Redensarten Lexikon
Bote
Als Bote gehen: beschäftigt sein, als Abgesandter zum Überbringen von Nachrichten und Gegenständen, als ein Untergeordneter. Verächtlich heißt es im Sprichwort: ›Der frömmste Bot ist ein schalck‹: es ist ihm nicht zu trauen, so schon bei Georg Henisch in: ›Teutsche Sprach und Weißheit‹ (Augsburg 1616). Das Altertum kennt die Engel als ›Boten Gottes‹ zu Propheten und anderen begnadeten Menschen. Die Folgezeit machte den Erzengel Gabriel zum Schutzpatron des Botenstandes. Später auch im übertragenen Sinne gebraucht: »Ein Priester, ein Bote Gottes, der den Frieden bringt« (Schiller: ›Maria Stuart‹ V,7).
Noch das ausgehende Mittelalter nannte die Apostel Boten. ›Er ritet der zwelf boten pfert‹: per pedes apostolorum, d.h. zu Fuß gehen (⇨ Apostel). Das gleiche besagt auch die alte Berufsbezeichnung ›Läufer‹, später von der bedeutungsgleichen Bezeichnung ›Kurier‹ (zu lateinisch ›currere‹ = laufen) abgelöst.
Es gab gehende (laufende) reitende oder fahrende Boten. Postbote ist umgangssprachlich vielerorts die Bezeichnung für den Briefträger.
Im Mittelalter vermittelten eigene Klosterboten den Nachrichtenaustausch unter den Klöstern. Ebenso hatten die Bischöfe Kanzlei- und Hofkammerboten. Auch Fürsten und andere weltliche Obrigkeit hielten sich eigene Boten. Mit der Ausdehnung des Handelswesens (z.B. durch die Fugger oder die Hanse) entwickelten sich die Kaufmannsboten.
In der Frühzeit des Nachrichtenwesens war der Bote zugleich der unmittelbar Beauftragte seines Dienstherren, der ihn bezahlte, ihm Zeit und Ziel vorschrieb. Der Gefahren ihrer Reise wegen waren die Boten bewaffnet. Ihre Amtszeichen waren: der weiße Botenstab, die Botenbüchse, die zur Aufbewahrung der Briefe und Botschaften diente, das Horn und auf der Brust der sog. Botenschild mit dem Wappenzeichen des Auftraggebers. Bevor sie dessen Wappenfarben trugen, gingen die Boten in Deutschland im schmucklosen Grau der untersten Stände.
Die Vorstellung personifizierter Todesboten stammt vermutlich aus Indien. Aber seit dem 13. Jahrhundert konkretisiert sich diese Vorstellung im europäischen Mittelalter in einem fest umrissenen Exempel, das als predigtmäßige Erläuterung des ›memento mori‹ sehr beliebt gewesen sein muß: Ein Mensch schließt mit dem Tod einen Vertrag, in dem der Tod verspricht, vor seinem Kommen Boten zu senden. Eines Tages steht der Tod plötzlich vor dem Menschen und fordert ihn auf mitzukommen. Der Mensch weigert sich, da jener die versprochenen Boten nicht gesandt habe. Aber der Tod erwidert, er habe doch Krankheiten und Altersbeschwerden aller Art als seine Boten vorausgeschickt und rafft darum den Menschen hinweg. Im ›Renner‹ des Hugo von Trimberg (ca. 1230-1313) sind Seitenstechen, Ohrenschmerzen, Zahnweh, Husten, Gehbeschwerden und das Ergrauen der Haare die ›Boten des Todes‹. Ähnlich noch in dem Grimmschen Märchen von den ›Boten des Todes‹ (Kinder-und Hausmärchen der Brüder Grimm 177).
Dieses Eingeständnis menschlicher Ohnmacht vor der Gewalt des Todes ist auch in Redensarten eingegangen: ›When the messenger of death comes, all affairs cease‹; schweizerisch ›Es staht en herte Bot a sim Bett‹: von einem Sterbenden.
