Redensarten Lexikon
Bier
Er braut Bier ohne Malz: ursprünglich von dem Bierbrauer gesagt, der seinen Kunden ein dünnflüssiges Erzeugnis anbot, dann übertragen von allen Scharlatanen, die eine Sache trügerisch aus dem Nichts hervorzaubern wollen. Bildhaft verwendet die Redensart schon im 13. Jahrhundert der Minnesänger Konrad Marner, indem er gegen seinen literarischen Gegner Reginar den Vorwurf des Plagiats erhebt mit den Worten: »Du doene diep, du prûvest âne malz ein bier«. Mehrfach spielt vor allem das ›Saure Bier‹ als Bild für etwas Unliebsames, Schlechtes oder Schädliches im Sprachschatz eine Rolle: Etwas ausbieten (ausschreien) wie sauer (saures) Bier: eine Sache, die keinen Wert hat, mit vielen Worten und zu niedrigem Preis, aber vergeblich anbieten. Vgl. französisch: ›Ce n'est pas de la petite bière‹ (wörtlich: Das ist kein kleines Bier), im Sinne von: Das ist etwas Wertvolles.    Schon Hans Sachs sagt im Schwank vom bittersüßen Eheleben: »Wer meinst, der saures pier ausschrey?« Die Redensart ist auch bei Grimmelshausen belegt; in Christian Weises ›Drei Erznarren‹ sagt Lieschen im Gespräch mit Chremes ironisch: »sie werden sich sehr um dich reißen, wie um das saure Bier«. Die Redensart geht auf die mittelalterliche Sitte zurück, das fertig gebraute Bier ›auszurufen‹, d.h. öffentlich bekanntzumachen. Daher stammen auch die Redensarten: Sie rufen einander das saure Bier aus: sie machen sich gegenseitig schlecht, einer enthüllt des andern schwache Seiten, und Einem das Bier verrufen: ihn verleumden, üble Nachrede gegen ihn führen.
   Ein Gesicht machen wie saures Bier: eine verdrießliche Miene machen, mundartlich aus Baden und Obersachsen belegt, ›Ich meinet, wann du einem in sein bier sehest, du solst es sauer machen‹, heißt es schon Anfang des 17. Jahrhunderts; bairisch ›Er hat's Griß wie's saure Bier‹, niemand reißt sich um ihn, er ist unbeliebt. Ein solcher Mensch Bessert sich denn auch wie saures Bier, also nie. Beim sauren Bier zusammenkommen: sich wegen einer strittigen Angelegenheit zusammenfinden. Einen beim sauren Bier finden steht schwäbisch für ›ihn bei einer Lüge ertappen‹, ähnlich siebenbürger-sächsisch ›af'm soure Bär erwäschen‹, erwischen. Von einem trinkfesten Zecher sagt man in Süddeutschland ›Der lat's Bier au net suer were‹. Geraten zwei solche Zecher im Wirtshaus miteinander in Streit, so nennt man das: Sie haben sich das Bier ausgeschüttet, rheinisch ›Die ham sich enanner s'Bier ausgesuff‹.
   Die Rolle, die das Bier im Studentenleben spielte, zeigt sich in manchen eigenen Zusammensetzungen, wie Bierjunge, -schisser, -verschiß, -bank, -baß, -
bauch, -held, -idee (närrischer, verrückter Einfall; erst nach 1900 aufgekommen), -knoten (= Adamsapfel), -leiche (= sinnlos Betrunkener), -ruhe (= große Unerschütterlichkeit), -tisch, -ulk; vgl. auch ›Biereifer‹ = großer Eifer, namentlich von Studenten, die sich mehr dem Bier als dem Studium zuwenden (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts).
   Das ist nicht mein Bier: in dieser neu aufgekommenen Redensart bedeutet Bier soviel wie ›Sache‹, ›Angelegenheit‹. In diesem Sinne sagt man im Rheinland ganz allgemein: ›Dat is en ander Moß Bier‹.
   Eine Bierreise unternehmen: mehrere Wirtschaften nacheinander aufsuchen (19. Jahrhundert). Eine neue Redensart ist Das Bier trocken 'runterwürgen müssen: Bier ohne Schnaps trinken. Das Bild vom Herunterwürgen trockenen Brotes wurde witzig auf das Getränk übertragen. An den tropfnassen Wischlappen knüpft dagegen die schwäbische Redensart an: ›Se hont g'schwitzt arger as a Bierlump‹.
