Redensarten Lexikon
Boot
Im gleichen Boot mit jemandem sitzen: in der gleichen Lage sein, dasselbe Schicksal teilen, am gleichen Strang ziehen, aufeinander angewiesen sein, mit vereinten Kräften eine schwierige Lage meistern. Die beliebte Redensart vom Boot, in dem wir alle sitzen, steht für menschliches Verhalten, wenn es um das Bewußtsein von Zusammengehörigkeit in einer bestimmten (meist schwierigen) Situation geht. Die Redensart gehört zu dem umfangreichen Feld der Schiffsmetaphern und hat ihren Ursprung in einem lateinischen Brief Marcus Tullius Ciceros aus dem Jahre 53 v. Chr. »Haec negotia quo modo se habeant, epistula ne ad te quidem narrare audeo ... ubicumque es, ... in eadem es navi«. Mit diesen Worten leitet er seinen Brief an den jungen Curio ein, von dem er sich eine positive Veränderung der politischen Verhältnisse erhofft. Erasmus von Rotterdam hat die Wendung als sprichwörtliche Redensart in seine Sammlung ›Adagia‹ (1530) aufgenommen und kommentiert: »In eadem es navi dixit pro eo, quod est: in communi periculo ...«.
Der in der metaphorischen Standortbestimmung ›im selben Boot‹ latent vorhandene Solidarisierungsappell beruht auf der Vorstellung vom Staatsschiff als einer Interessen- oder Notgemeinschaft, in der jeder, vor allem bei drohender Gefahr, zum gemeinsamen Handeln verpflichtet ist. Ähnliche Beispiele finden sich in der langen Geschichte der Staatsschiffmetaphorik immer wieder. Im Anschluß an Erasmus formuliert Roger Bacon um 1594 die englische Version der Redensart mit ›You are in the same shippe‹; später ›We're in the same boat‹, wobei die Boot-Version die ursprüngliche Formulierung mit Schiff völlig verdrängt hat. Die entsprechende französische Formulierung ›être dans le même bateau‹ kommt erst in unserem Jahrhundert vor. Auch in Deutschland geriet die Redensart erst nach dem 2. Weltkrieg als moderne Lehnübersetzung in den Sprachgebrauch, und zwar auf dem Weg über die Presse.
Die Metapher vom gleichen Boot, in dem wir alle sitzen, hat Konjunktur in der politischen Rhetorik und Karikatur immer dann, wenn in Konfliktsituationen an Konsens und Übereinstimmung appelliert wird. Auch zahlreiche politische Gedichte machen davon Gebrauch, wie z.B. der aphoristische Kurztext von M. Bosch (1971):
aus seiner kabine tretend,
beschwichtigte perikles
die meuternden Sklaven
der galeere:
wir sitzen doch alle
im selben boot.
(M. Bosch: Mordio & cetera [München 1971]).
Ähnlich der Dreizeiler von V. Erhardt:
die unternehmer haben doch recht:
wir sitzen alle in einem boot.
aber es ist eine galeere.
(Volker Erhardt: Aphorismen [Köln 1979], S. 36).
Schließlich O. Köster (1979):
Wir sitzen alle im selben Boot.
Nur: die einen legen sich in die Riemen,
die anderen ans Steuer.
(O. Köster: Gedichte [Berlin 1979], S. 16).
Vgl. den Wellerismus: ›Wir sitzen alle in einem Boot, sagen die Politiker, wenn sie ans Ruder wollen‹; ›Wir sitzen alle in einem Boot, nur die einen angeln und wir rudern‹ (Graffito). Andere Varianten: ›Wir sitzen alle im gleichen Kot‹; ›Wir sitzen alle im gleichen Rollstuhl‹; ›Wir sitzen alle in einem Topf‹. »Wir sitzen alle in der Umwelttinte« (Karin Struck: ›Klassenliebe‹ [1973]).
›Im gleichen Zug sitzen‹ (⇨ Zug), vgl. hierzu Erich Kästners satirisches Gedicht ›Das Eisenbahngleichnis‹ (1932):
Wir sitzen alle im gleichen Zug
Und reisen quer durch die Zeit.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir fahren alle im gleichen Zug.