Als der »harte Bote« Gottes mit vernichtender Botschaft für das Haus des israelitischen Königs Jerobeam begegnet der Prophet Ahia dessen Frau. (1 Kön 14, 5-10).
Wer hat dir einen Boten geschick?: wer hat dich kommen heißen? ist ein Spott für ungebetene Gäste.
Weniger bedrückend als die Boten des Todes erscheinen die ›Boten des Frühlings‹: die ersten Anzeichen der sich erneuernden Vegetation; ›Die Morgenröte ist der Bote des Tages‹. ›Winter hât vorbotten ûz gesendet‹, bei Johannes Hadlaub 28,1 (Schweizerische Minnesänger 323).
Häufig ist der metaphorische Gebrauch des Boten. Das Niedersächsische kennt die Redensart: ›Dat sunt de Vorbaden darvon‹: da sehen wir schon den Anfang der Sache. Holsteinisch: ›De Forbaden willt de Nabaden nig inlaten‹: dankende Ablehnung weiterer Gerichte, wenn man sich bereits an den üppigen Vorspeisen gesättigt hat. Schwäbisch ›Der muß Bote gehen‹: er ist mit Durchfall geplagt. Ironisch ›Du bist geschickt wie e Bot‹, d.h. ungeschickt. ›Laufen wie e Bot‹: sehr schnell.
Ruf und Ansehen der Boten scheinen nicht immer glänzend gewesen zu sein. Ihre Treue, Wahrheitsliebe, Pünktlichkeit, Unterordnung, Zuverlässigkeit waren tatsächlich durchaus nicht immer über alle Zweifel erhaben. Der aus dem Rheinland stammende Vorwurf ›su frech wie en Bot‹ zeigt, wie es um ihr Renommé bisweilen bestellt war. Unnachsichtig geißelt Sebastian Brant im ›Narrenschiff‹ den Botenläufer, seine Trunksucht und Verlogenheit und rügt:
die Briefe dreimal er umdrehte,
Ob er erspähe, was er trage
Und was er weiß, bald weiter sage ...
Im ›Betrugslexikon‹ von Georg Paul Hönn (Coburg 1721) steht unter der Überschrift »Boten betrügen« so manches von ihren Schandtaten und wie sie diese durch Vortäuschung falscher Tatsachen zu bemänteln wissen. Immer wieder wurde der schwere Vorwurf variiert: ›Lügen wie ein Bot‹, ›Einer, der die Wahrheit spart‹; ›Er lügt wie e Brieftreger (Bote)‹. Im Schweizerischen wie im Schwäbischen bestehen eines Boten Haupttugenden in ›Lüge könne und net rot weren, saufe und kein Rausch kriege, laufe und et müd were‹.
Berüchtigt war die Neuigkeitskrämerei der Boten. Mit den neuesten Nachrichten konnten sie förmlich Handel treiben. Um sich keine Blöße zu geben, nahm so mancher die Phantasie zu Hilfe, wie das Volkslied von ihnen singt:
Ich bin die Post zu Fuß, ich trage diß und das ...
sobald ich angelangt, will jeder Zeitung fragen,
Da kann ich unverschnauft zwölf Dutzet Lügen sagen ...
Daher schwäbisch ›Es ist wohl ein Botengeschrei‹: ein haltloses Gerücht ohne gewissen Grund; synonym für ›Das ist eine Botenneuigkeit‹: eine unbegründete Nachricht, zu deutsch: Lüge. Es wäre aber ungerecht, die ›Botenzunft‹ in erster Linie nach Fehlleistungen und Auswüchsen zu beurteilen. Trotz des unlauteren Nachrichtenhandels wird das Verdienst des Botengewerbes für die Entstehung und Entwicklung des Zeitungswesens nicht hoch genug einzuschätzen sein.
