Korr. Bl.) 41 (1951), S. 15-18; DERS.: Charivari, Festschrift F. Dornseiff (1953), S. 253 f.; N. ZAHN: Die Wüstung im mittelalterlichen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Italien und Flandern (Diss. Basel 1956), besonders S. 77 ff.; E. FISCHER: Die Hauszerstörung als strafrechtliche Maßnahme im deutschen Mittelalter (Stuttgart 1957), S. 167 f.; L. CARLEN: Dachabdecken im Gours 1746, in: Schweizerische Volkskunde 49 (1959), S. 72-74; TH. BUHLER: Wüstung und Fehde, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 66 (1970), S. 1-27; K. RANKE: Artikel ›Dach‹, in: Enzyklopädie des Märchens II, Spalte 203-209; H.-G. GRIEP: Das Dach in Volkskunst und Volksbrauch (Köln 1983), besonders S. 69-74 (›Das Dach in Sprichwörtern und Redensarten‹).
Einem das Dach abdecken. Hauswüstung als Rügerecht, aus: H. Bausinger: Volkskunde, Berlin o.J., S. 128 f..
Einem aufs Dach steigen. Hauswüstung in Irland 1848, aus: K. Meuli, in: Schweizerische Volkskunde 41 (1951).
Aus der Hauszerstörung als strafrechtlicher Maßnahme gegen Friedlose und Geächtete hat sich das Dachabdecken als selbständige Strafe (Ehrenstrafe, Hänselbrauch) entwickelt. Die volkstümliche Gerichtsbarkeit wandte diese Strafe bei sittenwidrigem Verhalten in der Ehe an, besonders dann, wenn sich ein Mann von seiner Frau schlagen ließ.
Auch andere Vergehen wurden mit dieser Art der ›Partialwüstung‹ bestraft; z.B. autorisiert die Coutume von Paris 1317 den Herrn, das Haus des Schuldners abzudecken, wenn ihm bestimmte Abgaben nicht entrichtet worden sind. 1269 wird zur Beschleunigung der Papstwahl das Haus in Viterbo, in dem das Konklave stattfand, seines Daches beraubt.
Als unter dem Druck der Landesherrschaft die volkstümliche Gerichtsbarkeit mehr und mehr zurückgedrängt wurde, sank diese ›Volksjustiz‹ zur Tätigkeit von ›Winkelgerichten‹ ab. Aber noch im Jahre 1768/69 wurde eine ähnliche Maßnahme im Fürstentum Fulda »durch sämtliche in fürstl. Livrei stehende Bedienten«, also wohl mit Duldung der Obrigkeit, durchgeführt. In Blankenburg in Thüringen war es das Stadtgericht selbst, das den geschlagenen Mann bestrafte: Er muß »die beiden Stadtknechte mit wullen Gewand kleiden oder da er's nicht vermag, mit Gefängnis oder sonsten willkürlich gestrafft, und ihme hierüber das Dach auf seinem Hauße abgehoben werden« (Walch: Vermischte Beyträge zu dem deutschen Recht V, [Jena 1775], 88).
Der Rechtsbrauch des Dachabdeckens ist in Rheinhessen bis ins 17. Jahrhundert geübt und erst um 1670 von den Landesherrn unterdrückt worden. Er wurde von einer Fastnachtsgesellschaft, dem Bubenheimer Geckengericht, ausgeübt, über das wir verschiedene Darstellungen besitzen. Die älteste stammt von einem bekannten Gießener Professor, dem Historiker und Juristen Immanuel Weber (1659-1726): »Dieses Geckengericht war nach vormahligen gebrauch eine Versammlung vieler Gecken, bestehend aus ihrem General, Amtleüten, Berichtschreibern und Zusammenlauff des losen Gesindels, welche zu Fastnachts Zeiten sich auf einen gewißen tag an dem ort, so ihnen von ihrem general angewiessen worden, versamleten, und dasjenige, was ihnen befohlen worden, ausrichteten. Nichts aber ist so scharff gestraffet worden, als wann ein Mann sich von seiner Frau schlagen laßen; welches folgender gestalten zugieng. Es erschien der General mit andern freywilligen zu Pferd, die Gecken aber öffters bey 2-300 aus den benachbarten Dörfern, mit papiernen Krägen, höltzernen Degen, Sägen, Axt, und beulen, vermummten gesichter und andern narrischen Aufzügen, ... es wurde ihnen alsdann vorgehalten, wie dieser oder jener von seiner Frau sey geschlagen worden. Der Geckensfiscal klagte den Mann ordentlich an, und damit ihm nicht zuviel geschehe, wurden die Zeugen ordentlich verhöret, und da alles richtig gefunden, schritten sie doch nicht gleich zur Exekution, sondern zogen ordentlich zum 1. und 2. mahl vor das Dorf, worin der von seinem weibe geschlagne mann wohnte, und kundigten ihm an, er solle sich mit ihnen abfinden, und ihnen zum abstand herausgeben, that er es nicht, so geschahe im dritten aufzug die Execution sodass sie ins Dorf einzogen an des Mannes hauß die Först einzuhauen; da sie dann die 3. oberste latten und die Ziegel herunter warfen, und solches in ihr protokoll einschrieben. Von allem diesem unheil sich zu retten, hatte der Mann kein Mittel, als die gemelte vier ohm wein; nur allein die Frau konnte das hauß und den wein salvieren, wan sie nehmlich sich gantz nackend ausgezogen und so nackend auf den Gipfel des Hauses gestiegen, ein glaß wein ausgetrunken, und zwischen die beine hinab geworfen, wie man dan einige Exempel solcher heroischen Weiber aufweisen kan. Dieses Gericht, deßen Anfang unbekant, hat gedauret bis in die Regierung Churfürst Caroli Ludovici ohngefehr umbs Jahr 1667 oder 68, da die Gecken einen Churpfältzischen Fauth und Zölner die Förste einhauen wollen, weil er sich von seinem Weibe schlagen lassen«.
