Redensarten Lexikon
blasen
Die Redensarten: Das ist nicht nur so geblasen, Es läßt sich nicht gleich blasen und Man kann es nicht blasen bedeuten: es ist nicht so leicht, wie sich die Sache ansieht, man braucht dazu Mühe, Fleiß und Zeit. Jacob Grimm bringt diese Redensarten in Zusammenhang mit der Glasbläserei, zu der große Übung und Geschicklichkeit gehören.    Vielleicht aber beruhen diese Wendungen auf der alten Vorstellung, daß die Seele, der Geist, auch das Leben durch Anblasen, Anhauchen übertragen werden kann, wie in Gen 2,7 und Joh 20,22. Dieses Blasen war nachweislich schon bei Augustin in den Taufritus übergegangen (Eph 105). Ursprünglich besaß nur Gott oder ein Dämon die Macht, seine Seele, seinen Geist und Willen durch ›Blasen‹ zu den Menschen zu bringen. Da es so leicht aussah, versuchte es auch der Mensch zu erlernen, doch für ihn wurde es zu einer schwierigen Kunst. Er nutzte sie, um seinen Willen auf einen anderen wirken zu lassen, um ihn zu schädigen, um ihm eine Krankheit anzublasen oder um ihn von einer solchen ›angeblasenen‹ (angeflogenen) Krankheit zu befreien.
   Der alte, noch bei Kindern geübte Brauch, auf eine schmerzende Stelle zu blasen, steht hinter unserer noch häufig verwendeten Redensart Etwas war wie weggeblasen: es war plötzlich verschwunden, die zuerst in Herders ›Cid‹ vorkommt. Schon 1526 stellte sich Luther gegen den Brauch, Kindern bei Krankheiten in den Hals zu blasen. Wenn wir heute noch sagen, daß ›Die Schmerzen (Warzen usw.) wie weggeblasen sind‹, bewahren wir sprachlich damit die lange bekämpften Vorstellungen und Praktiken der Volksmedizin.
   Die Wendung Geblasen sein: weg oder tot sein, ist dagegen dem Damespiel entlehnt. Man spricht dabei von ›Blasen‹ (›Pfeifen‹), wenn man seinem Gegner eine Dame oder einen Stein wegnimmt, mit dem er hätte schlagen können, es aber versäumte; vgl. niederländisch ›geblazen zijn‹; französisch: ›souffler quelque chose à quelqu'un‹; englisch ›to blow‹ – alles Ausdrücke, die beim Damespiel gebraucht werden. Vgl. hierzu auch französisch ›Souffler n'est pas jouer‹ (wörtlich: blasen ist nicht spielen): Ausruf beim Damespiel: wer seinem Gegner eine Dame oder einen Stein weggenommen hat, darf noch einmal spielen.
   Vielleicht stehen hiermit in Zusammenhang Du kannst mir was blasen! und Ich werde dir gleich was blasen! Diese grobe Ablehnung bedeutet: man wird dich enttäuschen, nicht das tun, was du erhoffst.
   Nach Küpper bezeichnen diese Redensarten das Geräusch, das entsteht, wenn jemand ›pöh‹ macht. Ähnlich sagt man: ›Ich werde dir gleich was husten!‹
oder ganz grob: ›Jawohl, Blosarsch!‹ – Blas mir den Hobel aus! Hobel.
   Neue Redensarten mit erotischer Bedeutung sind: Sich blasen lassen: sich fellieren lassen und Sich einen blasen: sich selber fellieren. Sie stammen aus dem Sprachbereich von Prostituierten und Homosexuellen. Die Flöte gilt dabei als phallisches Symbol, Flöte.
   Seit dem 19. Jahrhundert ist mundartlich die Wendung Blas mir auf den Kopf: laß mich in Ruhe, ebenfalls als Ausdruck starker Ablehnung bekannt, der in Köln lautet: ›Blôs mêr op et Häuv‹.
   Einen blasen: ein Glas trinken. Blasen wurde von der starken Bewegung des Windes auf die heftige Bewegung verallgemeinert und dann nur noch zur Steigerung benutzt. Es bedeutet also hier: ›stark trinken‹ und ist so schon im 19. Jahrhundert im Rotwelsch und in Mundarten nachgewiesen.
   Die Redensart Es ist nicht zu blasen: es ist unglaublich und unerträglich, bezieht sich auf ein für Blasinstrumente gesetztes Stück, das zu schwer ist. Die Wendung ist um 1850 für Berlin bezeugt.
   Einem den Marsch blasen Marsch. In das gleiche Horn blasen Horn.
   Staub in die Augen blasen sagte Geiler von Kaysersberg für ›Sand in die Augen streuen‹; vgl. französisch ›jeter de la poudre aux yeux de quelqu'un‹
(wörtlich: jemandem Pulver in die Augen werfen).
   Kalt und warm aus einem Munde blasen: bald so, bald anders reden. Wird von einem Doppelzüngigen gesagt, der ins Gesicht lobt und hinter dem Rücken tadelt. In ähnlicher Form kennt diese Wendung Walther von der Vogelweide (29,10):

   Zwô zungen habent kalt und warm,
   die ligent in sîme rachen.