Und keiner weiß, wie weit ...
Wir reisen alle im gleichen Zug
Zur Gegenwart in spe.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir sitzen alle im gleichen Zug
Und viele im falschen Coupé.
Trotz der verschiedenen Funktionen lassen sich alle Variationen über das metaphorische Argument ›im selben Boot‹ auf den Grundgedanken einer gewissen ›System-Solidarität‹ zurückführen. ›Im selben Boot‹ sitzen alle, denen dieselbe Gefahr droht und die deshalb aufeinander angewiesen sind, mögen sie sonst auch unterschiedliche Interessen vertreten oder haben. Als Mitglieder einer Notgemeinschaft – mag es auch eine wider Willen sein – sind sie zum solidarischen Handeln verpflichtet (nach D. Peil).
Das gleiche Sprachbild führt dann zu einem Vergleich des Ausschließens: ›Das Boot ist voll‹: es ist kein Platz mehr (für weitere Schiffbrüchige; im übertragenen Sinn: für Flüchtlinge, Asylanten etc.).
Jemanden in sein Boot kriegen: ihn in seine Gewalt bekommen, daß er anderer Meinung wird, ⇨ Schiff.
Im richtigen Boot sein: richtig liegen – im Gegensatz zu: ›Auf dem falschen Dampfer sein‹ (⇨ Dampfer).
• A. OTTO: Die Sprichtwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer (Leipzig 1890, Neudruck Hildesheim 1971), S. 239 (Nr. 1206); R. DRUX: Des Dichters Schiffahrt. Struktur und Pragmatik einer poetologischen Allegorie, in: Formen und Funktionen der Allegorie, hrsg. von W. Haug (Stuttgart 1979), S. 38-51; D. PEIL: ›Im selben Boot‹. Variationen über ein metaphorisches Argument, in: Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986), S. 269-293; W. MIEDER: ›Wir sitzen alle in einem Boot‹, in: Muttersprache 100 (1990), S. 18-37.}
Im gleichen Boot sitzen. Karikatur von Luis Murschetz, aus: Muttersprache, Bd. 100, Wiesbaden 1990, S. 30.
Im gleichen Boot sitzen. Karikatur von Pepsch, aus: DER SPIEGEL, Nr. 3, von 12.I.1987.
Im gleichen Boot sitzen. Karikatur von John Tenniel: Das Enfant terrible (Wilhelm II.), 1890, aus: Georg Piltz: Geschichte der europäischen Karikatur, Berlin 1976, S. 197, Abbildung 182.
Das Boot ist voll. Karikatur von Haitzinger, 80, aus: DER SPIEGEL, Nr. 40, 1986.
Der in der metaphorischen Standortbestimmung ›im selben Boot‹ latent vorhandene Solidarisierungsappell beruht auf der Vorstellung vom Staatsschiff als einer Interessen- oder Notgemeinschaft, in der jeder, vor allem bei drohender Gefahr, zum gemeinsamen Handeln verpflichtet ist. Ähnliche Beispiele finden sich in der langen Geschichte der Staatsschiffmetaphorik immer wieder. Im Anschluß an Erasmus formuliert Roger Bacon um 1594 die englische Version der Redensart mit ›You are in the same shippe‹; später ›We're in the same boat‹, wobei die Boot-Version die ursprüngliche Formulierung mit Schiff völlig verdrängt hat. Die entsprechende französische Formulierung ›être dans le même bateau‹ kommt erst in unserem Jahrhundert vor. Auch in Deutschland geriet die Redensart erst nach dem 2. Weltkrieg als moderne Lehnübersetzung in den Sprachgebrauch, und zwar auf dem Weg über die Presse.
Die Metapher vom gleichen Boot, in dem wir alle sitzen, hat Konjunktur in der politischen Rhetorik und Karikatur immer dann, wenn in Konfliktsituationen an Konsens und Übereinstimmung appelliert wird. Auch zahlreiche politische Gedichte machen davon Gebrauch, wie z.B. der aphoristische Kurztext von M. Bosch (1971):
aus seiner kabine tretend,
beschwichtigte perikles
die meuternden Sklaven
der galeere:
wir sitzen doch alle
im selben boot.