Zu den Wahrzeichen Berns gehört ein Denkmal jenes Boten, der 1444 die Stadt durch rechtzeitige Benachrichtigung, die ihn das Leben kostete, vor dem Überfall französischer Söldner rettete. Die Berner ehrten dankbar den Mut ihres Stadtboten, der dem Hohn und Undank König Heinrichs IV. von Frankreich (1553-1610) mit Entschiedenheit entgegentrat, durch den sog. ›Läuferbrunnen‹. Auf seiner Bekrönung steht die volle Figur des Boten, neben ihm das Wappentier von Stadt und Kanton, der Bär, wie ein Bote gerüstet, mit Tasche und Stab. Er symbolisiert den völkerrechtlich garantierten Status des Gesandten. Von ihm redet die englische Wendung ›Messengers should neither be headed nor hanged‹, heute mehr als Entschuldigung für den Überbringer einer schlechten Nachricht gebraucht. Latein: ›Legatus nec violatur, nec laeditur‹.
›Man muß den hinkenden Boten abwarten‹, d.h. die Bestätigung der Nachricht, wie Sixtus V., der 1588 nach der Schlacht im Kanal verfrühte Siegesmeldungen mit Skepsis aufnahm; englisch ›Stay till the lame messenger come, if you will know the truth of the thing‹.
Dies entspricht der Redensart Der hinkende Bote kommt nach: hinter der guten Botschaft kommt oft die unangenehme nachgeschlichen, die Wahrheit kommt erst später an den Tag; holsteinisch ›De hinkende Bade kumt achterna‹: herbe Enttäuschungen folgen guten Nachrichten, das Unangenehme bleibt nicht aus; ebenso niederländisch ›De hinkende bode komt achteraan‹; dänisch ›Det haltende Bud kommer bagefter‹; norwegisch ›sannaste segni kjem sist‹. 1559 zuerst in einer Übersetzung von Petrarcas ›Zwei Trostbüchern‹ (100a) belegt: »Der hinkend bot kompt altwegen langsam nach«; ähnlich in Oldecops ›Hildesheimer Chronik‹ (S. 544): »Ik wachte na de hinkende boden«; in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹ (I, 17): »So dörfte villeicht auch wol der erste hinkende bote die zu Spate reu sein« und schließlich bei Georg Henisch (1616): »Der hinkende bot kompt allzeit hernach vnd bringet die gewisseste zeitung«. Rheinisch ›De seiht aus, als wenn he os dem henkende Bot geress wer‹, vermutlich für: keine gute Figur machen. Die schwäbische Redensart ›Er hinkt wie der Bote aus Lahr‹ bezieht sich auf den ›Lahrer hinkenden Boten‹.
Der hinkende Bote ist ein Tabuwort für ›Unglück‹; es hängt vielleicht mit dem unglückbringenden Teufel zusammen, der oft als ›Hinkefuß‹ oder ›Hinkebein‹ bezeichnet wird. Im Volksglauben bedeutet die Begegnung mit einem Hinkenden (Angang) Unglück.
Name und Bild des Kuriers oder Boten figurierten auf dem Titelblatt von Kalendern, die die Neuigkeiten des Jahres zusammenstellten, von Zeitschriften und Zeitungen: ›Volksbote‹, ›Schwarzwälder Bote‹, ›Wandsbecker Bote‹, dessen erster und einziger Redakteur Matthias Claudius war.
