Redensarten Lexikon
Baum
In Sprichwort und Redensart sind Bäume häufige Symbole für die Standhaftigkeit und Unbeugsamkeit eines Menschen, Sinnbilder von Stärke und Größe. Von einem Starken sagt man, er könne ›Bäume ausreißen‹. Man spricht von einem ›Kerl wie einem Baum‹, von einem ›baumstarken‹ Menschen. Noch stärker aber ist jemand, dem nicht einmal ein Baum standhält: ostpreußisch ›Dat es e Kerl, de kann Beem ute Eerd utriete‹; häufig auch in der Form einer negativen Aussage: ›Wie Bäumeausreißen ist mir's nicht gerade zumute‹ (von einem Genesenden, der sich noch matt fühlt).    Die ›unbeugsame Eiche‹ ist ein Bild menschlichen Charakters: ›Was schadet es der stolzen Eiche, wenn eine Sau sich daran reibt?!‹ – das meint: Beleidigungen von Kleinen können einen Selbstbewußten nicht erschüttern. ›Alte Bäume lassen sich nicht mehr biegen‹. Das meint: ›Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr‹. ›Einen alten Baum verpflanzt man nicht‹. Andererseits ›Wachsen die Bäume nicht in den Himmel‹; das Sprichwort zeigt die Begrenztheit menschlichen Strebens.
   Jemand ›Schlägt Wurzeln‹; er ist ›verwurzelt‹ oder ›entwurzelt‹. ›Krummes Holz‹ nennt man andererseits Menschen, deren Lebensweg nicht gradlinig verlaufen ist. ›Wie der Baum, so die Früchte‹; ›An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen‹ – ›Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm‹ – in all diesen Sprichwörtern und Emblembildern steht ›Baum‹ für ›Mensch‹: die Größe und Höhe von Bäumen meint hohen Rang, Stand oder Alter. Die Frucht von Bäumen steht für die Folgen von Taten, aber auch für Kinder und Enkel, das Aufwachsen und Beschneiden von Bäumen für Erziehung. Das Fällen von Bäumen steht für Niedergang, Katastrophen und Tod.
   Zwischen Baum und Borke stecken: in einer kritischen Lage sein, aus der man weder vor noch zurück kann. Ähnlich: Sich fühlen wie zwischen Baum und Borke: eingeklemmt, in seiner Bewegungsfreiheit behindert sein, nur im Verborgenen gestattete Aktivitäten ausführen können. Das sprachliche Bild ist vom Beil genommen, das sich beim Behauen eines Baumes oft derartig einklemmt, daß es nicht mehr hin und her bewegt werden kann. Die stabreimende Zwillingsformel ( Bausch und Bogen) ist heute nur noch niederdeutsch geläufig, z.B. mecklenburgisch in der Form ›twischen Bork (Rinde) und Bark (Birke) sitzen‹, auch ›teuschen Bork un Bom stân‹, zwischen Tür und Angel stehen. Entsprechend warnt das französische Sprichwort ›Il ne faut pas mettre le doigt entre l'arbre et l'écorce‹ (man darf den Finger nicht zwischen Baum und Borke stecken) davor, sich in Zwistigkeiten zwischen Mann und Frau zu mischen, überhaupt zwischen Personen, die eng miteinander verbunden sind.
   Den dürren Baum reiten: gehenkt werden, was meist an laublosen Bäumen geschah. Dem entspricht die schwäbische Redensart ›er ist uffm dürra Bömle‹, verdorben.
   Das geht über alle Bäume; Das steigt auf die höchsten Bäume (Pappelbäume); Das ist um auf die Bäume (Akazien) zu klettern: es ist unglaublich, es ist zum Verzweifeln ( Akazie). Die Wendung begegnet schon in ›Familie Buchholz‹ von Julius Stinde, weswegen Berlin als Ausgangs- oder Vermittlungsort anzusehen ist.
   Etwas hinter dem Baum gefunden haben: etwas besitzen, dessen Herkunft dunkel (unbekannt) ist, oft in Form einer Ausrede gebraucht.
   Die Redensart Vom Baum der Erkenntnis essen ist biblischen Ursprungs und bezieht sich auf Gen 2,9 und 3,2-6 (französisch ›manger les fruits de l'arbre de la science‹), wird aber oft in ganz anderem Sinn gebraucht, vor allem in negativ gewendeter Form: ›Er hat nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen‹, er ist nicht sehr begabt.
   Zwischen zwei Bäumen etwas wagen: Metapher für ein sexuelles Abenteuer, die auch im Volkslied begegnet.
   Auf den Bäumen wachsen: mühelos und in großer Menge heranreifen. Die Wendung bezieht sich auf die Volksglaubensvorstellung von der Kinderherkunft von Bäumen (›Kinderbaum‹). Scherzhaft heißt es auch: ›In Sachsen, wo die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen‹ in Anspielung auf den ›Baum der Liebe‹, eine in der populären Druckgraphik beliebte Darstellung.
   Den Wald vor Bäumen nicht sehen Wald. Als eine Neuprägung eines politischen Sprichwörter-Slogans ist in bezug auf den Natur- und Umweltschutz die Wendung entstanden: ›Wenn die Bäume fallen, stehen die Menschen auf‹.

• L. FRÄNKEL: Hinter dem Baum gefunden, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 8 (1894), S. 544; I. BETH: Die Baumzeichnung in der deutschen Graphik des 15. und 16. Jahrhunderts (= Studien zur deutschen Kunstgeschichte 13) (Straßburg 1910); U. HOLMBERG: Der Baum des Lebens (Helsingfors 1922); H. MARZELL: Artikel ›Baum‹ in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens I, Spalte 954-958; R. BAUERREIß: Arbor vitae. Der ›Lebensbaum‹ und seine Verwendung in Liturgie, Kunst und Brauchtum des Abendlandes (München 1938); R. MARCUS: »The tree of life in proverbs«, in: Journal of Biblical Literature 62 (1943), S. 117-120; K. KOCH: Der Baumtest. Der Baumzeichenversuch als psychodiagnostisches Hilfsmittel
(Bern 1954); M. LURKER: Der Baum in Glauben und Kunst (= Studien zur deutschen Kunstgeschichte 328) (Baden-Baden, Straßburg 1960); D. WARD: Artikel ›Baum‹, in: Enzyklopädie des Märchens I, Spalte 1366-1374; W. DANCKERT: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Band III (Bonn – Bad-Godesberg 1978), S. 951 ff.; S. SELBMANN:- Der Baum. Symbol und Schicksal des Menschen. Eine Ausstellung der Badischen Landesbibliothek (Karlsruhe 1984); H. GERCKE (Hrsg.): Der Baum in Mythologie, Kunstgeschichte und Gegenwartskunst (Heidelberg 1985); O. MAZAL: Der Baum. Ein Symbol des Lebens (Graz 1988); L. RÖHRICH: Der Baum in der Volksliteratur, in Märchen, Mythen und Riten, in: Germanistik aus interkultureller Perspektive. Hommage à G.-L. Fink (ed. A. Finck et G. Gréciano) (Strasbourg 1988), S. 9-26.

Alte Bäume lassen sich nicht biegen. Aus: Jacob Cats and Robert Farlie: Moral Emblems, New York 1860 (PT 5626 E5 P6 1860), Page 81.

Auf den Bäumen wachsen. Holzschnitt des Formschneiders und Briefmalers Albrecht Schmid, 1694.
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