(M. Bosch: Mordio & cetera [München 1971]).
Ähnlich der Dreizeiler von V. Erhardt:
die unternehmer haben doch recht:
wir sitzen alle in einem boot.
aber es ist eine galeere.
(Volker Erhardt: Aphorismen [Köln 1979], S. 36).
Schließlich O. Köster (1979):
Wir sitzen alle im selben Boot.
Nur: die einen legen sich in die Riemen,
die anderen ans Steuer.
(O. Köster: Gedichte [Berlin 1979], S. 16).
Vgl. den Wellerismus: ›Wir sitzen alle in einem Boot, sagen die Politiker, wenn sie ans Ruder wollen‹; ›Wir sitzen alle in einem Boot, nur die einen angeln und wir rudern‹ (Graffito). Andere Varianten: ›Wir sitzen alle im gleichen Kot‹; ›Wir sitzen alle im gleichen Rollstuhl‹; ›Wir sitzen alle in einem Topf‹. »Wir sitzen alle in der Umwelttinte« (Karin Struck: ›Klassenliebe‹ [1973]).
›Im gleichen Zug sitzen‹ (⇨ Zug), vgl. hierzu Erich Kästners satirisches Gedicht ›Das Eisenbahngleichnis‹ (1932):
Wir sitzen alle im gleichen Zug
Und reisen quer durch die Zeit.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir fahren alle im gleichen Zug.
Und keiner weiß, wie weit ...
Wir reisen alle im gleichen Zug
Zur Gegenwart in spe.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir sitzen alle im gleichen Zug
Und viele im falschen Coupé.
Trotz der verschiedenen Funktionen lassen sich alle Variationen über das metaphorische Argument ›im selben Boot‹ auf den Grundgedanken einer gewissen ›System-Solidarität‹ zurückführen. ›Im selben Boot‹ sitzen alle, denen dieselbe Gefahr droht und die deshalb aufeinander angewiesen sind, mögen sie sonst auch unterschiedliche Interessen vertreten oder haben. Als Mitglieder einer Notgemeinschaft – mag es auch eine wider Willen sein – sind sie zum solidarischen Handeln verpflichtet (nach D. Peil).
Das gleiche Sprachbild führt dann zu einem Vergleich des Ausschließens: ›Das Boot ist voll‹: es ist kein Platz mehr (für weitere Schiffbrüchige; im übertragenen Sinn: für Flüchtlinge, Asylanten etc.).
Jemanden in sein Boot kriegen: ihn in seine Gewalt bekommen, daß er anderer Meinung wird, ⇨ Schiff.
Im richtigen Boot sein: richtig liegen – im Gegensatz zu: ›Auf dem falschen Dampfer sein‹ (⇨ Dampfer).
• A. OTTO: Die Sprichtwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer (Leipzig 1890, Neudruck Hildesheim 1971), S. 239 (Nr. 1206); R. DRUX: Des Dichters Schiffahrt. Struktur und Pragmatik einer poetologischen Allegorie, in: Formen und Funktionen der Allegorie, hrsg. von W. Haug (Stuttgart 1979), S. 38-51; D. PEIL: ›Im selben Boot‹. Variationen über ein metaphorisches Argument, in: Archiv für Kulturgeschichte 68 (1986), S. 269-293; W. MIEDER: ›Wir sitzen alle in einem Boot‹, in: Muttersprache 100 (1990), S. 18-37.}
Im gleichen Boot sitzen. Karikatur von Luis Murschetz, aus: Muttersprache, Bd. 100, Wiesbaden 1990, S. 30.
Im gleichen Boot sitzen. Karikatur von Pepsch, aus: DER SPIEGEL, Nr. 3, von 12.I.1987.
Im gleichen Boot sitzen. Karikatur von John Tenniel: Das Enfant terrible (Wilhelm II.), 1890, aus: Georg Piltz: Geschichte der europäischen Karikatur, Berlin 1976, S. 197, Abbildung 182.
Das Boot ist voll. Karikatur von Haitzinger, 80, aus: DER SPIEGEL, Nr. 40, 1986.