Beim ›Lahrer hinkenden Boten‹ (Lahr [Baden]
1801 ff.) handelt es sich um den bekanntesten deutschen Volkskalender mit einer weltweiten Verbreitung bis nach Nord- und Südamerika oder auch nach Südafrika. Dieser Kalender ist nicht der älteste und einzige seiner Art. Er entstand nämlich erst im Anschluß an den Basler hinkenden und auch an den Frankfurter hinkenden Boten. ›Hinkende Boten‹ im Sinne des noch heute alljährlich neu nachgedruckten Kalendertitelblatts sind eigentlich herumziehende Invaliden, die ein Bein durch einen hölzernen Stelzfuß ersetzt hatten. Sie betätigten sich nicht selten als Flugblattverkäufer oder als fliegende Händler, die sich mit dem Vertrieb von ›neuen Zeitungen‹ und Kalendern ihren Lebensunterhalt verdienten. Schon 1607 war in Braunschweig der Hinkende Bote eines Buchdruckers erschienen. 1786 gab es in Kehl den ›Oberrheinischen Hinkenden Boten‹, der als ein ›Blatt für jedermann‹ seine amüsanten Erzählungen empfahl. 1793 zeigte sich in Offenbach ›der Hinkend und Stolpernd doch eilfertige Reichsbott‹, später auch der ›Rastatter Hinkende Both‹. 1820 gab es in Straßburg nicht weniger als drei Hinkende Boten, die heute alle zugunsten des Lahrer verschwunden sind. Der Hinkende Bote steht also für eine Kalendergattung. Lahrs unmittelbares Vorbild lag in Basel, doch lief der Lahrer Hinkende Bote dem Basler immer mehr den Rang ab. Der große Aufschwung kam mit dem Verleger Moritz Schauenburg (1827-95).
• O. LAUFFER: Der laufende Bote im Nachrichtenwesen der früheren Jahrhunderte, in: Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde 1 (1954) S. 19-60; L. RÖHRICH: Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung (Bern 1962) I, S. 6-10, 80-92, 258-262; H. WIEDEMANN: Der Lahrer Hinkende Bote, in: Badische Heimat 48 (1968), S. 241 f.; DERS.: Portrait des Lahrer Hinkenden Boten, in: Geroldsecker Land H. 17 (1975), S. 3-16; D.-R. MOSER: Artikel Boten des Todes, in: Enzyklopädie des Märchens II, Spalte 636-639; H. TRÜMPY: Ein Beitrag zur Erforschung der Kalender, in: Sandoz-Bulletin 17 (Basel 1981), Nr. 59, S.11-22; J. KNOPF: Alltages-Ordnung. Ein Querschnitt durch den alten Volkskalender. Aus württembergischen und badischen Kalendern des 17. und 18. Jahrhunderts (Tübingen 1982).}
Der hinkende Bote. Titelblatt des Lahrer Kalenders von 1969.
Noch das ausgehende Mittelalter nannte die Apostel Boten. ›Er ritet der zwelf boten pfert‹: per pedes apostolorum, d.h. zu Fuß gehen (⇨ Apostel). Das gleiche besagt auch die alte Berufsbezeichnung ›Läufer‹, später von der bedeutungsgleichen Bezeichnung ›Kurier‹ (zu lateinisch ›currere‹ = laufen) abgelöst.
Es gab gehende (laufende) reitende oder fahrende Boten. Postbote ist umgangssprachlich vielerorts die Bezeichnung für den Briefträger.
Im Mittelalter vermittelten eigene Klosterboten den Nachrichtenaustausch unter den Klöstern. Ebenso hatten die Bischöfe Kanzlei- und Hofkammerboten. Auch Fürsten und andere weltliche Obrigkeit hielten sich eigene Boten. Mit der Ausdehnung des Handelswesens (z.B. durch die Fugger oder die Hanse) entwickelten sich die Kaufmannsboten.
In der Frühzeit des Nachrichtenwesens war der Bote zugleich der unmittelbar Beauftragte seines Dienstherren, der ihn bezahlte, ihm Zeit und Ziel vorschrieb. Der Gefahren ihrer Reise wegen waren die Boten bewaffnet. Ihre Amtszeichen waren: der weiße Botenstab, die Botenbüchse, die zur Aufbewahrung der Briefe und Botschaften diente, das Horn und auf der Brust der sog. Botenschild mit dem Wappenzeichen des Auftraggebers. Bevor sie dessen Wappenfarben trugen, gingen die Boten in Deutschland im schmucklosen Grau der untersten Stände.