   Auch in zahlreichen anderen Redensarten spielt das Bier eine Rolle, z.B. sagt man von einem Sparsamen, daß er von einem Stoff Bier dreimal trinkt, d.h. an drei Tagen, drei Tage lang. Und der geizige Sterbende, der seinen Erben nichts gönnen will, ›stöt dat letzt Kann Beer mit de Föt üm‹.
   Von dem Unpünktlichen heißt es: ›Er kommt stets, nachdem das Bier schon getrunken ist‹.
   Er sieht aus wie Weißbier ist eine geläufige Redensart, um eine kränkliche, blasse Gesichtsfarbe zu kennzeichnen; berlinisch noch etwas derber ›Er sieht aus wie Braunbier mit Spucke‹.
   In Schwaben kennt man auch die ›Bierschnecke‹ und den ›Biertripper‹ als Krankheiten, die man vom Biergenuß bekommen kann. Von einem Sterbenden sagt man: Für ihn ist das Bier schon bereitet – nämlich im Jenseits.
   Niederdeutsch ›Dat is stark Beer‹, das ist ein starkes Stück.
   Er hat sich das Bier selbst gebraut: er ist selbst schuld. Schon im 13. Jahrhundert verwendet Berthold von Regensburg, möglicherweise nach französischem Vorbild, in einer Predigt bildlich den Ausdruck: »Daz dû dir selber gebriuwen habest, daz trinck ouch selber«, und in einem Fastnacht-Spiel zu Hildesheim um 1520 heißt es: »Ick will di helpen ein Ber bruwen,Dat schaltu allene drincken«.
   Niederdeutsch ›Seht, wat dat Beer deit!‹ bedeutet spöttische Verwunderung, vor allem, wenn jemand heftig aufbraust.
   Wäre das Bier nur wieder im Fasse ist ein Wunsch, daß etwas nicht geschehen sein möge.
   Das Bier ist über eine Brücke (durch einen Graben) gefahren: mit Wasser verdünnt.
   Unter einem Bieresel versteht man im östlichen Mitteldeutschland einen Aufhocker, dem man Bier opfern muß, sonst schreit er und zerschlägt alles. Im Vogtland sagt man zu einem Kind, das überlaut lacht: Du lachst wie der Bieresel. Man benützt den Begriff auch als Schimpfwort, so schwäbisch: ›Host dei dumme Gosch net könna ufthua, du Bieresel?‹
   Man spricht heute umgangssprachlich bei einem heißen trockenen Sommer von Bierwetter oder von Bierschnee, wenn bei Inversionswetterlage der Wasserdampf aus den Brauereien zum Schnee gefriert, aber auch vom Bier-König, und man stellt in Anlehnung an Shakespeare die ›Bierernste‹ Frage: Bier oder nicht Bier?
   Da im Gasthaus Sitzende nach dem Genuß von einigen Glas Bier gern großartige Reden führen (und dabei alle Weltprobleme lösen), spricht man – auch wenn anderswo schwungvolle, aber oberflächliche politische Reden gehalten werden von ›Bierbank-Politikern‹.

• J.G. TH. GRAESSE: Bierstudien. Ernst und Scherz. Geschichte des Bieres ... (Dresden 1872, Nachdr. Leipzig 1975); E. HUBER: Bier und Bierbereitung (Berlin 1926); F. ECKSTEIN: Artikel ›Bier‹, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens I, Spalte 1255-1282; L. HERMANN: Das Bier im Volksmund. Alte Sprichwörter und Redensarten (Berlin 1930); H. LÜERS: Die wissenschaftlichen Grundlagen von Mälzerei und Brauerei (Nürnberg 1950); M. HOFFMANN: 5000 Jahre Bier (Frankfurt/M.- Berlin 1956); K. HENNIES u. R. SPANNER: Die Brauerei im Bild. Der Werdegang des Bieres (Nürnberg 5. Auflage 1964); A. HALLEMA und J.A. EMMENS: Het bier en zijn brouwers (Amsterdam 1968); H. JUNG: Bier. Kunst und Brauchtum (Dortmund 21970); M. JACKSON: Das große Buch vom Bier (Stuttgart 1977); H. GLÖCKLE: München, Bier, Oktoberfest – acht Jahrhunderte Bier- und Stadtgeschichte (Dachau 1985); K. RANKE: Artikel ›Bier‹ in: Enzyklopädie des Märchens II, Spalte 308-316; A. KOCH: »Bier und Burschenschaft – das gehört zusammen!«, in: Hessische Bätter für Volks- und Kulturforschung NF 20 (1986 [1987]), S. 185-193.

Einem das Bier verrufen. Holzschnitt, Murner: Schelmenzunft, 1512.
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