Reinmar von Zweter schreibt:

   Du blaeses kalt und hûches warm.

Im ›Narrenschiff‹ (18,17) des Sebastian Brant heißt es:

   Wer tun wil, das eim jeden gfalt,
   der muß han otem warm und kalt.

Seit Luther steht die Form fest:

   Das heißt auff deudsch
   kalt vnd warm aus einem maul blasen.
   (Warnung an seine lieben Deutschen, 1531)

Die Redensart geht zurück auf eine Fabel des lateinischen Dichters Avian (Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr.) vom Satyr und Holzhauer, die Erasmus Alberus und Hans Sachs auch bearbeitet haben. Dieser erzählt, wie im Winter ein Pilgrim zu einem Satyr in die Wildnis kommt; es friert ihn so an den Händen, daß er hineinbläst, um sie mit seinem Hauch zu erwärmen. Der Satyr nimmt ihn gastlich auf und setzt ihm einen heißen Trank vor. Da bläst der Pilgrim diesen an, um ihn abzukühlen. Hans Sachs schließt:

   Der satirus auch das ersach
   und sprach zu im: Ich merke,
   daß deine zung und munt vermag
   widerwertige werke.
   Das kalte kannstu machen heiß,
   das heiß machstu kalt ...
   Wankel und unstet ist dein zung
   und auf zwu schneit geschliffen ...
   Weich von mir, ich trau dir nicht mer:
   Dein will ich wohl entraten.

Die Redensart kann aber auch einen positiven Sinn erhalten, wenn damit der Vielseitige, der auf zwei Achseln Tragende gemeint ist; vgl. französisch ›Ne vous fiez point à lui, il souffle le chaud et le froid‹.
   Einen, der erst begeistert tut und dann doch säumig handelt, vergleicht man in Nordwestdeutschland mit einem schlechten Hirten: ›He bläst fröh und drift late‹ (treibt spät aus).
   Blasen und das Mehl im Maul behalten: viel versprechen und nichts geben wollen oder selbst Vorteile haben wollen, ohne dafür etwas einzusetzen. Die Wendung ist mundartlich in Hessen üblich: ›He wil blose on ds meal im maul behale‹, aber auch im Westerwald in ähnlicher Form: ›Mer kann net blose on den Wend behalen‹. Den ältesten Beleg gibt Notker:

   Nóh tú nemúht nieht fóllén múnt
   háben mélues únde dóh blásen.
   (De partibus logicae – Pipers Ausgabe I,595).

Einem etwas ins Ohr (in die Ohren) blasen oder Einem etwas einblasen: ihn aufhetzen, Verleumdungen und Geheimnisse erzählen (vgl. ›Jemandem einen Floh ins Ohr setzen‹), Federlesen (Abbildung).
   In der Schülersprache bedeutet Ein- oder vorblasen einem Mitschüler helfen und vorsagen.
   Von Tuten und Blasen keine Ahnung haben tuten.
   Auf dem letzten Loch blasen ist von den Blasinstrumenten her zu verstehen. Die Redensart bedeutet, daß jemand seine letzten Kraft- oder Geldreserven angebrochen hat und kurz vor dem Ende steht, denn das letzte Loch bezeichnet den höchsten und dünnsten Ton des Instrumentes.
   Blasen ist archaischer als Streichen. Vgl. die Funktion von magischen Blasinstrumenten im Märchen.
   Trübsal blasen Trübsal. Das Lebenslicht ausblasen Lebenslicht. Sich aufblasen wie ein Frosch Frosch.
• W. ALY: Artikel ›Blasen‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens I, Spalte 1354-1360; I. ZINGERLE: Die deutschen Sprichwörter im Mittelalter, S. 101; L. BERTHOLD: Mittelalterliche Sprichwörter S. 64 f; K. LEIDECKER: Zauberklänge der Phantasie. Musikalische Motive und gesungene Verse im europäischen Märchengut (Diss. Saarbrücken 1983), S. 243 f.
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