Die Vorstellung personifizierter Todesboten stammt vermutlich aus Indien. Aber seit dem 13. Jahrhundert konkretisiert sich diese Vorstellung im europäischen Mittelalter in einem fest umrissenen Exempel, das als predigtmäßige Erläuterung des ›memento mori‹ sehr beliebt gewesen sein muß: Ein Mensch schließt mit dem Tod einen Vertrag, in dem der Tod verspricht, vor seinem Kommen Boten zu senden. Eines Tages steht der Tod plötzlich vor dem Menschen und fordert ihn auf mitzukommen. Der Mensch weigert sich, da jener die versprochenen Boten nicht gesandt habe. Aber der Tod erwidert, er habe doch Krankheiten und Altersbeschwerden aller Art als seine Boten vorausgeschickt und rafft darum den Menschen hinweg. Im ›Renner‹ des Hugo von Trimberg (ca. 1230-1313) sind Seitenstechen, Ohrenschmerzen, Zahnweh, Husten, Gehbeschwerden und das Ergrauen der Haare die ›Boten des Todes‹. Ähnlich noch in dem Grimmschen Märchen von den ›Boten des Todes‹ (Kinder-und Hausmärchen der Brüder Grimm 177).
Dieses Eingeständnis menschlicher Ohnmacht vor der Gewalt des Todes ist auch in Redensarten eingegangen: ›When the messenger of death comes, all affairs cease‹; schweizerisch ›Es staht en herte Bot a sim Bett‹: von einem Sterbenden.
Als der »harte Bote« Gottes mit vernichtender Botschaft für das Haus des israelitischen Königs Jerobeam begegnet der Prophet Ahia dessen Frau. (1 Kön 14, 5-10).
Wer hat dir einen Boten geschick?: wer hat dich kommen heißen? ist ein Spott für ungebetene Gäste.
Weniger bedrückend als die Boten des Todes erscheinen die ›Boten des Frühlings‹: die ersten Anzeichen der sich erneuernden Vegetation; ›Die Morgenröte ist der Bote des Tages‹. ›Winter hât vorbotten ûz gesendet‹, bei Johannes Hadlaub 28,1 (Schweizerische Minnesänger 323).
Häufig ist der metaphorische Gebrauch des Boten. Das Niedersächsische kennt die Redensart: ›Dat sunt de Vorbaden darvon‹: da sehen wir schon den Anfang der Sache. Holsteinisch: ›De Forbaden willt de Nabaden nig inlaten‹: dankende Ablehnung weiterer Gerichte, wenn man sich bereits an den üppigen Vorspeisen gesättigt hat. Schwäbisch ›Der muß Bote gehen‹: er ist mit Durchfall geplagt. Ironisch ›Du bist geschickt wie e Bot‹, d.h. ungeschickt. ›Laufen wie e Bot‹: sehr schnell.
Ruf und Ansehen der Boten scheinen nicht immer glänzend gewesen zu sein. Ihre Treue, Wahrheitsliebe, Pünktlichkeit, Unterordnung, Zuverlässigkeit waren tatsächlich durchaus nicht immer über alle Zweifel erhaben. Der aus dem Rheinland stammende Vorwurf ›su frech wie en Bot‹ zeigt, wie es um ihr Renommé bisweilen bestellt war. Unnachsichtig geißelt Sebastian Brant im ›Narrenschiff‹ den Botenläufer, seine Trunksucht und Verlogenheit und rügt:
die Briefe dreimal er umdrehte,
Ob er erspähe, was er trage
Und was er weiß, bald weiter sage ...