Eine zweite Nachricht über das Bubenheimer Geckengericht finden wir im ›Journal von und für Deutschland‹ von 1787: »Es ist ein alter Gebrauch hierumb in der Nachbahrschaft, falß etwa eine Frauw ihren Mann schlagen sollte, alle des Fleckens oder Dorffs, worin das Factum geschehen, angrentzende gemärker sichs annehmen, doch würdt die sach uff den letzten Fastnachtstag oder Eschermittwoch als ein recht Faßnachtspiehl versparet, da dann alle Gemärker ... dan also baldt sich alle sambt vor des geschlagenen mans Hauß versamlen, das Haus umbringen, undt fallß der Mann sich mit ihnen nicht vergleichet undt abfindet, schlagen sie Leitern ahn, steigen auf das Dach, hauwen ihme die Fürst ein undt reißen das Dach biß uff die vierte Latt von oben ahn ab, vergleicht er sich aber, so ziehen sie wieder ohne Verletzung des Haußes ab, falß aber der Beweiss nicht kann geführet werden, müssen sie ohnverrichteter sach wieder abziehen«.
Aus Süddeutschland und der Schweiz ist das Dachabdecken namentlich in den Rechten der Zähringerstädte bezeugt. Während das Stadtrecht von Freiburg i. Br. von 1120 gegen den flüchtigen Totschläger die Hauswüstung vorsieht, kennen seine Tochterrechte außer Bern für diesen Fall nur noch das Dachabdecken. In Kinderliedern des Heischebrauchs leben diese Rechtsbräuche noch als Reliktformen fort. So zogen z.B. in Läufelfingen zur Fastnachtszeit die Knaben maskiert herum und forderten im Heischelied die Gabe mit der Drohung:
Wenn der is aber nüt weit geh,
So weimerech Küh und Kalber neh,
Mer weinech s'Hus abdecke,
Mer weinech uferwecke!
Die Drohung mit nächtlicher Dachabdeckung erscheint auf den ersten Blick kindlich phantasievolle Übertreibung. Aber es liegt hier der Niederschlag eines alten und ernsthaften Gewaltbrauches vor. Was die Knaben noch um 1850 in Läufelfingen scherzweise sangen, ereignete sich mehr als 300 Jahre früher wirklich im gleichen Baselbiet, nämlich in Liestal, wo in den Jahren kurz vor 1500 einem Schultheiß des Städtleins das Dach abgedeckt wurde.
Gleiche Herkunft verraten auch die Redensarten Einem auf dem Dache sein (sitzen): ihn bedrängen, ihn scharf beaufsichtigen; Einem zu Dache wollen: ihm etwas anhaben wollen; Jemandem recht zu Dache gehen: einen Streit mit ihm anfangen; Einem ins Dach reiten: ihm Vorwürfe machen. Jemandem den roten Hahn aufs Dach setzen: sein Haus in Brand stecken (⇨ Hahn).
Auf einem strohernen Dache fahren: hoffärtig, eitel und ehrgeizig sein, schon bei Sebastian Brant im ›Narrenschiff‹ (92) bezeugt. Die Bedeutung Dach = Kopf ist bereits mittelhochdeutsch (vgl. das ›Passional‹ 314,84: »diu hant da mite si sluoc ûf sîn dach«); noch heute gebraucht man Jemandem eine aufs Dach geben: ihm eine auf den Kopf schlagen; Eins aufs Dach bzw. auf den (Dach-)Schädel kriegen: gerügt werden, einen Schlag auf den Kopf bekommen; Auf das Dach halten: beim Schießen nach dem Kopfe zielen; im Siebenbürger-Sächsischen bedeutet ›af det Doach klôpen‹ eine Anspielung machen, vgl. ›Auf den Busch klopfen‹.
Etwas im Dach haben: angetrunken sein; Einen Dachschaden haben: nicht ganz bei Verstand sein, vgl. die bairische Wendung ›dem fehlt's im Dachstuhl‹, es fehlt ihm an Verstand; auch: ›Bei dem ist ein Dachziegel locker‹ (⇨ Schraube).
Elsässisch ›auf dem Dache sitzen‹, ärgerlich sein; ähnlich mecklenburgisch ›Dor ist glik Füer unner't Dak‹, er gerät leicht in Zorn (⇨ Oberstübchen). Etwas unter Dach bringen: ein Werk (z.B. einen Neubau) im Rohbau fertigstellen, wobei ein Rest von feinerer Arbeit noch zu tun bleibt; häufiger in der Form: Etwas unter Dach und Fach bringen: es in Sicherheit bringen, wobei ursprünglich an die Erntebergung gedacht ist; im niederdeutschen Bauernhaus wird der Zwischenraum zwischen zwei Ständerpaaren der Hauskonstruktion als ›Fach‹ bezeichnet. Ein Dach über dem Kopfe haben: geborgen sein; vgl. französisch ›avoir un toit au-dessus de la tête‹, ⇨ Kopf.
Mit jemandem unter einem Dache wohnen: im gleichen Haus leben.
Etwas auf den Dächern predigen: es laut und offen verkünden, eine Redensart biblischer Herkunft (vgl. Mt 10,27 oder Lk 12,3), die in gleicher Weise auch in anderen europäischen Sprachen gebräuchlich ist; vgl. französisch ›crier quelque chose sur tous les toits‹ (wörtlich: etwas über alle Dächer hinausschreien).
Die Spatzen pfeifen es von allen Dächern: es ist allgemein bekannt.
Unterm Dach juchhe!: unter dem Dach, in einer Mansarde. Die Redensart, die aus dem lustigen Lied ›Unterm Dach juchhe, da hat der Sperling seine Jungen‹ herrührt, vergleicht die Ersteigung einer Dachwohnung mit dem Erklimmen eines Berggipfels, von dem der Bergsteiger sich den unten Stehenden mit einem Jauchzer bemerkbar macht; ⇨ Charivari, ⇨ Dachdecker, ⇨ vogelfrei.
• J. GRIMM: Deutsche Rechtsaltertümer Band II (Leipzig 4. Auflage 1899), S. 319 ff.; J.R. DIETERICH: Eselritt und Dachabdecken, in: Hessische Blätter für Volkskunde I (1902), S. 87-112; H. SCHNEIDER: Dachabdecken, in: Hessische Blätter für Volkskunde 13 (1914), S. 121-123; P. SARTORI: Das Dach im Volksglauben, in: Zeitschrift für Volkskunde 25 (1915), S. 228 ff. L. FONCK: Das Abdecken des Daches, in: Biblica 6 (1925), S. 450-454; H. JAHNOW: Das Abdecken des Daches, in: Zeitschrift für neutest. Wiss. und d. Kunde des Urchristentums, 24 (1925), S. 155-158; L. WEISSER: Artikel ›Dach‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens II, Spalte 115-124; K. MEULI: Hauswüstung in Irland 1848, in: Schweizerische Volkskunde (Korr. Bl.) 41 (1951), S. 15-18; DERS.: Charivari, Festschrift F. Dornseiff (1953), S. 253 f.; N. ZAHN: Die Wüstung im mittelalterlichen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Italien und Flandern (Diss. Basel 1956), besonders S. 77 ff.; E. FISCHER: Die Hauszerstörung als strafrechtliche Maßnahme im deutschen Mittelalter (Stuttgart 1957), S. 167 f.; L. CARLEN: Dachabdecken im Gours 1746, in: Schweizerische Volkskunde 49 (1959), S. 72-74; TH. BUHLER: Wüstung und Fehde, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 66 (1970), S. 1-27; K. RANKE: Artikel ›Dach‹, in: Enzyklopädie des Märchens II, Spalte 203-209; H.-G. GRIEP: Das Dach in Volkskunst und Volksbrauch (Köln 1983), besonders S. 69-74 (›Das Dach in Sprichwörtern und Redensarten‹).
Einem das Dach abdecken. Hauswüstung als Rügerecht, aus: H. Bausinger: Volkskunde, Berlin o.J., S. 128 f..
Einem aufs Dach steigen. Hauswüstung in Irland 1848, aus: K. Meuli, in: Schweizerische Volkskunde 41 (1951).