Im ›Betrugslexikon‹ von Georg Paul Hönn (Coburg 1721) steht unter der Überschrift »Boten betrügen« so manches von ihren Schandtaten und wie sie diese durch Vortäuschung falscher Tatsachen zu bemänteln wissen. Immer wieder wurde der schwere Vorwurf variiert: ›Lügen wie ein Bot‹, ›Einer, der die Wahrheit spart‹; ›Er lügt wie e Brieftreger (Bote)‹. Im Schweizerischen wie im Schwäbischen bestehen eines Boten Haupttugenden in ›Lüge könne und net rot weren, saufe und kein Rausch kriege, laufe und et müd were‹.
Berüchtigt war die Neuigkeitskrämerei der Boten. Mit den neuesten Nachrichten konnten sie förmlich Handel treiben. Um sich keine Blöße zu geben, nahm so mancher die Phantasie zu Hilfe, wie das Volkslied von ihnen singt:
Ich bin die Post zu Fuß, ich trage diß und das ...
sobald ich angelangt, will jeder Zeitung fragen,
Da kann ich unverschnauft zwölf Dutzet Lügen sagen ...
Daher schwäbisch ›Es ist wohl ein Botengeschrei‹: ein haltloses Gerücht ohne gewissen Grund; synonym für ›Das ist eine Botenneuigkeit‹: eine unbegründete Nachricht, zu deutsch: Lüge. Es wäre aber ungerecht, die ›Botenzunft‹ in erster Linie nach Fehlleistungen und Auswüchsen zu beurteilen. Trotz des unlauteren Nachrichtenhandels wird das Verdienst des Botengewerbes für die Entstehung und Entwicklung des Zeitungswesens nicht hoch genug einzuschätzen sein.
Zu den Wahrzeichen Berns gehört ein Denkmal jenes Boten, der 1444 die Stadt durch rechtzeitige Benachrichtigung, die ihn das Leben kostete, vor dem Überfall französischer Söldner rettete. Die Berner ehrten dankbar den Mut ihres Stadtboten, der dem Hohn und Undank König Heinrichs IV. von Frankreich (1553-1610) mit Entschiedenheit entgegentrat, durch den sog. ›Läuferbrunnen‹. Auf seiner Bekrönung steht die volle Figur des Boten, neben ihm das Wappentier von Stadt und Kanton, der Bär, wie ein Bote gerüstet, mit Tasche und Stab. Er symbolisiert den völkerrechtlich garantierten Status des Gesandten. Von ihm redet die englische Wendung ›Messengers should neither be headed nor hanged‹, heute mehr als Entschuldigung für den Überbringer einer schlechten Nachricht gebraucht. Latein: ›Legatus nec violatur, nec laeditur‹.
›Man muß den hinkenden Boten abwarten‹, d.h. die Bestätigung der Nachricht, wie Sixtus V., der 1588 nach der Schlacht im Kanal verfrühte Siegesmeldungen mit Skepsis aufnahm; englisch ›Stay till the lame messenger come, if you will know the truth of the thing‹.
Dies entspricht der Redensart Der hinkende Bote kommt nach: hinter der guten Botschaft kommt oft die unangenehme nachgeschlichen, die Wahrheit kommt erst später an den Tag; holsteinisch ›De hinkende Bade kumt achterna‹: herbe Enttäuschungen folgen guten Nachrichten, das Unangenehme bleibt nicht aus; ebenso niederländisch ›De hinkende bode komt achteraan‹; dänisch ›Det haltende Bud kommer bagefter‹; norwegisch ›sannaste segni kjem sist‹. 1559 zuerst in einer Übersetzung von Petrarcas ›Zwei Trostbüchern‹ (100a) belegt: »Der hinkend bot kompt altwegen langsam nach«; ähnlich in Oldecops ›Hildesheimer Chronik‹ (S. 544): »Ik wachte na de hinkende boden«; in Grimmelshausens ›Simplicissimus‹ (I, 17): »So dörfte villeicht auch wol der erste hinkende bote die zu Spate reu sein« und schließlich bei Georg Henisch (1616): »Der hinkende bot kompt allzeit hernach vnd bringet die gewisseste zeitung«. Rheinisch ›De seiht aus, als wenn he os dem henkende Bot geress wer‹, vermutlich für: keine gute Figur machen. Die schwäbische Redensart ›Er hinkt wie der Bote aus Lahr‹ bezieht sich auf den ›Lahrer hinkenden Boten‹.
Der hinkende Bote ist ein Tabuwort für ›Unglück‹; es hängt vielleicht mit dem unglückbringenden Teufel zusammen, der oft als ›Hinkefuß‹ oder ›Hinkebein‹ bezeichnet wird. Im Volksglauben bedeutet die Begegnung mit einem Hinkenden (Angang) Unglück.
Name und Bild des Kuriers oder Boten figurierten auf dem Titelblatt von Kalendern, die die Neuigkeiten des Jahres zusammenstellten, von Zeitschriften und Zeitungen: ›Volksbote‹, ›Schwarzwälder Bote‹, ›Wandsbecker Bote‹, dessen erster und einziger Redakteur Matthias Claudius war.
Beim ›Lahrer hinkenden Boten‹ (Lahr [Baden]
1801 ff.) handelt es sich um den bekanntesten deutschen Volkskalender mit einer weltweiten Verbreitung bis nach Nord- und Südamerika oder auch nach Südafrika. Dieser Kalender ist nicht der älteste und einzige seiner Art. Er entstand nämlich erst im Anschluß an den Basler hinkenden und auch an den Frankfurter hinkenden Boten. ›Hinkende Boten‹ im Sinne des noch heute alljährlich neu nachgedruckten Kalendertitelblatts sind eigentlich herumziehende Invaliden, die ein Bein durch einen hölzernen Stelzfuß ersetzt hatten. Sie betätigten sich nicht selten als Flugblattverkäufer oder als fliegende Händler, die sich mit dem Vertrieb von ›neuen Zeitungen‹ und Kalendern ihren Lebensunterhalt verdienten. Schon 1607 war in Braunschweig der Hinkende Bote eines Buchdruckers erschienen. 1786 gab es in Kehl den ›Oberrheinischen Hinkenden Boten‹, der als ein ›Blatt für jedermann‹ seine amüsanten Erzählungen empfahl. 1793 zeigte sich in Offenbach ›der Hinkend und Stolpernd doch eilfertige Reichsbott‹, später auch der ›Rastatter Hinkende Both‹. 1820 gab es in Straßburg nicht weniger als drei Hinkende Boten, die heute alle zugunsten des Lahrer verschwunden sind. Der Hinkende Bote steht also für eine Kalendergattung. Lahrs unmittelbares Vorbild lag in Basel, doch lief der Lahrer Hinkende Bote dem Basler immer mehr den Rang ab. Der große Aufschwung kam mit dem Verleger Moritz Schauenburg (1827-95).
• O. LAUFFER: Der laufende Bote im Nachrichtenwesen der früheren Jahrhunderte, in: Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde 1 (1954) S. 19-60; L. RÖHRICH: Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung (Bern 1962) I, S. 6-10, 80-92, 258-262; H. WIEDEMANN: Der Lahrer Hinkende Bote, in: Badische Heimat 48 (1968), S. 241 f.; DERS.: Portrait des Lahrer Hinkenden Boten, in: Geroldsecker Land H. 17 (1975), S. 3-16; D.-R. MOSER: Artikel Boten des Todes, in: Enzyklopädie des Märchens II, Spalte 636-639; H. TRÜMPY: Ein Beitrag zur Erforschung der Kalender, in: Sandoz-Bulletin 17 (Basel 1981), Nr. 59, S.11-22; J. KNOPF: Alltages-Ordnung. Ein Querschnitt durch den alten Volkskalender. Aus württembergischen und badischen Kalendern des 17. und 18. Jahrhunderts (Tübingen 1982).}
Der hinkende Bote. Titelblatt des Lahrer Kalenders von 1969.